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EU-Kommission verhängt hohes Bußgeld wegen Verstoßes gegen das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot

Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht 09/2018

September 2018

Am 24. April 2018 hat die EU-Kommission ein Bußgeld in Höhe von EUR 124,5 Mio. gegen das niederländische Kabel- und Telekommunikationsunternehmen Altice verhängt. Anlass waren verschiedene Verstöße gegen das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot. Bei der Entscheidung handelt es sich um die erste detaillierte Auseinandersetzung der EU-Kommission mit der Frage, in welchem Maße der Erwerber eines Unternehmens im Zeitraum zwischen Unterzeichnung des Kaufvertrages und fusionskontrollrechtlicher Freigabe der Transaktion auf das Zielunternehmen einwirken darf.

Der rechtliche Hintergrund

Gemäß Art. 7 Abs. 1 der EU-Fusionskontrollverordnung („FKVO“) darf eine Transaktion, die bei der EU-Kommission angemeldet wurde, bis zur Erteilung der Freigabe nicht vollzogen werden. Dieses Vollzugsverbot gilt erst recht, wenn ein anmeldepflichtiger Zusammenschluss überhaupt nicht angemeldet wurde. Der EuGH hat vor kurzem entschieden, dass ein Vollzug i. S. v. Art. 7 Abs. 1 FKVO vorliegt, wenn der Erwerber durch den fraglichen Vorgang ganz oder teilweise, tatsächlich oder rechtlich Kontrolle über das Zielunternehmen erlangt (Urt. v. 31. Mai 2018, Rs. C-633 / 16 – Ernst & Young P / S). Als Kontrolle gilt gemäß Art. 3 Abs. 1 FKVO die Möglichkeit, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben.

Unternehmenskaufverträge haben in der Regel spezifische Klauseln, die dem Erwerber bestimmte Möglichkeiten des Einflusses auf das Zielunternehmen für den Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Vollzug des Kaufvertrages vermitteln. Derartige Klauseln entsprechen dem grundsätzlichen Interesse des Käufers, dass sich der Wert des Zielunternehmens nach Unterzeichnung des Kaufvertrages nicht verschlechtert, sondern auch zum Zeitpunkt des Closing wirtschaftlich noch demjenigen entspricht, das Grundlage für die Kaufpreiseinigung war. Dementsprechend ist es gängige Vertragspraxis, den Verkäufer des Zielunternehmens dazu zu verpflichten, vor bestimmten Maßnahmen in Bezug auf das Zielunternehmen die Zustimmung des Käufers einzuholen, etwa wenn die Maßnahmen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes des Zielunternehmens liegen oder bestimmte Wertgrenzen überschreiten.

Wie der aktuelle Beschluss der EU-Kommission veranschaulicht, können derartige Regelungen jedoch in einem Spannungsverhältnis zum fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbot stehen. Darüber hinaus gilt es bei Transaktionen zwischen Wettbewerbern zu berücksichtigen, dass bis zum Closing auch das grundsätzliche Verbot der Verhaltensabstimmung zwischen Wettbewerbern gemäß Art. 101 AEUV gilt, mit allen damit verbundenen Einschränkungen des Informationsaustausches.    

Der Fall

Ende 2014 schloss Altice einen Vertrag zum Erwerb des Telekommunikationsunternehmens und Wettbewerbers PT Portugal ab. Am 25. Februar 2015 wurde der Kauf bei der EU-Kommission angemeldet, die den Erwerb am 20. April 2015 freigab, nachdem Altice zuvor verschiedene Veräußerungszusagen abgegeben hatte.

Der Unternehmenskaufvertrag sah vor, dass die Verkäufer für verschiedene Maßnahmen im Rahmen des Managements von PT Portugal bis zum Closing die vorherige schriftliche Zustimmung von Altice benötigten. Die EU-Kommission beanstandete mehrere dieser Regelungen als Verstoß gegen das Vollzugsverbot. Dabei ging die EU-Kommission im Grundsatz davon aus, dass es üblich und kartellrechtlich zulässig ist, wenn der Käufer in einem Unternehmenskaufvertrag Vorkehrungen dafür trifft, dass er bei Vollzug der Transaktion auch den vollen Gegenwert für den Kaufpreis erhält. Spiegelbildlich sind nach Auffassung der EU-Kommission jedoch Klauseln unzulässig, die hierüber hinausgehen und dem Käufer bereits die Möglichkeit einräumen, bestimmenden Einfluss über das Zielunternehmen auszuüben.

