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Von einer Befristung zur nächsten: Es lohnt sich, Kettenarbeitsverträge prüfen zu lassen

In seinem jüngsten Urteil hat der EuGH die Frage der Kettenarbeitsverträge an Universitäten nicht beantwortet. Das Problem ist damit nicht vom Tisch.

Das Regelarbeitsverhältnis ist unbefristet. Diese Grundregel bedeutet aber nicht, dass befristete Arbeitsverträge unzulässig wären. Problematisch ist vielmehr die Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse, die sogenannten Kettenbefristungen.

Diese standen bereits wiederholt vor dem Europäischen Gerichtshof auf dem Prüfstand. Die Brisanz des Themas zeigt sich auch anhand der jüngst ergangenen Entscheidung, die das Universitätsgesetz betraf: Obwohl Kettenbefristungen vorrangig gar nicht Gegenstand des Verfahrens waren, wurden diese anlässlich des Verfahrens in den Medien diskutiert.

Der wesentliche Unterschied zwischen unbefristeten und befristeten Arbeitsverträgen ist deren Beendigung: Befristete Verträge enden automatisch mit Zeitablauf. Bei einem unbefristeten Arbeitsverhältnis müssen die Vertragsparteien dagegen aktiv werden, um den Vertrag zu beenden – in aller Regel durch Kündigung.

Kettenbefristungen führen zu einer nicht zu unterschätzenden Belastung von Arbeitnehmern aufgrund der Ungewissheit über eine neuerliche Verlängerung des Vertrages.Illustration: Davor Markovic

Daran knüpft der Bestandsschutz an, also die Möglichkeit, die Vertragsbeendigung durch den Arbeitgeber aus gesetzlich geregelten Gründen vom Arbeitsgericht überprüfen zu lassen. Diese gerichtliche Überprüfung findet bei einem bloßen Zeitablauf nicht statt, einen Kündigungsschutz gibt es daher nicht.

Darüber hinaus führen Kettenbefristungen zu einer nicht zu unterschätzenden Belastung von Arbeitnehmern aufgrund der Ungewissheit über eine neuerliche Verlängerung des Vertrages. Der Arbeitnehmer kann schließlich bis zum letzten Tag der Befristung im Unklaren darüber gelassen werden, ob sein Vertrag fortgesetzt wird oder nicht.

Sachlicher Grund erforderlich

Zum Schutz der Arbeitnehmer werden daher bereits seit vielen Jahren Kettenbefristungen von den Arbeitsgerichten einer strengen Prüfung unterzogen. Kettenbefristungen sind im Sinne des Paragrafen 879 ABGB nichtig, wenn für die Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverträge kein sachlicher Grund vorliegt.

Der Vertrag gilt dann als unbefristet abgeschlossen. Dies gilt bereits für die erste befristete Verlängerung eines Vertrages. Je mehr Befristungen aneinandergereiht werden, desto strenger wird die Rechtfertigung geprüft. Ein sachlicher Grund ist etwa die vorübergehende Vertretung eines anderen Arbeitnehmers, wie bei der Verlängerung einer Karenzvertretung.

Unzulässig ist es dagegen, mittels Kettenbefristungen das (typische) Unternehmerrisiko auf den Arbeitnehmer zu überwälzen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Befristungen wiederholt abhängig von der Auftragslage abgeschlossen werden.

Der Unionsgesetzgeber hat mit der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG Kettenbefristungen Grenzen gesetzt. Das Unionsrecht verlangt, dass der nationale Gesetzgeber Maßnahmen zur Vermeidung des Missbrauchs durch Kettenbefristungen setzt.

Dies kann erstens durch die Festlegung sachlicher Gründe, zweitens durch die Regelung der insgesamt maximal zulässigen Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverhältnisse und/oder drittens durch die Festlegung der zulässigen Zahl der Verlängerungen erfolgen.

Gute-Sitten-Klausel

Eine generelle gesetzliche Regelung zu Kettenbefristungen für sämtliche Arbeitsverträge existiert in Österreich allerdings nicht. Dieses Untätigbleiben des Gesetzgebers muss kritisch betrachtet werden. Es ist nämlich fraglich, ob der Rückgriff auf die wenig detaillierte Gute-Sitten-Klausel des Paragrafen 879 ABGB den konkreten Anforderungen der Richtlinie entspricht.

