13/04/2021
Gilt die Konformitätsvermutung für Medizinprodukte mit CE-Kennzeichnung...
Der OGH hat jüngst bestätigt, dass zumindest bei Medizinprodukten, die unter Einbindung einer benannten Stelle zertifiziert wurden, der Inverkehrbringer darauf vertrauen darf, dass sie den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. UWG-Ansprüche gegen den Inverkehrbringer scheiden daher aus. Dieser Beitrag erläutert die Entscheidung sowie die ihr zugrunde liegenden regulatorischen Rahmenbedingungen und beschäftigt sich auch damit, was in anders gelagerten Fallkonstellationen gilt, zb bei Medizinprodukten der Klasse I, die ohne Einbindung einer benannten Stelle vom Hersteller in Eigenverantwortung zertifiziert werden. A. Die Konformitätsvermutung für Medizinprodukte Bei Medizinprodukten gibt es anders als bei Arzneimitteln kein System der Zulassung durch eine staatliche Behörde, sondern der Hersteller bringt in Eigenverantwortung das CE-Kennzeichen auf dem Medizinprodukt an und bestätigt dadurch, dass es den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht.1 In vielen Fällen erfolgt die CE-Kennzeichnung jedoch unter Einbindung einer benannten Stelle. Hierbei handelt es sich um eine staatlich benannte und staatlich überwachte private Prüfstelle, die abhängig vom gewählten Konformitätsbewertungsverfahren die technische Dokumentation, jedes einzelne Produkt oder ein Baumuster prüft sowie das Qualitätsmanagementsystem auditiert, zertifiziert und überwacht.2 Die Einbindung einer benannten Stelle ist bei allen Produkten, die nicht der Klasse I zuzurechnen sind, verpflichtend.3 Die Verantwortung für die Konformität der Medizinprodukte mit den gesetzlichen Anforderungen liegt aber auch bei Einbindung einer benannten Stelle beim Hersteller. 4 1. Medizinprodukte-Richtlinie und In-vitro-Diagnostika Richtlinie Nach der Medizinprodukte-Richtlinie und der In-vitro-Diagnostika Richtlinie gilt für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika, die mit einem CE-Kennzeichen nach diesen Richtlinien versehen wurden, die Vermutung, dass sie den grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinien entsprechen und sich deshalb für ihren Verwendungszweck eignen (so genannte „Konformitätsvermutung“). Der freie Verkehr solcher Produkte in den Mitgliedstaaten darf daher nicht behindert werden.5Sowohl die Medizinprodukterichtlinie als auch die In-vitro-Diagnostika Verordnung ermöglichen es jedoch, die Konformitätsvermutung zu widerlegen.6 Wenn ein Mitgliedstaat feststellt, dass ein Medizinprodukt oder In-vitro-Diagnostikum die Gesundheit oder Sicherheit der Patienten, Anwender oder Dritter oder die Sicherheit von Eigentum gefährden können, kann er geeignete vorläufige Maßnahmen treffen, um diese Produkte vom Markt zu nehmen oder ihr Inverkehrbringen oder ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken. Der Mitgliedstaat hat der Kommission diese Maßnahmen unverzüglich unter Angabe der Gründe für seine Entscheidung mitzuteilen. Die Kommission entscheidet nach Anhörung der Parteien, ob die Maßnahme gerechtfertigt war und informiert den betreffenden Mitgliedstaat sowie gegebenenfalls die anderen Mitgliedstaaten sowie den Hersteller oder dessen Bevollmächtigten.7 Wenn sich herausstellt, dass ein Medizinprodukt trotz CE-Kennzeichnung nicht die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie erfüllt, muss der betreffende Mitgliedstaat die geeigneten Maßnahmen ergreifen und davon die Kommission sowie die übrigen Mitgliedstaaten unterrichten.8 Ferner muss der Hersteller bzw dessen Bevollmächtigter, wenn ein Mitgliedstaat feststellt, dass die CE-Kennzeichnung unberechtigterweise angebracht wurde, den Verstoß unter den von diesem Mitgliedstaat festgelegten Bedingungen abstellen.9 2. Österreichisches Medizinproduktegesetz Das österreichische Medizinproduktegesetz (MPG) setzt diese Vorgaben in den §§ 22-24 und 77 um. Gemäß § 22 Abs 1 MPG gilt bei Medizinprodukten, die mit der CE-Kennzeichnung versehen sind, grundsätzlich die Annahme, dass sie den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechen, „sofern diese nicht widerlegt wurde“. Der Gesetzestext geht damit von einer Widerlegbarkeit der Konformitätsvermutung10 aus und normiert in der Folge das Verfahren für eine solche Widerlegung. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) kann bei einem begründeten Verdacht, dass die CE-Kennzeichnungen entgegen den gesetzlichen Voraussetzungen angebracht wurde, geeignete Überwachungsmaßnahmen einleiten, das Produkt durch eine benannte Stelle oder einen Sachverständigen prüfen lassen und gegebenenfalls das weitere Inverkehrbringen des betreffenden Erzeugnisses einschränken oder untersagen.11 Der Bundesminister für Gesundheit hat über die getroffenen Maßnahmen die Kommission zu informieren. 12 B. Rechtsprechung des EuGH zur Konformitätsvermutung Der EuGH hat sich bereits mehrmals mit der Reichweite der Konformitätsvermutung und ihrer Widerlegung beschäftigt. 