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OGH stellt Rechtslage zum Begriff des Unfalls in der Unfallversicherung klar

10/01/2017

Der OGH hat jüngst (7 Ob 79/16t) die Frage beantwortet, ob die durch eine Wetteränderung bei einer Alpintour erlittenen Erfrierungen einen Unfall darstellen und daher zu einer Leistungspflicht der Unfallversicherung führen. Im Zuge dessen traf der OGH auch Klarstellungen zur Rechtslage zum Begriff des Unfalls in der Unfallversicherung. 

Bei dem Kläger handelte es sich um einen geübten Tourengeher, der gemeinsam mit einem Freund (ebenfalls ein geübter Tourengeher) eine mehrtätige alpine Hochtour unternahm. Die Wetterbedingungen eigneten sich für die geplante Tour, verschlechterten sich jedoch in weiterer Folge, ohne, dass es sich um Wetterumschwung im klassischen Sinn handelte. Solche Wetteränderungen waren für diesen alpinen Bereich auch nicht ungewöhnlich. Der Kläger und sein Begleiter trafen die alpintechnisch richtige Entscheidung, weiter zu gehen. Eine Notsituation lag nicht vor, sondern hat der Kläger die schwierigen Verhältnisse alpintechnisch richtig gemeistert. Er erlitt an den Zehen Erfrierungen II. und III. Grades, welche durch das Zusammentreffen mehrerer wetter- und kletterbedingter Faktoren, die für den Kläger allesamt nicht vorhersehbar waren, mit deren Eintreten man bei einer alpinen Hochtour, wie vom Kläger unternommen, jedoch rechnen muss, verursacht wurden.

Der Kläger begehrte von der beklagten (Unfall-)Versicherung Zahlung und hilfsweise die Feststellung des Versicherungsschutzes. Nach den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen liege ein Unfall dann vor, "wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet." Bei den Erfrierungen und den daraus resultierenden Dauerschäden handle es sich nach der Bedingungslage um einen vom Versicherungsschutz umfassten Unfall. Das Erstgericht und das Berufungsgericht wiesen die Klage ab. Entgegen der Ansicht des Klägers könnten die erlittenen Erfrierungen nicht dem Unfallbegriff unterstellt werden.

 

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes

Der OGH sprach aus, dass ein Unfall bei einem Vorgang vorliegt, der vom Versicherten bewusst und gewollt begonnen und beherrscht wurde, sich dieser Beherrschung aber durch einen unerwarteten Ablauf entzogen und nunmehr schädigend auf den Versicherten eingewirkt hat. Zum Begriff der "Plötzlichkeit" des Unfalls gehört das Moment des Unerwarteten und des Unentrinnbaren. "Plötzlich" sind einerseits Ereignisse, die sich in einem sehr kurzen Zeitraum unerwartet ereignen, andererseits auch allmählich eintretende Ereignisse, wenn sie für den Versicherungsnehmer unerwartet und unvorhergesehen waren. Dies führt aber dazu, dass besonders sorglos agierende Versicherungsnehmer gegenüber achtsam vorausschauenden benachteiligt waren. Dazu dient die Unfallversicherung jedoch nicht und erwartet der durchschnittliche Versicherungsnehmer auch nicht, dass jedweder Unglücksfall versichert ist. Demnach ist bei der Beurteilung ein objektiver Maßstab einzuziehen.

Ein Unfallereignis liegt daher nur dann vor, wenn objektiv für den Versicherungsnehmer kein Grund bestand, mit den konkret eingetretenen Umständen zu rechnen, er davon überrascht wurde und ihnen nicht mehr entgehen konnte. Hat also ein Versicherungsnehmer zwar nicht selbst damit gerechnet, den widrigen Umständen in dieser Form zu begegnen, hätte er dies aber objektiv betrachtet in der konkreten Situation tun müssen, mangelt es an der beachtlichen subjektiven Komponente, sodass nicht von "plötzlich" und einem Unfallgeschehen gesprochen werden kann.

Daher handelt es sich nach Ansicht des OGH im Fall des Alpintourengehers auch nicht um einen Unfall, sondern um einen von der Unfallversicherung nicht gedeckten Unglücksfall, denn die Änderung der Witterungsverhältnisse trat nicht plötzlich ein. Es gab keinen unerwarteten Wetterumschwung, dem der Kläger (hilflos) ausgeliefert gewesen wäre. Auch eine Notlage lag nicht vor. Vielmehr hätte der Kläger – auch wenn er es subjektiv nicht hat – objektiv bei einer solchen Alpintour mit den eingetretenen Witterungs- und Wetterbedingungen rechnen müssen und kann sich daher nicht darauf berufen, diesen unentrinnbar überrascht ausgeliefert gewesen zu sein. Damit fehlt es am Element der "Plötzlichkeit".

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Thomas Böhm
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Wien