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Import des deutschen Kündigungsschutzgesetzes nach Österreich

2015-01

Der OGH erklärt in einer aktuellen Entscheidung deutsches Kündigungsschutzrecht für in Österreich tätige Vertriebsmitarbeiter eines deutschen Unternehmens für anwendbar. Nicht nur aus diesem Grund hat die rechtliche Gestaltung und Prüfung von grenzüberschreitenden Arbeitsverträgen gerade im Hinblick auf die Frage der Rechtswahl für das Arbeitsverhältnis besondere Bedeutung.

Häufig beginnen ausländische Unternehmen mit einer Handvoll Mitarbeiter den österreichischen Markt vom Stammsitz aus zu erobern. Dies geschieht zum Aufbau eines Vertriebs (zunächst) ohne nennenswerte betriebliche Strukturen. In einer aktuellen Entscheidung des OGH (8 ObA 34/14d) waren zum Zeitpunkt der Kündigung insgesamt sechs Mitarbeiter („Vertriebsrepräsentanten“) als Arbeitnehmer beschäftigt. Der beklagte deutsche Arbeitgeber unterhielt kein Büro und kein Lager in Österreich. Die Mitarbeiter waren viel unterwegs und benützten ihre private Wohnung als Home Office. Die Abwicklung der Aufträge erfolgte ausschließlich über Ansprechpartner in Deutschland. Der deutsche Arbeitgeber kündigte einen Mitarbeiter und informierte den in Deutschland bestehenden Betriebsrat davon. Der gekündigte Arbeitnehmer erhob in Österreich Klage gegen seine Kündigung, da die im deutschen Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vorgesehenen Voraussetzungen nicht eingehalten worden seien. Es sei jedenfalls schlüssig deutsches Arbeitsrecht vereinbart worden. Der beklagte Arbeitgeber bestritt die Anwendung deutschen Arbeitsrechts, die als Eventualbegehren erhobene Anfechtungsklage wegen Sozialwidrigkeit nach § 105 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) sei mangels Bestehen eines Betriebs in Österreich unzulässig.

Während die unterinstanzlichen Gerichte die Klagebegehren abwiesen, beurteilte der OGH – in Abkehr von einer älteren Entscheidung – die Klagen als berechtigt. Da der gekündigte Arbeitsvertrag 2004 geschlossen wurde, prüfte der OGH nach dem EVÜ, das nur für nach dem 17.12.2009 geschlossene Verträge durch die Rom-I-Verordnung abgelöst wurde. Der Arbeitsvertrag beinhaltete zahlreiche deutsche Begriffe (der OGH hebt „Gratifikation“, „Überarbeit“ und „Altersruhegeld“ hervor) und für deutsche Arbeitsverträge typische Klauseln, die nach österreichischem Recht unwirksam wären (z. B. das Recht des Arbeitgebers darauf, den Urlaubsverbrauch einseitig festzulegen) oder der typischen österreichischen Vertragsgestaltung zumindest fremd sind. Weiters verwies der Vertrag hinsichtlich Arbeitszeit und Urlaub auf einen deutschen Tarifvertrag. Diese Umstände seien ein deutliches Indiz dafür, dass die Vertragsparteien von der Anwendbarkeit deutschen Rechts ausgingen, so der OGH. Der Anstellungsvertrag vermittelt „das Bild einer für deutsche Arbeitnehmer erstellten Schablone, die nur in den unbedingt notwendigen, in der Urkunde jeweils durch Fettdruck hervorgehobenen Punkten personalisiert wurde (Name, Arbeitsbeginn und -ort, Produktsparte, Gehalt, Kündigungsfrist)". Im Ergebnis sei jedenfalls von einer Rechtswahl zu Gunsten deutschen Rechts auszugehen. Dieses sei anwendbar, sofern es nicht nach Art 8 EVÜ durch für den Arbeitnehmer noch günstigere Bestimmungen des Rechts des (tatsächlichen) Arbeitsorts verdrängt werde.

