Home / Veröffentlichungen / London InterBank Offered Rate (LIBOR) – Anfang vom...

London InterBank Offered Rate (LIBOR) – Anfang vom Ende eines Referenzzinssatzes

Update Banking & Finance 08/2018 - Finance

August 2018

Der 27. Juli 2017 könnte als der Tag in die Geschichte eingehen, der das Ende des LIBOR als weltweit wichtigsten Referenzzinssatzes einläutete. In einer Rede legte der Chief Executive Officer der Financial Conduct Authority (FCA) dar, dass Marktteilnehmer eine Ersetzung des LIBOR durch alternative Referenzzinssätze mit Ablauf des Jahres 2021 anstreben sollen. Die Entscheidung der FCA wirft verschiedene Fragen auf, die insbesondere Vertragsparteien von Darlehen, Derivaten und Anleihen in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen werden. Im Zentrum des Interesses stehen die Identifizierung von Alternativen und deren vertragstechnische Berücksichtigung in laufenden sowie bereits bestehenden Vertragsverhältnissen.

FCA-Stellungnahme – Hintergrund und Motive

Manipulationsskandale in der jüngeren Vergangenheit warfen bereits ein Schlaglicht auf den LIBOR, sodass dieser in das Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit gelangte. Die aktuelle Entscheidung der FCA beruht jedoch darauf, dass der Ermittlung des LIBOR zumindest partiell keine entsprechenden realen Transaktionen zugrunde liegen. Die Virulenz eines fehlenden Marktes wird deutlich, wenn man sich die Ermittlung des LIBOR vergegenwärtigt. Diese erfolgt mittels einer täglichen Abfrage von Refinanzierungszinssätzen bei einem Banken-Panel. Für einen dieser täglich ermittelten Refinanzierungszinssätze, d. h. für die Kombination einer Währung mit einer bestimmten Laufzeit, erfolgten nach Ermittlungen der FCA im gesamten Kalenderjahr 2016 gerade einmal 15 relevante Transaktionen.

Trotz des damit attestierten partiellen Fehlens eines funktionierenden Marktes für ungesicherte Interbanken-Kredite findet der LIBOR weiterhin nahezu uneingeschränkte Anwendung in der Vertragsdokumentation von Darlehen, Derivaten und Anleihen. Aktuelle Schätzungen von März 2018 belegen, dass z. B. allein Derivate und Darlehen in US-Dollar mit einem Volumen von ca. 200 Billionen auf den LIBOR rekurrieren. Die Notwendigkeit einer ausreichenden Übergangsfrist für eine potentielle Ersetzung des LIBOR tritt damit offen zutage. Die FCA hat hierfür den Zeitraum bis zum Ablauf des Jahres 2021 benannt.

Alternativen zum LIBOR

Für die Identifizierung möglicher Alternativen zum LIBOR kann auf Arbeiten des Financial Stability Boards (FSB) zurückgegriffen werden, das bereits in den Jahren 2014 und 2017 Reformansätze analysierte. Das FSB erkannte zunächst eine Notwendigkeit für unterschiedliche Referenzzinssätze sowie für Referenzzinssätze, die kein Kreditrisiko einpreisen (sog. risikofreier Referenzzinssatz oder RFR). Diese sog. RFRs eignen sich insbesondere für verschiedenste Derivate. Arbeitsgruppen in zahlreichen Ländern befassen sich seitdem mit der Identifizierung bzw. Ausarbeitung geeigneter RFRs. In England wird z. B. seit dem 23. April 2018 eine reformierte Fassung des Sterling Overnight Index Average (SONIA) publiziert. Für den US-Dollar erfolgt seit April 2018 eine Ermittlung des Secured Overnight Financing Rate (SOFR) und auch für den Euro soll vor dem Jahr 2020 die Publizierung eines Zinssatzes für täglich fällige unbesicherte Einlagen mit der Bezeichnung ESTER (euro shortterm rate) erfolgen.