In der Praxis wird der Vorwurf einer mangelhaften Umsetzung des Unionsrechts in einem Gerichtsstreit aber wohl nicht so bald schlagend werden. Dies deshalb, weil sich die nationale Rechtsprechung zu Kettenbefristungen aufgrund ihres Abstellens auf sachliche Gründe durchwegs im Rahmen der Vorgaben des Unionsrechts bewegt.

Für einige Branchen bestehen dagegen explizite gesetzliche Sonderregelungen zu Kettenbefristungen, etwa im Vertragsbedienstetengesetz des Bundes (VBG), im Universitätsgesetz (UG), im Parlamentsmitarbeiterinnen- und Parlamentsmitarbeitergesetz (ParlMG) oder im ORF-Gesetz (ORF-G).

Die Zulässigkeit dieser Sonderregelungen wird zunehmend zum Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen, zuletzt im Bereich der Universitäten Paragraf 109 UG (EuGH-Urteil C-274/18, Schuch-Ghannadan).

Da das nationale Gericht in diesem Verfahren den EuGH nicht zum Thema Kettenbefristungen gefragt hat, wurde dieser Aspekt vom EuGH auch nicht geprüft: Der EuGH beantwortet keine Frage, die ihm nicht gestellt wurde. Ungeachtet dessen haben die Stellungnahmen der EU-Kommission und des Generalanwalts in diesem Verfahren gezeigt, dass Kettenbefristungen weiterhin aktuell und im Detail umstritten sind.

Aber auch Kettenbefristungen bei künstlerischen, sportlichen und journalistischen Tätigkeiten stehen zunehmend auf dem Prüfstand, wobei in diesen Bereichen auch Arbeitnehmer ein Interesse an Befristungen haben können – etwa Profifußballer, um leichter den Verein wechseln zu können.

Bei der Beurteilung ist klar, dass diese Bestimmungen an der Richtlinie sowie an der bisher ergangenen EuGH-Rechtsprechung (zum Beispiel EuGH C-586/10, Kücük) zu messen sind. Danach entsprechen Regelungen, die Kettenbefristungen nur all gemein und abstrakt zulassen, nicht der Richtlinie. Der Gesetzgeber muss die Befristungen entweder zeitlich beschränken und/oder an sachliche Gründe binden.

Wann sind sie zulässig?

Nicht einfach ist die Regelung dieser sachlichen Gründe. Kettenverträge können etwa zulässig sein, wenn nur ein vorübergehender Bedarf des Arbeitgebers abgedeckt wird. Dies ist etwa der Fall, wenn eine Theaterproduktion wegen Erfolgs verlängert wird. Die Herausforderung des Gesetzgebers besteht darin, keine überschießenden – und damit unionsrechtswidrigen – Regelungen zu treffen.

Es ist daher Vorsicht geboten, eine ganze Branche über einem Kamm zu scheren, wenn diese sich durch Beschäftigungsvielfalt auszeichnet. Je vielfältiger die Branche, desto höher die Anforderung an die Determinierung sachlicher Gründe. Misslingt allerdings die Begründung für die Zulässigkeit der Kettenbefristung, führt dies im Rechtsstreit zu einer Umdeutung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.

Arbeitgeber sind daher verhalten, selbst bei einschlägiger gesetzlicher Regelung der Zulässigkeit von Kettenbefristungen im Einzelfall das Vorliegen sachlicher Gründe zu prüfen. Liegen diese nicht vor, dann sollte von einer neuerlichen Befristung Abstand genommen oder ein unbefristeter Vertrag abgeschlossen werden.

Die Umdeutung in einen unbefristeten Arbeitsvertrag bedeutet aber nicht, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht mehr beenden kann. Der Arbeitgeber kann den – nunmehr unbefristeten – Arbeitsvertrag einfach kündigen. Dies wird manchmal in der Praxis von Arbeitnehmern übersehen, die erfolgreich gegen eine Kettenbefristung vorgegangen sind und glauben, dadurch einen gesicherten Arbeitsplatz zu haben.

Der Schutz vor Kettenbefristungen bedeutet nicht Unkündbarkeit. Dem Arbeitnehmer wird aber die Möglichkeit eingeräumt, die Kündigung durch das Arbeitsgericht überprüfen zu lassen.

Dieser Artikel ist am 18.Oktober 2019 in "Der Standard" erschienen.

Autoren

Foto vonAndrea Potz
Andrea Potz
Partnerin
Wien