1. Rechtssache Medipac-Kazantzidis In der Rechtssache Medipac-Kazantzidis13 stellte sich diese Fragen im Zuge eines Vergabeverfahrens für die Lieferung von mit CE-Kennzeichnungen versehenem chirurgischen Nahtmaterial an ein öffentliches Krankenhaus. In der Ausschreibung war festgelegt, dass das Material gemäß dem Europäischen Arzneibuch zertifiziert sein und eine CE- Kennzeichnung tragen musste. Zuschlagskriterium sollte das niedrigste Angebot sein. Medipac gehörte zu den neun Unternehmen, die ein Angebot abgaben. Das von Medipac angebotene Material war – wie von der Ausschreibung gefordert – gemäß dem Europäischen Arzneibuch zertifiziert und mit einer CE-Kennzeichnung versehen. Dennoch wurde es vom Verfahren ausgeschlossen, mit der Begründung, dass es nicht den technischen Spezifikationen der Ausschreibung entspreche. Im Zuge des Widerspruchs von Medipac gegen diese Entscheidung wurde dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob ein öffentlicher Auftraggeber Medizinprodukte wegen technischer Unzulänglichkeit aus einem Vergabeverfahren ausscheiden kann, wenn diese eine CE-Kennzeichnung nach der Medizinprodukte-Richtlinie aufweisen. Der EuGH verneinte diese Frage. Er verwies zunächst auf die in der Medizinprodukte-Richtlinie festgelegte Konformitätsvermutung. Demnach sei davon auszugehen, dass Medizinprodukte, die den harmonisierten Normen entsprechen und gemäß den Verfahren der Richtlinie zertifiziert worden sind, diese grundlegenden Anforderungen erfüllen und sich für ihren Verwendungszweck eignen. Stellt sich heraus, dass ein mit der CE-Kennzeichnung versehenes Medizinprodukt nicht die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie erfüllt, muss der betreffende Mitgliedstaat nach Art 8 Abs 3 der Richtlinie die geeigneten Maßnahmen ergreifen und davon die Kommission sowie die übrigen Mitgliedstaaten unterrichten. Wenn angebotene Produkte beim öffentlichen Auftraggeber trotz CE-Kennzeichnung Bedenken hinsichtlich der Gesundheit oder Sicherheit der Patienten wecken, verwehren es überdies der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter und die Pflicht zur Transparenz zur Verhinderung von Willkür dem betreffenden öffentlichen Auftraggeber, selbst das fragliche Angebot direkt abzulehnen, und verpflichten ihn dazu, ein Verfahren wie das Schutzverfahren nach Art 8 der Medizinprodukte-Richtlinie einzuhalten, das eine objektive und unabhängige Beurteilung und Kontrolle der geltend gemachten Risiken gewährleistet. 2. Rechtssache Servoprax In der Rechtssache Servoprax14 bestätigte der EuGH diese Überlegungen für den Anwendungsbereich der In-vitro-Diagnostika Richtlinie. Die von Servoprax im Vereinigten Königreich eingekauften und in Deutschland wiederverkauften Teststreifen zur Blutzuckerselbstkontrolle waren mit der Angabe der Messeinheit „mmol/l“ versehen. Für diese Produkte hatte eine benannte Stelle im Vereinigten Königreich eine Konformitätsbewertung durchgeführt und sie trugen die CE-Kennzeichnung. Nun stellte sich das Problem, dass die von der Herstellerin für den deutschen Markt bestimmten Testtreifen neben der Messeinheit „mmol/l“ auch die Messeinheit „mg/dl“ aufwiesen. Servoprax hatte auf den von ihr in Deutschland vertriebenen Teststreifen überdies einen Aufkleber in deutscher Sprache angebracht und ihnen eine deutsche Gebrauchsanweisung beigefügt. Der EuGH hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Servoprax unter diesen Umständen die Teststreifen einer erneuten oder ergänzenden Konformitätsbewertung nach Art. 9 der Richtlinie unterziehen muss, bevor das Produkt in Deutschland in Verkehr gebracht werden kann. Der EuGH verneinte auch diese Frage unter Berufung auf die Konformitätsvermutung und die Möglichkeit, diese im Schutzverfahren zu widerlegen. Er betonte, dass die In-vitro-Diagnostika Richtlinie die grundlegenden Anforderungen harmonisiert, denen die in ihren Anwendungsbereich fallenden In-vitro-Diagnostika genügen müssen. Entsprechen die Produkte den harmonisierten Normen und sind sie gemäß den Verfahren der RL zertifiziert worden, ist zu vermuten, dass sie diese grundlegenden Anforderungen erfüllen, und deshalb anzunehmen, dass sie sich für ihren Verwendungszweck eignen. Art 4 Abs 1 der Richtlinie verbietet es den Mitgliedstaaten, das Inverkehrbringen von Produkten mit einer CE-Kennzeichnung zu behindern, wenn diese einer Konformitätsbewertung nach Art 9 der RL unterzogen worden sind. Die in der Richtlinie normierte Kombination aus Schutzverfahren sowie Beobachtungs- und Meldeverfahren ermögliche es, die Gesundheit und Sicherheit der Betroffenen zu schützen und dabei die Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs zu begrenzen, die entstünden, wenn die vorgeschriebenen Änderungen der Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung zur Erfüllung der sprachlichen Anforderungen des Einfuhrmitgliedstaats einer neuerlichen Konformitätsbewertung unterzogen werden müssten. Art 9 der In-vitro-Diagnostika Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er den Parallelimporteur eines Produkts mit einer CE-Kennzeichnung nicht verpflichtet, eine neue Bewertung vornehmen zu lassen.
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