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Zivilrechtsreform in Russland – Modernisierung des Gesellschaftsrechts

September 2015

Die Reformierung des russischen Gesellschaftsrechts schreitet voran. Am 29. Juni 2015 wurden neue Regelungen verabschiedet, durch welche die Staatsduma noch vor der Sommerpause die Spezialgesetze im Gesellschaftsrecht an das bereits reformierte Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation angepasst hat. So wurde insbesondere das Föderale Gesetz Nr. 208-FZ „Über Aktiengesellschaften“ umfassend reformiert.

Die Änderungen betreffen im Wesentlichen:

  • Öffentliche und nichtöffentliche Aktiengesellschaften
  • Verwendung einer Mustersatzung
  • Gesellschaftervereinbarungen
  • Durchgriffshaftung

Darüber hinaus sind weitere Änderungen enthalten.

Einteilung in öffentliche und nicht öffentliche Aktiengesellschaften

Die Einteilung von Aktiengesellschaften in geschlossene (ZAO) und offene (OAO) Aktiengesellschaften wurde bereits im September 2014 abgeschafft. Ersetzt wurden diese durch öffentliche Aktiengesellschaften (PAO) und nicht öffentliche Aktiengesellschaften (AO). Die neuen Vorschriften regeln nun das Verfahren und die Bedingungen für den Wechsel von einer nicht öffentlichen zur öffentlichen Aktiengesellschaft und umgekehrt.

Für die Umwandlung in eine öffentliche Aktiengesellschaft ist eine Dreiviertelmehrheit aller Stimmen in der Hauptversammlung erforderlich, soweit in der Satzung nichts anderes bestimmt ist. Für den Wechsel zu einer AO müssen die Aktien der Gesellschaft vom öffentlichen Handel zurückgezogen oder die Gesellschaft muss von der Pflicht zur Offenlegung von Informationen über ihre Wertpapiere befreit werden.

Die Aktien und Emissionspapiere einer PAO werden öffentlich gehandelt und sind einer unbegrenzten Anzahl von Personen zugänglich. Das Grundkapital beträgt RUB 100.000. Die PAO hat hinsichtlich der Geschäftsführung, der Veräußerung von Aktien und der Informationspflichten strenge Vorschriften zu beachten.

Eine nicht öffentliche Aktiengesellschaft ist dagegen flexibler. In die Satzung einer AO können nun die folgenden Regelungen in Abweichung von zwingendem Recht aufgenommen werden:

  • Vorkaufsrecht an Aktien zugunsten der Gesellschafter oder der Gesellschaft zu einem in der Satzung bestimmten Preis
  • Recht der Gesellschafter auf Rückkauf von Aktien
  • Einschränkung der Anzahl von Aktien, die sich im Eigentum eines Aktionärs befinden, und des Aktienwertes sowie des Stimmrechts des Aktionärs
  • Zustimmungspflicht der Aktionäre zur Veräußerung von Aktien an Dritte
  • Erweiterung der Stimmrechte der Inhaber von Vorzugsaktien hinsichtlich Fragen, die in die Kompetenz der Hauptversammlung fallen

Das Grundkapital einer AO muss mindestens RUB 10.000 betragen. Bei der ZAO war die Anzahl der Gesellschafter auf 50 beschränkt. Diese Beschränkung gilt für die AO nicht mehr. Diese muss jedoch ihre Jahres- und Finanzberichte offenlegen, sofern die Anzahl der Aktionäre 50 übersteigt.

Verwendung einer Mustersatzung

Jede juristische Person kann gemäß den neuen Regelungen eine Mustersatzung übernehmen; diese wird von der zuständigen Registrierungsbehörde erstellt und veröffentlicht. Im Unterschied zu einer von der Gesellschaft beschlossenen Satzung enthält die Mustersatzung keine Angaben zur Firma, zum Sitz oder zum Kapital einer Gesellschaft. Diese Daten werden nur in das staatliche Unternehmensregister eingetragen. Die Gesellschafter einer bestehenden Gesellschaft können jederzeit die Verwendung der Mustersatzung beschließen. Auch ist es jederzeit möglich, die typisierte Satzung aufzugeben und eine eigene Satzung zu beschließen.

Die Übernahme der Mustersatzung muss lediglich bei dem zuständigen Register angemeldet werden und bringt einige Organisationsvorteile mit sich. Die Anmeldung, Reorganisation oder Umstrukturierung einer Gesellschaft wird unter Verwendung der Mustersatzung einfacher und kostengünstiger.

