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Geforderte Erklärung, nicht den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes zu unterliegen, verstößt gegen das Benachteiligungsverbot

Update Arbeitsrecht 06/2018

Juni 2018

Die Klausel in einem Arbeitsvertrag, wonach der „Mitarbeiter erklärt, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes nicht unterliegt“, stellt eine unmittelbare Benachteiligung des Bewerbers dar. Dies entschieden jüngst die Richter des LAG Hamburg.

Im Einzelnen: Ein schwerbehinderter Bewerber arbeitete nach einem erfolgreichen Bewerbungsgespräch zunächst für drei Tage zur Probe. Die Schwerbehinderung war seinem Arbeitgeber in spe zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Im Nachgang wurde ihm ein arbeitgeberseitig bereits unterzeichneter Arbeitsvertrag überreicht, der – neben einem zuvor ausgehandelten Bruttogehalt i. H. v. EUR 2.700 – auch folgende Klausel beinhaltete:

„Der Mitarbeiter versichert, dass er arbeitsfähig ist, nicht an einer infektiösen Erkrankung leidet und keine sonstigen Umstände vorliegen, die ihm die vertraglich zu leistende Arbeit jetzt oder in naher Zukunft wesentlich erschweren oder unmöglich machen. Der Mitarbeiter erklärt weiter, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes nicht unterliegt. Sofern etwa die Voraussetzungen dafür später eintreten, wird er das Unternehmen hiervon unverzüglich in Kenntnis setzen.“

Einen Tag später äußerte der Bewerber diverse Änderungswünsche, unter anderem die Streichung der vorstehenden Regelung. In einem von mehreren anschließenden Telefonaten mit der Geschäftsführung informierte er erstmals über seine Schwerbehinderung. Am Folgetag teilte die Geschäftsführung dem Bewerber mit, dass sie ihn nicht (mehr) einstellen wolle.

Vor dem Arbeitsgericht machte der Mann eine Entschädigung nach § 15 AGG i. H. v. drei Bruttomonatsgehältern (EUR 8.100) wegen Benachteiligung im Einstellungsverfahren geltend. Er führte unter anderem aus, dass ihm telefonisch mitgeteilt worden sei, dass das Unternehmen keine Schwerbehinderten beschäftige und den damit verbundenen Sonderkündigungsschutz nicht wolle. Die Geschäftsführung meinte, die Absage habe nichts mit der Schwerbehinderung zu tun, sondern beruhe auf dem Verhalten des Bewerbers im Zusammenhang mit den Nachverhandlungen zum Vertrag.

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und das Unternehmen zu einer Entschädigungszahlung i. H. v. zwei Bruttogehältern (EUR 5.400) verurteilt. Dieses legte Berufung ein; der Bewerber erhob Anschlussberufung wegen der Höhe der Entschädigung – mit Erfolg: Die Entschädigungssumme wurde auf drei Bruttomonatsgehälter (EUR 8.100) erhöht.

Nach Ansicht der Richter steht fest, dass das Unternehmen den Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt und damit gegen das Benachteiligungsverbot des § 81 Abs. 2 SGB IX (a.F.), jetzt § 164 Abs. 2 SGB IX (vgl. Praxistipp zur nachstehenden Entscheidung des LAG Hessen) verstoßen habe. Der Anspruch ergebe sich aus § 81 Abs. 2 SGB IX (a.F.), jetzt § 164 Abs. 2 SGB IX und § 15 Abs. 2 AGG i. V. m. § 22 AGG.

Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot liege bereits vor, wenn ein Merkmal des § 1 AGG mitursächlich für die Ablehnungsentscheidung sei. Das Merkmal müsse nicht der alleinige oder tragende Grund für die Entscheidung sein. Im konkreten Fall sahen die Richter gleich zwei Anhaltspunkte für die Benachteiligung:

Zum einen sei der Bewerber durch die Klausel selbst unmittelbar benachteiligt worden. Denn die Klausel habe ihn gezwungen, entweder die – wahrheitswidrige – Erklärung abzugeben, nicht schwerbehindert zu sein, oder den Vertrag nicht zu unterzeichnen und um Änderungen zu bitten. In beiden Fällen sei der schwerbehinderte Bewerber in einer ungünstigeren Situation als ein nicht behinderter Bewerber. Bei der wahrheitswidrigen Erklärung riskiere er die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung, bei der Bitte um Änderungen müsse er seine Schwerbehinderung offenbaren und damit riskieren, nicht eingestellt oder innerhalb der ersten sechs Monate (ohne Sonderkündigungsschutz) gekündigt zu werden. Die Klausel im Arbeitsvertrag setze den Schwerbehinderten in unzulässiger Weise unter Entscheidungsdruck und schaffe einen nicht hinnehmbaren Gewissenskonflikt.

Zum anderen sei der Bewerber dadurch benachteiligt worden, dass er nach Offenbarung der Schwerbehinderung nicht eingestellt worden sei. Hierfür habe der Bewerber hinreichend Indizien vorgetragen, die das Unternehmen nicht entkräften konnte. Insbesondere indiziere die geforderte Erklärung, nicht den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes zu unterliegen, in Verbindung mit der Rücknahme des Einstellungsangebotes nach Mitteilung der Schwerbehinderung eine Benachteiligung wegen der Behinderung. Es sei nicht auszuschließen, dass die Schwerbehinderung jedenfalls mitursächlich für die Entscheidung des Unternehmens gewesen sei – das reiche aus. Auch sei eine in Einzelfällen mögliche Rechtfertigung nicht gegeben gewesen, da die Schwerbehinderung keinerlei Auswirkungen auf die Tätigkeit gehabt habe.

Für die Anhebung der Entschädigungssumme sei entscheidend gewesen, dass der Bewerber gleich zweifach benachteiligt worden sei – durch die Klausel selbst und durch die Nichteinstellung (LAG Hamburg, Urteil vom 30. November 2017 – 7 Sa 90 / 17).

Tipp für die Praxis:

Die Entscheidung erweitert die bisherige Rechtsprechung: Allein die Verwendung einer unzulässigen Klausel kann einen eigenständigen Entschädigungsanspruch auslösen – selbst dann, wenn es im Ergebnis zu einer Einstellung kommt. Das Urteil dürfte sich auch auf alle anderen unzulässigen Fragen im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens übertragen lassen (neben der Frage nach der Schwerbehinderung insbesondere die Fragen nach Schwangerschaft / Familienplanung, Gewerkschaftszugehörigkeit, ethnischer Herkunft, Vorstrafen). Die regelmäßige Überprüfung und Anpassung bestehender Vertragsmuster ist auch aus diesem Grunde mehr als ratsam.


Dieser Artikel ist Teil des Update Arbeitsrecht, das Sie hier abonnieren können. Bei Fragen zum Artikel kontaktieren Sie gerne das Redaktionsteam Arbeitsrecht (Dr. Alexander Bissels, Lisa Gerdel, Dr. Nina Hartmann und Dr. Stefanie Klein-Jahns) unter: Update-Arbeitsrecht@cms-hs.com.

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Update Arbeitsrecht, Juni 2018
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