Home / Veröffentlichungen / Verschmelzung als Enteignung von Minderheitsaktionären...

Verschmelzung als Enteignung von Minderheitsaktionären und -gesellschaftern?

20/12/2011

VfGH hebt Mindestbeteiligung für Überprüfung des Umtauschverhältnisses bei Verschmelzungen auf

In jüngerer Vergangenheit haben börsenotierte Gesellschaften vermehrt Strukturmaßnahmen im Wege einer Verschmelzung durch­geführt, so z.B. Immofinanz/Immoeast, RZB/Raiffeisen International und PartyGaming/bwin. Aus Sicht der Minderheits­gesellschafter sind Verschmelzungen mit hochkomplexen Rechts- und Bewertungs­fragen verbunden, die in Österreich zumindest gerichtlich kaum geklärt sind. Eine dieser Fragen hat der VfGH kürzlich mit Erkenntnis vom 21.9.2011, G 175/10-12 gelöst.

Nach bisheriger Rechtslage konnten Aktionäre das von den jeweiligen Vorständen festgesetzte Umtauschverhältnis nicht bekämpfen, wenn sie eine Beteiligung von unter 1 % und Anteile mit einem anteiligen Betrag von unter EUR 70.000 hielten. Nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers sollte diese Einschränkung des Rechtsschutzes eine rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung hintanhalten. Die Gefahr einer rechtsmiss­bräuchlichen Rechtsausübung wurde auch deswegen als hoch erachtet, weil die Kosten des Nachprüfungsverfahrens grundsätzlich von der verschmolzenen Gesellschaft zu tragen sind und daher eine allfällige Kostenersatzpflicht eines unterliegenden Klein(st)aktionärs im Falle des Unterliegens unwahrscheinlich ist.

Der VfGH erachtet eine Vermögensverschiebung der Aktionäre der einen Gesellschaft zugunsten der Aktionäre der anderen Gesellschaft auf Grund eines unangemessenen, aber im Ergebnis nicht nachprüfbaren Umtauschverhältnisses als unverhältnismäßigen und unsachlichen Eingriff in das Eigentum der Aktionäre. Unter Hinweis auf ein Erkenntnis aus 2005 zur spaltungsrechtlichen Parallel­regelung erkannte der VfGH, dass es die Missbrauchsmöglichkeit nicht rechtfertigen könne, Minderheitsgesellschaftern den Rechtsschutz zu nehmen, weil Mehrheitsgesellschafter der Versuchung unter­liegen könnten, Minderheitsgesellschafter möglichst günstig abzufinden.

Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung ist im Ergebnis zu begrüßen, soweit zwischen den beteiligten Gesellschaften ein Abhängigkeitsverhältnis gegeben ist und das Umtauschverhältnis daher nicht nach freien Kräften des Marktes ausgehandelt worden ist.

Verschmelzungen zwischen unverbundenen Publikumsgesellschaften werden allerdings mit weiteren Risiken versehen. Soweit die Vorstände der beiden Gesellschaften das Umtauschverhältnis frei ausverhandelt haben, ist größte Zurückhaltung bei einer Über­prüfung des Umtauschverhältnisses anzuwenden. Es ist zu bedenken, dass das Ergebnis der Nachprüfung für alle Aktionäre gilt. Aktionäre der anderen Gesellschaft erhalten somit ein Umtauschverhältnis aufoktroyiert, dem sie nicht zugestimmt haben – ein ebenfalls nicht unproblematisches Ergebnis!

Mit einem erhöhten Aufkommen von Nachprüfungsverfahren ist jedenfalls zu rechnen.

Autoren

Foto vonPeter Huber
Peter Huber
Partner
Wien