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Über Geschmack lässt sich doch streiten

Update Gewerblicher Rechtschutz & Kartellrecht 12/2018

Dezember 2018

Dass menschliches Geschmacksempfinden subjektiv ist, bewahrt die Lebensmittelindustrie (vorerst) vor einer Revolution: Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 13. November 2018 (C-130 / 17, Levola Hengelo BV / Smilde Foods BV) entschieden, dass der Geschmack eines Lebensmittels nicht urheberrechtlich geschützt ist.

Im niederländischen Ausgangsverfahren streiten zwei Lebensmittelhersteller über die urheberrechtliche Schutzfähigkeit des Geschmacks von Streichkäse. Es handelt sich um einen typischen Konflikt in der Branche: Auf der eine Seite steht der Hersteller des Markenartikels, auf der anderen Seite der Hersteller des später eingeführten Nachahmerprodukts (sogenannte „me-too“-Produkte).

Der Markenartikel wird unter dem Namen „Heks’nkaas“ von der Levola Hengelo BV (Klägerin) seit 2012 produziert und über niederländische Supermärkte vertrieben. Laut der Klägerin stammt das Originalrezept des „Heks’nkaas“ von einem niederländischen Gemüse- und Frischwarenhändler. Von diesem ließ sie sich 2011 sämtliche Rechte, einschließlich des Urheberrechts in Bezug auf Rezept, Zubereitungsmethode und die geschmacksempfindlichen Merkmale des Streichkäses gegen eine Umsatzbeteiligung exklusiv einräumen. Bereits ein Jahr nach der Markteinführung verkaufte die Klägerin vier Millionen Becher „Heks’nkaas“ über niederländische Supermärkte. 2014 brachte sodann die Smilde Foods BV (Beklagte) ihren Streichkäse mit dem Namen „Witte Wievenkaas“ auf den Markt und vertreibt ihn seitdem vor allem über den Discounter Aldi.

Mit der Begründung, der Geschmack des „Witte Wievenkaas“ sei eine unberechtigte urheberrechtliche Vervielfältigung des Geschmacks ihres „Heks’nkaas“, erhob die Levola Hengelo BV gegen die Smilde Foods BV daraufhin vor einem niederländischen Gericht (Rechtbank Gelderland) Klage und verlangte Unterlassung und Schadenersatz. Das Gericht wies die Klage zwar ab, ließ die Frage der Schutzfähigkeit des Geschmacks jedoch offen, da die Klägerin in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend dargelegt habe, welche Elemente des Geschmacks den urheberrechtlichen Schutz des „Heks’nkaas“ genau begründeten.

Die Levola Hengelo BV legte daraufhin beim Gerechtshof Arnhem-Leeuwarden Berufung ein. Nach Auffassung der Berufungsinstanz komme es genau auf die Frage an, ob der Geschmack des „Heks’nkaas“ urheberrechtlich geschützt sei. Infolge der (Teil-)Harmoni­sierung des Urheberrechts handele es sich dabei vor allem um eine Frage der Auslegung von Unionsrecht. Da die Rechtsprechung der nationalen Obergerichte in der Europäischen Union in Bezug auf die vergleichbare Frage der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Düften außerdem uneinheitlich sei, legte das Gericht dem EuGH (unter anderem) die Frage vor, ob der Geschmack eines Lebensmittels nach Unionsrecht urheberrechtlichen Schutz genieße und die nationalen Vorschriften entsprechend ausgelegt werden müssten.

Das verneinte der EuGH nunmehr und schloss sich damit im Ergebnis dem ablehnenden Votum des Generalanwalts Melchior Wathelet in seinem Schlussantrag vom 25. Juli 2018 an. Nach Auffassung des EuGH ist der Geschmack kein urheberrechtliches „Werk“ im Sinne der Richtlinie 2001 / 29.

Um als urheberrechtlich geschütztes Werk qualifiziert zu werden, sei eine präzise und objektivierbare Ausdrucksform erforderlich. Nur so sei es dem Rechtsverkehr möglich, verschiedene Werke miteinander zu vergleichen und genau zu identifizieren, was zu Gunsten Dritter geschützt sei. Anders als bei akustisch und visuell wahrgenommenen Werken, wie literarischen, bildnerischen, filmischen oder musikalischen Schöpfungen, könne Geschmack nicht präzise objektivierbar identifiziert werden. Vielmehr hänge der Geschmack von subjektiven und veränderlichen Faktoren ab, wie etwa Alter, Ernährungsvorlieben und Konsumgewohnheiten der jeweiligen Person. Ergänzend begründet der EuGH seine Entscheidung außerdem damit, dass es zumindest gegenwärtig auch mit technischen Mitteln nicht möglich sei, den Geschmack eines Lebensmittels genau und objektiv zu identifizieren.

Ein urheberrechtlicher Schutz des Geschmacks über das Rezept des Lebensmittels scheide außerdem aus, da das Rezept nur den Weg zum Ziel (Geschmack) beschreibe, nicht aber den Geschmack selbst ausdrücke. Da aber generell (auch nach den insoweit ebenso maßgeblichen völkerrechtlichen Verträgen, dem WIPO-Urheberrechtsvertrag und der Berner Übereinkunft) weder Ideen noch Verfahren und Arbeitsweisen als solche urheberrechtlichen Schutz genössen, könne auch das Rezept nicht die Schutzfähigkeit des Geschmacks begründen.

Der EuGH erspart es damit der gesamten Branche, die Herstellung und Vermarktung jedes einzelnen Produkts neu zu legitimieren: Wäre ein urheberrechtlicher Schutz von Geschmack anerkannt worden – und das für ein Allerweltsprodukt wie Streichkäse –, wäre wohl jedes verarbeitete Lebensmittel in der EU auf den Prüfstand gekommen: Wer hat den Geschmack entwickelt? Haben die Unternehmen die erforderlichen Rechte von ihren Arbeitnehmern erworben? Was gilt im Falle von Parallelschöpfungen? Neue Markteinführungen wären damit noch aufwändiger geworden, als sie es ohnehin sind, zumal es Register und andere zuverlässige Recherchemöglichkeiten für den Geschmack von Lebensmitteln nicht gibt.

Die Entscheidung des EuGH lässt allerdings auch erkennen, dass sich diese Fragen künftig doch noch stellen könnten. Wenn nämlich die technische Entwicklung so weit fortgeschritten ist, dass der Geschmack von Lebensmitteln „gemessen“ werden kann, wäre es unter Umständen möglich, einen bestimmten Geschmack objektiv zu identifizieren und festzustellen, ob er die Kopie eines anderen ist. Durch eine solche technische Weiterentwicklung könnte das Ergebnis der Lebensmittelherstellung zu einer eigenständigen urheberrechtlichen Ausdrucksform werden und – ausgehend von den Ausführungen des EuGH in seiner Entscheidung – vielleicht doch noch als Werk im Sinne des Unionsrechts zu qualifizieren sein. Nach welchen Kriterien dann die für urheberrechtlichen Schutz notwendige Schöpfungshöhe eines Geschmacks zu ermitteln wäre und ob diese sogar im Falle eines Streichkäses erreicht sein könnte, wären dann die nächsten Fragen, über die gegebenenfalls wieder der EuGH zu entscheiden hätte.

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Dr. Heike Blank
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Martin-Lukas Landmann
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