In weiterer Folge kehrt das Höchstgericht von einer älteren Rechtsansicht ab (OGH 9 ObA 12/95). Das deutsche KSchG sei nicht mit dem im II. Teil des ArbVG normierten allgemeinen Bestandschutz vergleichbar. Die Rechtsansicht, wonach das deutsche KSchG aufgrund des für das Betriebsverfassungsrecht kollisionsrechtlich geltenden Territorialitätsprinzips für in Österreich tätige Arbeitnehmer nicht zur Anwendung kommen könne, wird nicht aufrechterhalten. Es spreche „manches dafür“, in Fragen des Bestandschutzes unabhängig von der Ausgestaltung den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem jeweiligen Arbeitsvertragsstatut anzuwenden. Das deutsche KSchG sei als Individualrecht ausgestaltet. Dem deutschen Betriebsrat kommen im Kündigungsverfahren Widerspruchs- und Mitwirkungsrechte zu, deren Inanspruchnahme aber keine Voraussetzung für die Kündigungsschutzklage ist, deren Erhebung (allein) dem Arbeitnehmer zusteht. Das österreichische ArbVG ist hingegen kollektivrechtlich ausgestaltet. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem „Sperrrecht“, wonach im Falle einer Zustimmung zur Kündigung durch den Betriebsrat eine Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit ausgeschlossen ist.

Diese Konstruktion hielt auch verfassungsrechtlichen Bedenken stand (VfGH B370/83). In dem vom OGH zur Verfahrensergänzung zurückverwiesenen Verfahren hat das Erstgericht nunmehr nach dem deutschen KSchG zu entscheiden. Dieses führt in der Praxis zu teils erheblich höheren Abfindungen. Der betroffene Arbeitnehmer hat erfolgreich das deutsche KSchG für seine Kündigung „importiert“. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass nunmehr ein Vergleich auf hohem Niveau zu Gunsten des Arbeitnehmers geschlossen wird.

Auswirkungen auf die Praxis

Aus der Entscheidung folgen zwei wesentliche Ratschläge: Bei grenzüberschreitenden Arbeitsverträgen sollte eine ausdrückliche Rechtswahl erfolgen, da sich sonst gerade bei langfristig eingegangenen Arbeitsverhältnissen oftmals aus Begleitumständen eine (ungewollte) schlüssige Rechtswahl ergibt. Die Rechtswahl sollte „weise“ nach den Bedürfnissen der Vertragsparteien erfolgen. Ferner ist stets zu beachten, dass im Arbeitsrecht auch eine ausdrückliche Rechtswahl nicht dazu führen kann, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der sich sonst aus der Rom-I-Verordnung ergäbe (in der Regel der tatsächliche Arbeitsort). Nicht nur in Österreich ist das Arbeitsrecht in weiten Bereichen zwingend ausgestaltet. Nur in ganz wenigen Fällen wird es zweckmäßig sein, eine Rechtswahl nur für bestimmte Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu treffen. Berechtigterweise hält der OGH für den konkreten Sachverhalt in der Entscheidung auch fest, dass es im Interesse einer leichten Administrierbarkeit „offenkundig nicht sinnvoll“ sei, nur einzelne Vertragsbestimmungen aus dem deutschen Recht zu übernehmen und damit ein kompliziertes rechtliches Konglomerat zu schaffen, für dessen Auslegung und Rechtsfolgen teilweise deutsches, teilweise österreichisches Recht maßgeblich wäre.

Wie auch der OGH in der aktuellen Entscheidung hervorhebt, ist abschließend zu beachten, dass von einer einmal getroffenen Rechtswahl während des aufrechten Arbeitsverhältnisses auch wieder (schlüssig) abgegangen werden kann. Auch das tatsächliche Verhalten der Vertragsparteien kann dabei für eine schlüssige Rechtswahl maßgeblich sein. Jedenfalls sollten vor Einstellung der ersten Mitarbeiter in Österreich rechtlich geprüfte Arbeitsverträge vorliegen, die auch eine Rechtswahl vorsehen. Die Übernahme von im Sitzstaat verwendeten „Schablonen“, die von der Anwendbarkeit eines anderen Rechts ausgehen, kann bitter enden.

Je nach Fallkonstellation müssen (oder dürfen) ausländische Arbeitgeber weiters nunmehr damit rechnen, dass der allgemeine Bestandschutz aus dem Sitzstaat importiert werden kann, sofern dieser für Arbeitnehmer günstiger ist.

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Jens Winter
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