Konkret beanstandete die EU-Kommission die folgenden drei Regelungen im Kaufvertrag als Verstoß gegen das Vollzugsverbot – und zwar nicht nur im kumulativen Zusammenspiel, sondern auch jeweils für sich allein:

- Der Unternehmenskaufvertrag sah vor, dass die vorherige Zustimmung von Altice für den Abschluss, die Kündigung oder die Änderung der Arbeitsverträge jeglicher leitenden Angestellten („Officer or Director“) erforderlich war. Die EU-Kommission bemängelte in diesem Zusammenhang, dass in dem Vertrag keine Abstufung danach erfolgte, ob der leitende Angestellte für den Werterhalt des Unternehmens wesentlich ist oder nicht, sondern dass eine Pauschalregelung gewählt wurde.

- Die vorherige Zustimmung von Altice war für jede Änderung der Preispolitik bzw. der Standardpreise ebenso erforderlich wie für jede Veränderung der AGB in einer Vielzahl von Kundenverträgen. Die EU-Kommission ließ in diesem Zusammenhang durchblicken, dass ein Zielunternehmen insbesondere mit Blick auf die Preispolitik keinerlei Einschränkungen unterliegen darf und diesbezügliche Veto-Rechte eines Käufers – selbst wenn sie nur einen Teil der Preispolitik betreffen sollten – gegen das Vollzugsverbot verstoßen.

- Altice hatte schließlich auch ein Veto-Recht für den Abschluss, die Beendigung oder die Änderung von fast sämtlichen kommerziellen Verträgen von PT Portugal. Für eine Reihe von Verträgen enthielt der Kaufvertrag zwar eine Wertgrenze, deren Überschreiten erst das Zustimmungserfordernis von Altice auslöste (die entsprechenden Werte sind in der öffentlich zugänglichen Fassung der Kommissions-Entscheidung geschwärzt); nach Auffassung der EU-Kommission waren die Werte allerdings so niedrig angesetzt und die Zustimmungserfordernisse in den Augen der EU-Kommission derart extensiv, dass Altice faktisch das Day-to-Day-Business von PT Portugal bestimmen konnte.

Die EU-Kommission wies in dem Beschluss darauf hin, dass es keine Rolle für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot spielt, ob der Käufer die in einem Unternehmenskaufvertrag vorgesehenen Veto-Rechte auch ausübt. Es genügt insofern für den Verstoß bereits, dass die Veto-Rechte vereinbart werden, der Käufer also die Möglichkeit hat, die Veto-Rechte auszuüben.

Fazit

Der Beschluss der EU-Kommission fügt sich ein in eine Reihe von Verfahren, mit denen die EU-Kommission der Einhaltung von fusionskontrollrechtlichen Verfahrensvorschriften Nachdruck verleiht. So hat die EU-Kommission bspw. im Mai 2017 ein Bußgeld gegen Facebook in Höhe von EUR 110 Mio. wegen falscher Angaben im Fusionskontrollverfahren anlässlich der Übernahme von WhatsApp verhängt. Gerade vor dem Hintergrund dieser verstärkten Durchsetzung der formalen Aspekte gibt die Entscheidung wertvolle Hinweise für die Gestaltung von Zustimmungsvorbehalten in Unternehmenskaufverträgen – jedenfalls bis zu einer gerichtlichen Entscheidung: Altice hat Rechtsmittel gegen den Beschluss eingelegt (T-425 / 18); mit einer Entscheidung des EuGH ist nicht vor Ende 2019 zu rechnen.

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Autoren

Foto vonChristoff Henrik Soltau
Christoff Henrik Soltau, LL.M. (King's College London)
Partner
Hamburg