Home / Veröffentlichungen / Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber...

Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber als Voraussetzung für Selbstreinigung – die Vergabekammer Westfalen macht ernst!

Update Real Estate & Public 09/2019

September 2019

Hintergrund

Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin (die Stadt Münster) schrieb die Beschaffung von LKW-Fahrgestellen und Entsorgungsaufbauten für Müllfahrzeuge europaweit im offenen Verfahren aus. Hieran beteiligte sich die spätere Antragstellerin (die Firma Daimler) mit einem Angebot. Die Antragstellerin war mit anderen Unternehmen am LKW-Kartell beteiligt, was mit Bußgeldbescheid der EU-Kommission vom 19.07.2016 geahndet wurde. Bereits Strafe regte die Antragsgegnerin deshalb die Aufnahme von außergerichtlichen Verhandlungen über eine Kompensation ihres Kartellschadens an.

Im Vergabeverfahren kam es zu umfangreicher Korrespondenz zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin. In dieser vertrat die Antragstellerin gestützt auf ein Sachverständigengutachten die Auffassung, dass der Antragsgegnerin kein finanzieller Schaden entstanden sei. Außerdem übergab die Antragstellerin der Antragsgegnerin eine nicht vertrauliche und gekürzte Fassung des Bußgeldbescheids der EU-Kommission, aus der sich ergab, dass die Antragstellerin sich generell bereit erklärt hatte, Schäden zu ersetzen, sofern und soweit diese durch ihre Beteiligung am LKW-Kartell entstanden seien. Des Weiteren legte sie Nachweise über Compliance-Maßnahmen zur Verhinderung der Beteiligung an weiteren Kartellen vor. Sie weigerte sich allerdings, der Antragsgegnerin die vertrauliche und nicht gekürzte Fassung des Bußgeldbescheids der EU-Kommission zu übergeben. Auch weigerte sie sich, der Antragsgegnerin konkretere Unterlagen zur Berechnung eines möglichen Schadens zukommen zu lassen.

Zwischen den Beteiligten wurde auch über die Konsequenzen einer Offenlegung der Beteiligung an weiteren Kartellen durch die Antragstellerin gestritten. Die VK Westfalen (Beschluss vom 25.04.2019, VK 2-41/18) stützte ihre Entscheidung allerdings allein auf den Bußgeldbescheid vom 19.07.2016.

Die Entscheidung

Die VK Westfalen hält den Ausschluss der Antragstellerin für rechtmäßig. Sie stützt sich dabei ganz wesentlich darauf, dass die Antragstellerin die nicht vertrauliche Fassung des Bußgeldbescheids nicht vorgelegt hat. Die Vorlage einer gekürzten nicht vertraulichen Fassung hält die VK Westfalen nicht für ausreichend, da diese nicht denselben Erkenntniswert biete. Die Antragstellerin habe es auch im Hinblick auf den anhänglichen Schadensersatzprozess hinzunehmen, wenn durch die Offenlegung der Sachverhaltsaufklärung im Bußgeldbescheid Kenntnisse über schadensersatzbegründete Umstände bei der Antragsgegnerin entstehen. Da die Selbstreinigung nicht verpflichtend sei, sei die Antragstellerin nicht gezwungen, eine Sachverhaltserklärung durchzuführen, könne dann aber auch im Gegenzug nicht erwarten, dass ohne eine solche ihre Zuverlässigkeit als wiederhergestellt angesehen werde. Der Blick in die vollständige Bußgeldentscheidung sei für den Auftraggeber notwendig, um einen ausreichenden Einblick in das festgestellte Fehlverhalten und die Maßnahmen der Selbstreinigung zu bekommen. Das von der Antragstellerin eingereichte Gutachten zur Schadenshöhe wird als unzureichend angesehen, da es sich nur mit Teilen der Kartellbeteiligung befasse. Da eine erfolgreiche Selbstreinigung nur möglich sei, wenn die Voraussetzungen in § 125 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 GWB kumulativ erfüllt seien, genüge der Umstand, dass die Antragstellerin bei der Aufklärung des Sachverhalts nicht ausreichend mit dem öffentlichen Auftraggeber zusammengearbeitet habe, um die von der Antragstellerin durchgeführte Selbstreinigung als nicht ausreichend anzusehen.

Ausdrücklich abgelehnt hat die VK Westfalen die Auffassung der Antragstellerin, dass die Vorgehensweise der Antragsgegnerin rechtsmissbräuchlich sei.

Auch die im Einzelnen dargestellte Ermessensausübung der Antragsgegnerin sei rechtlich nicht zu beanstanden gewesen. Insbesondere sei das Ermessen nicht dadurch gebunden gewesen, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin in Kenntnis ihrer Beteiligung am LKW-Kartell in der Vergangenheit Aufträge erteilt habe und auch andere öffentliche Auftraggeber die Selbstreinigung der Antragstellerin für ausreichend gehalten haben.

Schließlich sei auch die in § 126 Nr. 2 GWB enthaltene Dreijahresfrist eingehalten worden. Nach dem Urteil des EuGH vom 24.10.2018 (C 124/17 „Vossloh Laeis“) sei bei der Berechnung der Dreijahresfrist nicht auf die Begehung des Kartellverstoßes, sondern auf den Bußgeldbescheid abzustellen. Da dieser vom 19.07.2016 stammt, konnte sich die Antragsgegnerin bis zum 18.07.2019 auf den Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB stützen.

Praxistipp

Die VK Westfalen legt die EuGH-Rechtsprechung in Sachen „Vossloh Laeis“ streng und damit zu Ungunsten der Unternehmen aus. Sie hält sich gleichwohl in dem vom EuGH vorgegebenen Rahmen, da schon dieser die Verpflichtung zur Übergabe des Bußgeldbescheids bejaht hatte. Dass der EuGH damit nicht eine gekürzte Fassung gemeint hat, kann unterstellt werden. Unternehmen, die sich in der Vergangenheit an Kartellen beteiligt haben, die bereits durch Bußgeldbescheide geahndet wurden, müssen zukünftig immer befürchten, von Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden, wenn sie sich weigern, dem Auftraggeber den vertraulichen Bußgeldbescheid vorzulegen. Die Vorlage eines Sachverständigengutachtens, das nachweist, dass dem Auftraggeber kein Schaden entstanden ist, ist gefährlich, weil der Auftraggeber regelmäßig argumentieren können wird, dass der Bußgeldbescheid zur Sachverhaltsaufklärung zwingend erforderlich ist.

Dieser Artikel ist Teil des Update Real Estate & Public, das Sie hier abonnieren können.

Autoren

Foto vonVolkmar Wagner
Dr. Volkmar Wagner