Gesellschaftervereinbarungen („korporativnyj dogovor“)

Der Abschluss von Gesellschaftervereinbarungen zwischen den Gesellschaftern untereinander oder zwischen Gesellschaftern und Dritten (z.B. Gläubigern) ist im russischen Recht schon seit einigen Jahren zulässig. Durch diese Vereinbarungen kann beispielsweise die Abstimmung in den Hauptversammlungen oder der Erwerb bzw. die Veräußerung von Anteilen an der Gesellschaft zu einem bestimmten Preis oder unter bestimmten Bedingungen geregelt werden.

Neu geregelt sind die Folgen von Verstößen gegen eine solche Vereinbarung. Diese können sogar zur Nichtigkeit von Gesellschaftsbeschlüssen führen. Die Parteien müssen zudem die Gesellschaft über den Abschluss einer Gesellschaftervereinbarung innerhalb einer Frist von 15 Tagen benachrichtigen. Andernfalls können sie sich gegenüber den anderen Gesellschaftern schadensersatzpflichtig machen.

Durchgriffshaftung

Die gesamtschuldnerische Haftung der Muttergesellschaft für die Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft wurde bereits im September 2014 neu geregelt und verschärft. Danach besteht die Haftung der Muttergesellschaft nicht nur aus solchen Verträgen, die auf direkte Anweisung der Mutter zustande gekommen sind, sondern auch für Verträge der Tochtergesellschaft, die mit Einverständnis der Muttergesellschaft geschlossen wurden.

Die neuen Reformen haben nun Klarheit hinsichtlich der Frage gebracht, welche Qualität ein solches Einverständnis haben muss. Entgegen dem früheren unklaren Gesetzeswortlaut wird die Haftung nicht bereits durch jede Genehmigung der Vereinbarung der Tochtergesellschaft ausgelöst. Jetzt stellt der Gesetzgeber klar, dass die Durchgriffshaftung nicht eingreift, wenn die Muttergesellschaft für den Vertragsschluss auf der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft gestimmt hat oder das Einverständnis von einem Führungsorgan der Muttergesellschaft abgegeben wurde, vorausgesetzt, dass die Abgabe eines solchen Einverständnisses in einer der Satzungen vorgesehen war. Somit hat sich das Haftungsrisiko der Muttergesellschaft im Falle ihres Einverständnisses verringert. Die Haftung greift nur ein, sofern die Zustimmung erteilt wurde, obwohl der Vertragsschluss gemäß den Satzungen der beiden Gesellschaften nicht zustimmungspflichtig war.

Weitere Änderungen ab 1. Juli 2016

  • Die Aktionärsversammlung einer AO ist ab dem 1. Juli 2016 befugt, Beschlüsse zu fassen, die nicht auf der Tagesordnung stehen, wenn bei der Beschlussfassung oder bei der Tagesordnungsänderung alle Aktionäre anwesend sind.
  • Die Teilnahme an der Hauptversammlung wird auch mithilfe von Ferntelekommunikationsmitteln (ohne räumliche Präsenz) mit elektronischer Stimmabgabe erlaubt.
  • Die Einladung zur Hauptversammlung wird ebenfalls an die modernen Technologien angepasst. Neben der Einladung per Einschreiben kann in der Satzung einer Aktiengesellschaft auch die Zulässigkeit der Einladung per E-Mail, SMS oder durch Veröffentlichung auf der offiziellen Website der Gesellschaft geregelt werden.
  • Neue Mitteilungspflichten werden für Aktionäre eingeführt, die sich gegen eine Entscheidung der Gesellschaft gerichtlich wehren oder diese auf Schadensersatz verklagen wollen. Die Mitteilung an die Gesellschaft sollte fünf Tage vor dem beabsichtigten Einreichen der Klage erfolgen. Nach der Verfahrenseröffnung müssen alle Aktionäre innerhalb von drei Tagen benachrichtigt werden.

Fazit

Viele Unsicherheiten, die die großen gesellschaftsrechtlichen Änderungen des russischen ZGB mit sich brachten, wurden nun beseitigt. Das neue Gesellschaftsrecht bietet den Unternehmen mehr Flexibilität bei der Wahl der Rechtsform und Organisationsgestaltung.

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