Unabhängig von einer laufenden Konkretisierung der sog. RFRs verbietet sich ihre unmittelbare Übertragung auf Finanzprodukte, die bis heute auf den LIBOR rekurrieren. Der LIBOR und die derzeit diskutierten RFRs weisen wesentliche Unterscheidungsmerkmale auf. So erfolgt die Ermittlung des LIBOR für verschiedene zeitliche Perioden und zu Beginn einer Zinsperiode. Die RFRs werden dagegen retroperspektivisch auf Basis abgeschlossener Transaktionen über Nacht ermittelt und beziehen sich regelmäßig auf kurzfristige Zeiträume. Es ist daher bereits jetzt deutlich, dass der LIBOR im Falle einer fehlenden Publizierung nicht deckungsgleich durch einen sog. RFR ersetzt werden kann.

Herausforderungen für Vertragsparteien eines Darlehensvertrages

Parteien eines Darlehensvertrages, der auf den LIBOR rekurriert und eine Laufzeit aufweist, die über den 31. Dezember 2021 hinausreicht, sollten der Thematik erhöhte Aufmerksamkeit widmen. Dies gilt sowohl für bereits bestehende als auch für neu abzuschließende Verträge. Die besondere Herausforderung besteht darin, dass der Vertrag auch das Risiko eines potentiellen Wegfalles des LIBOR angemessen abdecken sollte. Dies ist aktuell regelmäßig noch nicht der Fall.

Exemplarisch für eine marktübliche Gestaltung der Zinsklauseln können die Vertragsmuster der Loan Market Association (LMA) herangezogen werden. Im Einklang mit der internationalen Praxis sehen variabel verzinsliche Darlehen regelmäßig eine sog. Zinsgleitklausel vor. Der Zinssatz besteht demnach aus einem Referenzzinssatz und der Marge. Scheitert eine Ermittlung des Referenzzinssatzes, so bestimmen Vertragsmuster häufig verschiedene Ausweichoptionen, die von der Verwendung interpolierter oder historischer Zinssätze bis zur Einholung von Quotierungen explizit benannter Referenzbanken reichen. Keine dieser Lösungen führt im Falle eines dauerhaften Wegfalles des Referenzzinssatzes jedoch zu einer tragfähigen und befriedigenden Lösung. Der Verweis auf einen historischen Zinssatz verwandelt ein variabel verzinsliches Darlehen z. B. in ein festverzinsliches Darlehen. Auch die kontinuierliche Einholung von Quotierungen über Referenzbanken begegnet praktischen Bedenken, da die aktuelle Stellungnahme der FCA gerade belegt, dass bereits jetzt nur eine eingeschränkte Bereitschaft zur Übermittlung entsprechender Quotierungen besteht.

Bezogen auf bestehende Darlehensverträge stellt sich somit die Frage, wie mit diesem Risiko umgegangen werden soll. Eine ggf. notwendige Ergänzung der Zinsklauseln können die Vertragsparteien unproblematisch mittels einer Vertragsänderung vornehmen. Da die Diskussion um RFRs jedoch noch keinen hinreichenden Konkretisierungsgrad erreicht hat, ist eine entsprechende Änderung erst dann angezeigt, wenn die Ersetzung des LIBOR, die alternativen Zinssätze und ihre Berechnung rechtssicher feststehen. Marktteilnehmern ist daher anzuraten, sich zunächst einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Verträge eines Portfolios von dieser Thematik erfasst sind und welche Vertragsbestimmungen diese Verträge enthalten.

