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Update Commercial 09/16

September 2016

Aktuelle Rechtsprechung

Tragung der jeweils eigenen Entwicklungskosten in einem Forschungs- und Entwicklungsvertrag steht der Haftung für Mängel entgegen
(BGH, Urteil vom 5. April 2016 – X ZR 8/13)

  • Haben die Parteien eines Forschungs- und Entwicklungsvertrags vereinbart, dass jede Partei mit den von ihr getragenen Entwicklungskosten belastet bleibt, wenn die Entwicklung eines marktfähigen Produkts scheitert, kommt eine Einstandspflicht einer Partei für einen unentdeckt gebliebenen, der Fertigstellung der Entwicklung entgegenstehenden Mangel des dem Vertrag zugrunde liegenden technischen Konzepts regelmäßig nicht in Betracht.
  • Überträgt eine Partei des Forschungs- und Entwicklungsvertrags ihre vertragliche Rechtsposition mit Zustimmung der anderen Vertragspartei entgeltlich auf einen Dritten, stellt ein solcher konzeptioneller Mangel, sofern er weiterhin unentdeckt geblieben ist, weder ohne Weiteres einen Fehler des übertragenen Rechts dar, noch berechtigt er den Zessionar ohne Weiteres dazu, sich vom Übertragungsvertrag zu lösen oder die vereinbarte Gegenleistung zu verweigern.
     
    Praxistipp: Das Urteil des BGH macht ganz deutlich, wie entscheidend es in Forschungs- und Entwicklungsverträgen ist, bereits bei Vertragsschluss präzise zu vereinbaren, welche Vorentwicklungen und welche Leistungen die einzelnen Parteien in die Forschungs- und Entwicklungspartnerschaft einbringen. Im konkreten Fall hatten die Parteien dies nicht beherzigt. Es galt dann für das Gericht, u. a. aufgrund von Zeugenaussagen, zu ermitteln, was diesbezüglich konkret vereinbart worden war.

OLG Hamm: sehr HV-freundliches Urteil zum Thema „Kassenpacht“
(OLG Hamm, Urt. v. 17.6.2016 – 12 U 165/15)

  • Im beschiedenen Fall ist die Handelsvertretertätigkeit des Klägers im Wesentlichen vollständig über das Stationscomputersystem abgewickelt worden. Das umfasste neben der Preisgestaltung und Anpreisung der Agenturware das Zustandekommen und die Zahlungsabwicklung der vermittelten Geschäfte. Dies konnte nur über das System aus Hard- und Software erfolgen. Bei Gesamtbetrachtung erweist sich das Stationscomputersystem daher als zentrale Steuerungseinheit der Handelsvertretertätigkeit. Ohne die Kombination der Hardwarekomponenten und der für Tankstellenbetriebe standardisierten und ausschließlichen Software war dem Kläger eine erfolgreiche Handelsvertretertätigkeit in diesem Bereich nicht möglich.
  • Vorliegend ist der Schwerpunkt des Funktionszwecks des über ein bloßes Kassensystem hinausgehenden Stationscomputersystems dann in der das Agenturgeschäft betreffenden Handelsvertretertätigkeit des Klägers zu sehen. Vertragsgegenstand war die Nutzung eines zu einem einheitlichen Preis angebotenen, auf die Bedürfnisse des Handelsvertreters abgestimmten Hard- und Softwarepakets. Dabei handelt es sich aus den genannten Gründen um ein einheitliches Produkt. Dass dieses teilweise auch der vom Kläger gemäß § 87 d HGB grundsätzlich selbst zu finanzierenden allgemeinen Büroorganisation zugerechnet werden kann, führt deshalb nicht dazu, dass der Kläger einen Teil des Nutzungsentgelts schuldet (vgl. BGH NJW 2011, 2423, Tz. 30).
     
    Praxistipp: Das OLG Hamm geht damit weiter, als dies zuvor das OLG Schleswig getan hatte (vgl. hier und Update Commercial Mai 2016). Das Thema Kassenpacht beschäftigt derzeit immer wieder die Gerichte (auch bereits 2015 - hier und Update Commercial Sept. 2015). Auch dieses Urteil gewährt jedoch keine Erstattung aller Gegenleistungen für die bereitgestellte EDV. Nicht erstattungsfähig sei nämlich auch in diesem Fall das Entgelt für die Überlassung eines MDE-Geräts (hier ein mobiler Barcode-Scanner). Denn insoweit sei die Vereinbarung wirksam, weil die Überlassung des Geräts lediglich der Erleichterung des Eigengeschäfts diene und daher nicht „erforderlich“ im Sinne des § 86 a Abs. 1 HGB sei.

