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Preistreiberei der Republik bei Aktenkopien: Abhilfe in Sicht?

21/09/2011

Nachdem Josef K. eine Ladung zur Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft S. erhalten hatte, begab er sich gleich am nächsten Tag in das nahe gelegene Gerichtsgebäude, um zu erfahren, worum es in der unbekannten Strafsache ging. Die Kanzlei wies ihn auf einen meterdicken Aktenstoß „seines“ Verfahrens hin. Josef K. merkte bald die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens, innerhalb kurzer Zeit Tausende Seiten zu memorieren. Auf seine Frage, ob er eine Kopie des Aktes erhalten könne, gestattete man ihm ausnahmsweise, selbst die Akten beim Kopierer im Hause – während der Amtsstunden – zu kopieren. Er möge bei geschätzten 20.000 Aktenseiten € 7.000,00 bei der Hand haben. Auf seinen verständnislosen Blick hin ergänzte der Kanzleibeamte: Lägen seine Akten erst bei Gericht, wären die Kosten, selbst kopieren zu dürfen, deutlich höher …

Es handelt sich hier nicht um eine Episode aus Kafkas Proceß, sondern um eine (fiktive) Begebenheit nach der geltenden Rechtslage. Der Verfassungsgerichtshof prüft derzeit die mögliche Gesetz- und Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen im Gerichts-gebührengesetz (GGG) und in dazu ergangenen Verordnungen und Erlässen (B 1060/10‐9, B 1456/10‐10 vom 1.7.2011). Vereinfacht gesprochen ist für unbeglaubigte Aktenabschriften oder Ablich-tungen und sonstige Kopien im Zivil- und Strafverfahren eine Gebühr in Höhe von € 1,00 für jede angefangene Seite zu entrichten. Werden Kopien von der Partei selbst hergestellt, beträgt die Gebühr € 0,50 für jede Seite. Diese Gebühr ist auch fällig, wenn die Aktenkopie mit eigenem Gerät (tragbarer Scanner, Digitalkamera) erfolgt. Wenn anstelle der Bediensteten der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei die Partei bzw. ihr Vertreter „wegen beengter personeller Ressourcen“ die Kopien „ausnahmsweise auf einem am Dienstort vorhandenen Kopiergerät selbst“ herstellen darf (Gebühren-VO StA/Kripo), fallen im strafgerichtlichen Ermittlungsverfahren „nur“ € 0,35 an.

Der VfGH äußert Bedenken gegen die Sachlichkeit der Regelung, die gleiche Gebühr ohne Unterscheidung vorzuschreiben, gleich-gültig ob die Kopien unter Inanspruchnahme von Gerichts-infrastruktur (am Kopierer des Gerichtes) oder mit eigenem Gerät hergestellt werden, und ob im Fall der Verwendung des eigenen Geräts überhaupt eine Gebühr anfallen darf. Die niedrigere Gebühr nach der Gebühren-VO StA/Kripo dürfte außerdem gesetzwidrig sein, weil nach dem GGG auch im Strafverfahren für selbst erstellte Kopien € 0,50 zu zahlen sind.

Noch größere Bedenken hat der VfGH bei der Gebührenpflicht im Strafverfahren. Diese könnte den Grundsatz des fairen Verfahrens im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK beeinträchtigen. Eine Gebühr dürfe nicht so hoch angesetzt sein, dass sie von der Beantragung bestimmter Amtshandlungen abschreckt. Die Kopiergebühren erscheinen dem Verfassungsgerichtshof vorläufig geeignet, insbesondere in aufwendigen, mit einer Vielzahl von Urkunden als Beweismittel geführten Strafverfahren eine effiziente Verfahrens-führung mit unverhältnismäßig hohen Kosten zu belasten bzw. eine solche zu verunmöglichen. Das Recht auf ein faires Verfahren verlangt im Sinne des Grundsatzes der Waffengleichheit den vollen Zugang zum Akteninhalt, der nicht nur die Akteneinsicht selbst, sondern auch die Möglichkeit der Anfertigung von Kopien der relevanten Unterlagen einschließt. Im Strafverfahren scheint überdies der Grundsatz der Waffengleichheit deshalb verletzt zu sein, weil der Staatsanwalt die unbeschränkte Möglichkeit hat, von Amts wegen Kopien anfertigen zu lassen.

Auswirkungen für die Praxis

Wer in einem Strafverfahren Aktenkopien anfertigt bzw. anfertigen lässt, sollte unbedingt die Erlassung eines Gebührenbescheides verlangen und die Vorschreibung der Gebühren mit Beschwerde im Instanzenzug bekämpfen. Gleiches gilt in sonstigen Verfahren, wenn Aktenkopien mit eigenem Scanner oder eigener Digitalkamera erstellt werden. Ob die Gebühr von € 1,00 für Kopien (mit Ausnahme der erwähnten Strafsachen), die das Gericht anfertigt, verfassungswidrig ist, lässt sich beim gegenwärtigen Verfahrensstand noch nicht vorhersagen.

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Robert Keisler
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Wien