Ein vergleichbares Regelungsbedürfnis besteht auch für Neuverträge. In Ermangelung einer klaren Alternative zum LIBOR ist zunächst festzustellen, dass sich Verträge aktuell auch weiterhin uneingeschränkt auf marktübliche Referenzzinssätze beziehen. Dies lenkt das Augen-merk naturgemäß auf die Robustheit der soeben dargestellten vertraglichen Ausweichlösungen. In Einzelfällen können diese ggf. einen temporären Schutz darstellen, bedürfen jedoch einer genaueren Analyse. Zusätzlich wird bisweilen die Aufnahme von Klauseln empfohlen, die vertragliche Ergänzungsvereinbarungen an weniger anspruchsvolle Bedingungen knüpfen. Bei Darlehensverträgen soll z. B. der Austausch des Referenzzinssatzes nicht mehr die Zustimmung sämtlicher Darlehensgeber voraussetzen, sondern lediglich einer Mehrheit der Darlehensgeber. Die Vorteilhaftigkeit einer entsprechenden Klausel hängt jedoch zentral von der konkreten Position des Vertragspartners bzw. dem zugrundeliegenden Sachverhalt ab, sodass sich eine generelle Empfehlung verbietet.

Aus der Perspektive des Darlehensgebers stellt sich weiterhin die Frage, ob eine etwaige notwendige Auswechslung des Referenzzinssatzes mittels einer sog. Zinsanpassungsklausel erfolgen kann. Hierbei handelt es sich um ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Darlehensgebers, das eine Anpassung des Zinssatzes ermöglicht. Eine individualvertraglich vereinbarte Zinsanpassungsklausel kann durchaus für entsprechende Konstellationen fruchtbar gemacht werden. Rechtstatsächlich handelt es sich bei diesen Klauseln jedoch häufig um AGB, die sich an den §§ 307 ff. BGB messen lassen müssen. Die Rechtsprechung statuiert insoweit restriktive Voraussetzungen und fordert insbesondere eine hinreichende Transparenz der vertraglichen Gestaltung. Die Transparenz, die sich unter anderem auf die möglichen Auswirkungen einer Zinsanpassung bezieht, steht in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zur laufenden Debatte um eine Ersetzung des LIBOR und die konkrete Ausgestaltung. Bei der Abfassung entsprechender Klauseln bilden daher die aktuelle Diskussion um alternative Referenzzinssätze sowie die Anforderungen der Rechtsprechung die wesentlichen Leitplanken für die Formulierung entsprechender Klauseln.

Zusammenfassung

Die Ankündigung der FCA, Banken mit Ablauf des 31. Dezembers 2021 nicht zu einer Quotierung des LIBOR verpflichten zu wollen, sorgte und sorgt weiterhin für erhebliches Aufsehen. Auch wenn nicht feststeht, dass die Quotierung des LIBOR im Jahr 2022 sofort wegfällt, laufen die Vorbereitungen für eine Ersetzung des weltweit verbreiteten Referenzzinssatzes auf Hochtouren. Für Parteien von Darlehensverträgen, die auf den LIBOR rekurrieren und eine Laufzeit über den 31. Dezember 2021 hinaus aufweisen, ist daher eine Befassung mit dieser Thematik unerlässlich. Neben einer genauen Bestandsaufnahme, welche Verträge eines Portfolios von dieser Thematik erfasst sind, ist eine Analyse der jeweiligen Vertragsregelungen angezeigt, die einem etwaigen Wegfall des Referenzzinssatzes gewidmet sind. Bei Neuverträgen verdienen die vertraglichen Ausweichlösungen besondere Beachtung. In Einzelfällen können diese bereits einen zumindest temporären Schutz gewähren. In Abhängigkeit von der laufenden Konkretisierung der alternativen Referenzzinssätze können zudem ggf. Zinsanpassungsklauseln fruchtbar gemacht werden.


Dieser Artikel ist Teil des Updates Banking & Finance, welches Sie hier abonnieren können.

London InterBank Offered Rate (LIBOR) – Anfang vom Ende eines Referenzzinssatzes
Newsletter
Update Banking&Finance, August 2018
Download
PDF 982 kB

Autoren

Foto vonAndré Frischemeier
Dr. André Frischemeier
Partner
Frankfurt