Rechtswahlklausel auf Unternehmersitzland in B2C-AGB unwirksam, wenn Irreführung über Art. 6 Abs. 2 Rom-I
(EuGH, Urteil v. 28.07.2016 – Rs. C-191/15)

  • Vermittelt eine Klausel in B2C-AGB dem Verbraucher den Eindruck, dass auf den Vertrag nur das Recht des Mitgliedstaats des Unternehmers anwendbar ist, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 593/2008 auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des sonst anwendbaren Rechts genießt, so ist die Klausel bei einem elektronisch geschlossenen Vertrag wegen Irreführung unwirksam.
     
    Praxistipp: Für Deutschland ist dieses Urteil nicht neu, denn der BGH hat schon 2012 so geurteilt (BGH, Urt. v. 19.07.2012 – I ZR 40/11). Unternehmen, die auch in anderen EU-Mitgliedstaaten gegenüber Verbrauchern AGB einsetzen, die undifferenziert auf das Recht des deutschen Unternehmens verweisen, verwenden nun in all diesen Ländern unwirksame Klauseln und können dafür abgemahnt werden. Es ist zumindest zweifelhaft, ob eine sehr knappe, differenzierende Klausel aus Transparenzgesichtspunkten genügt, die „die zwingenden verbraucherschützenden Vorschriften“ des Rechts des Verbrauchers und „im Übrigen“ das Recht des Unternehmers für anwendbar erklärt. Es wird wohl eine ausführlichere und ausdifferenziertere Klausel für eine rechtssichere Lösung erforderlich sein.

Zur Anfechtung, wenn sich die Shop-Software „verrechnet“
(OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.05.2016 – I-16 U 72/15)

  • Die Anfechtung eines aufgrund einer fehlerhaften Preisauszeichnung in einem Online-Shop zu Stande gekommenen Vertrages wegen Erklärungsirrtums setzt neben der Darlegung einer ungewollten Preisangabe auch die konkrete Darlegung voraus, dass das Auseinanderfallen des inneren Willens und des äußeren Erklärungstatbestandes auf einem Fehler bei der Dateneingabe oder -weiterleitung beruht, da andernfalls auch ein nicht zur Anfechtung berechtigender Kalkulationsirrtum in Betracht kommt.
  • Der Kunde, der seinen Vertrag über einen Online-Shop abschließt, kann sich bei einem aufgrund fehlerhafter Kalkulation mit einem deutlich zu niedrigen Preis ausgezeichneten Vertragsgegenstand nach § 242 BGB jedenfalls dann nicht auf den Vertrag berufen, wenn er bei Vertragsschluss die fehlerhafte Preisangabe positiv erkannt hat und die Vertragsdurchführung für den Verkäufer schlechthin unzumutbar ist. Das bloße Erkennen der fehlerhaften Preisangabe allein reicht hingegen zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht aus (anders OLG München, Beschluss vom 15.11.2002, 19 W 2631/02).
     
    Praxistipp: Es kommt bei der Anfechtung wegen Irrtums immer sehr auf die Einzelheiten des konkreten Falls an. Der BGH hatte 2005 in einer berühmten Entscheidung geurteilt, dass im Falle einer falschen Kaufpreisauszeichnung im Internet aufgrund einer unerkannt fehlerhaften Software eine Anfechtung wegen Erklärungsirrtums in Betracht kommen kann. Auf diese Rechtsprechung hat es das OLG hier gar nicht ankommen lassen, weil nach der Auffassung des Gerichts ein seltener Fall von einem groben Verstoß gegen das vertragliche „Fair Play“ nach § 242 BGB vorlag. Es wurden hier Stromgeneratoren im Wert von 2.600 Euro versehentlich für 24 Euro angeboten (wohl aufgrund menschlichen Versehens bei der „Online-Eingabe“ der Preise, aber letztlich ungeklärt), was ein Kunde erkannte und zehn Geräte auf einmal nur deshalb bestellte, um sie gewinnbringend weiterzuverkaufen.

BGH präzisiert Anforderungen an die Fristsetzung zur Nacherfüllung im Kaufrecht
(BGH, Urt. vom 13.7.2016 – VIII ZR 49/15)

  • Bei der Beurteilung, ob eine vom Käufer zur Nacherfüllung bestimmte Frist ange-messen ist, ist – in den Grenzen des § 475 Abs. 1 BGB – in erster Linie eine Vereinbarung der Parteien maßgeblich. Dabei darf der Käufer eine vom Verkäufer selbst angegebene Frist als angemessen ansehen, auch wenn sie objektiv zu kurz ist.
  • Für eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß § 323 Abs. 1, § 281 Abs. 1 BGB genügt es, wenn der Gläubiger durch das Verlangen nach sofortiger, unverzüglicher oder umgehender Leistung oder durch vergleichbare Formulierungen – hier ein Verlangen nach schneller Behebung gerügter Mängel – deutlich macht, dass dem Schuldner für die Erfüllung nur ein begrenzter (bestimmbarer) Zeitraum zur Verfügung steht. Der Angabe eines bestimmten Zeitraums oder eines bestimmten (End-)Termins bedarf es nicht.
     
    Praxistipp: Das Urteil macht deutlich, dass sich jeder Verkäufer durch unnötige Angaben zu dem Zeitraum der Nacherfüllung selbst in Probleme bringen kann. An seinen eigenen Angaben muss er sich festhalten lassen, auch wenn sie versehentlich viel zu kurz geraten sind und die Nachbesserung in dem Zeitrahmen objektiv unmöglich ist. Verkäufer sollten daher grundsätzlich keine definitiven Angaben dazu machen, wie viel Zeit die Nachbesserung oder Nachlieferung (d. h. Reparatur oder Austausch der Ware) benötigen werden.

Unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen für kartellrechtliche Zuwiderhandlungen eines selbstständigen Dienstleisters haftet
(EuGH, Urt. v. 21.07.2016 – Rs. C-542/14, VM Remonts)

  • Der Dienstleister war in Wirklichkeit unter der Leitung oder Kontrolle des Unternehmens tätig (beispielsweise Scheinselbstständiger) oder
  • das Unternehmen hatte von den wettbewerbswidrigen Zielen des Dienstleisters Kenntnis und wollte durch sein eigenes Verhalten dazu beitragen oder
  • das Unternehmen konnte das wettbewerbswidrige Verhalten des Dienstleisters vernünftigerweise vorhersehen und war bereit, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.
     
    Praxistipp: Gemessen am deutschen Bußgeldrecht ist das Urteil überraschend, nicht jedoch aus Sicht des EU-Rechts. Dort ist anerkannt, dass ein Unternehmen auch für kartellrechtliche Zuwiderhandlungen von Personen handelt, die sich auch als „Dritte“ im juristischen Sinn begreifen lassen. Dies gilt seit Langem für das Verhältnis von einer Muttergesellschaft zur Tochtergesellschaft. Seit Kurzem kann dies aber auch unter Umständen auf das Verhältnis eines Prinzipals zu seinem Handelsvertreter zutreffen (wir hatten berichtet). Nunmehr hat der EuGH den Grundsatz auch noch auf das Verhältnis von einem Unternehmer zu einem selbstständigen Dienstleister erstreckt. Die Entscheidung macht deutlich, dass diese Haftung sehr weit reichen kann. Faustformelartig lässt sich aus dem Urteil folgende Handlungsanweisung für die Praxis ableiten: Immer dann, wenn ein Unternehmen Anhaltspunkte dafür hat, dass ein von ihm beauftragter Dienstleister sich bei Durchführung des Auftrags in irgendeiner Weise wettbewerbswidrig verhält, muss es der Sache nachgehen und ggf. Konsequenzen ziehen, um nicht selbst ein Bußgeld zu kassieren.

Gesetzgebung und Trends

EU-Know-how-Schutz-Richtlinie verabschiedet: neue Definition von Geschäftsgeheimnissen mit Folgen für Unternehmen
(Richtlinie über Geschäftsgeheimnisse)

  • Die Richtlinie, die den Rechtsrahmen für Know-how-Schutz in der EU vereinheitlichen soll, wartet aus deutscher Sicht mit ein paar Überraschungen auf: So ist beispielsweise das sog. Reverse Engineering uneingeschränkt zulässig.
  • Nach der zentralen neuen Definition eines Geschäftsgeheimnisses fallen unter den Begriff nur solche Informationen, die geheim sind, deshalb einen kommerziellen Wert aufweisen und Gegenstand angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen des Geheimnisträgers sind.
     
    Praxistipp: Gerade das letztgenannte Definitionskriterium bringt im Vergleich zur derzeit in Deutschland geltenden Rechtslage zusätzliche Anforderungen für Unternehmen mit sich. In den Genuss des Rechtsschutzes kommen diese in ca. zwei Jahren nur noch, wenn sie hinreichende Maßnahmen zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse ergriffen haben und diese auch nachweisen können. Ob Ihr Unternehmen schon jetzt den neuen Anforderungen genügt, können Sie binnen zehn Minuten mit unserem kostenlosen „Online-Stresstest“ feststellen.

Autoren

Foto vonDietmar Rahlmeyer
Dr. Dietmar Rahlmeyer
Partner
Düsseldorf