Dank der seit 1.1.2015 bestehenden Möglichkeit der „Gesetzesbeschwerde1“ setzte sich der Verfassungsgerichtshof jüngst mit den unter Fachleuten schon seit Jahren diskutierten Fragen auseinander, ob der Lagezuschlag – oder genauer gesagt: der Ausschluss des Lagezuschlages in sogenannten Gründerzeitvierteln – und der Befristungsabschlag mit bestimmten Grundrechten, nämlich dem Gleichheitssatz, der Eigentumsfreiheit, der Erwerbsfreiheit und dem Legalitätsprinzip im Einklang stehen2.
Beim Richtwertsystem dient die sogenannte mietrechtliche Normwohnung als Ausgangslage für den für jede Wohnung konkret zu berechnenden Mietzins. Der Richtwert für diese Normwohnung errechnet sich je Bundesland aus einem Grundkostenanteil und einem Baukostenanteil für geförderte Neubauten und unterliegt einer 2-jährlichen Wertanpassung. Durch Zu- und Abschläge gelangt man zu dem für eine konkrete Wohnung zulässigen Mietzins.
Ein möglicher Zuschlag ist der sogenannte Lagezuschlag.3 Ein solcher steht aber nur dann zu, wenn die Wohnung eine überdurchschnittliche „Lage (Wohnumgebung)“ hat. Sogenannte Gründerzeitviertel4 haben aufgrund expliziter gesetzlicher Anordnung5 aber nur höchstens eine durchschnittliche Lage, weshalb bei Häusern in Gründerzeitvierteln der Lagezuschlag ausgeschlossen ist.
Ein vorzunehmender Abschlag ist der sogenannte Befristungsabschlag in Höhe von 25%6. Im Falle eines befristeten Hauptmietverhältnisses darf der Vermieter nur 75% des im Falle eines unbefristeten Hauptmietverhältnisses zulässigen Mietzinses verlangen.
Die aufgeworfenen Fragestellungen
Die Antragsteller, wenig verwunderlich allesamt Vermieter, argumentierten, dass die Berechnung der Richtwerte nicht sachgerecht sei und außerdem auch nicht stimmen könne. Zum einen sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Richtwerte auf Basis geförderter Neubauten berechnet werden, diese aber insbesondere auch für nicht geförderte Altbaubestände gelten. Zum anderen sei nicht erklärbar, weshalb der Richtwert beispielsweise in Graz höher sei als in Wien, da die Grundkosten in Wien jedenfalls höher seien als in Graz, sodass die Berechnung der Richtwerte in Wien, die die zweitniedrigsten im Bundesgebiet seien, willkürlich sei.
In Bezug auf den Lagezuschlag brachten die Antragsteller vor, dass es unsachlich sei, Gründerzeitviertel, die sich im Laufe der letzten über hundert Jahre mitunter zu Luxuswohngegenden weiterentwickelt hätten, vom Lagezuschlag auszuklammern. In Bezug auf das Wort „Wohnumgebung“ sei außerdem unklar, wie dieser Begriff auszulegen sei, sodass auch überhaupt nicht gesagt werden könne, was noch zu einem Gründerzeitviertel gehöre und was nicht.
Gegen den Befristungsabschlag wurde eingewendet, dass dieser pauschal 25% betrage und nicht zwischen kurzer und langer Befristung differenziere. Vermieter, die zB 10-jährige Befristungen mit ihren Mietern vereinbaren, würden dadurch gegenüber Vermietern, die etwa nur 3-jährige Befristungen akzeptieren, unsachlich benachteiligt. Auch sei nicht berücksichtigt, wenn Vermieter Befristungen immer wieder erneuern und es dadurch de facto zu langen Mietvertragsdauern kommt. Sachgerecht sei daher etwa ein gestaffelter Befristungsabschlag, der sich an der Befristungsdauer orientiere (je länger die Befristung, desto geringer der Befristungsabschlag).
Verfassungsrechtliche Beurteilung
Aus formaljuristischen Gründen äußerte sich der VfGH nicht zum Einwand der Berechnung des Richtwertes, sodass denkbar ist, dass sich der VfGH damit noch auseinandersetzen wird, sofern die entsprechenden Anträge korrekt gestellt werden.
Dem Lagezuschlag und dem Befristungsabschlag widmete sich der VfGH in der Sache. Das Höchstgericht bestätigte deren Verfassungskonformität:
Beim Lagezuschlag befanden die Verfassungsrichter und Verfassungsrichterinnen, dass es aufgrund der durch den Gesetzgeber verfolgten gewichtigen wohnungs-, sozial- und stadtentwicklungspolitischen Interessen keine unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung sei, wenn in Bezug auf den nicht gewährten Lagezuschlag auf eine historische Gebäudesubstanz abgestellt werde. Mit dem Einwand, dass es unsachlich sei, wenn starr auf einen bestimmten Errichtungszeitraum (1870 bis 1917) und die damalige Wohnungssituation abgestellt würde, die mit der jetzigen Situation überhaupt nicht mehr vergleichbar ist, setzte sich der VfGH in Wirklichkeit nicht auseinander. Insofern ist die Begründung unbefriedigend. Hinsichtlich des Wortes „Wohnumgebung“ befand der VfGH, dass dieses ausreichend determiniert sei.
Auch beim Befristungsabschlag lautet der Kern der Begründung, dass der Gesetzgeber den auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zugebilligten erheblichen Gestaltungsspielraum im Bereich des Mietrechts nicht überschritten hat. Entgegen den Ausführungen der Antragsteller diene der Befristungsabschlag nicht vornehmlich der Abgeltung von öfter auftretenden Umzugskosten des Mieters, sondern solle hauptsächlich einen finanziellen Anreiz für den Vermieter schaffen, unbefristete Mietverträge abzuschließen. In diesem sozial- und wohnungspolitischen Ziel liege aber keine Ungleichbehandlung, da jedem Vermieter derselbe Anreiz zukommen soll. Wäre der Befristungsabschlag degressiv zur Dauer, könnten die erwähnte Ziele nicht erreicht werden, da Vermieter geneigt wären, längere Befristungen abzuschließen und den dann kaum mehr ins Gewicht fallenden Befristungsabschlag in Kauf zu nehmen. Ziel sei es aber, Befristungen überhaupt zu vermeiden.
Anmerkung: Hier zäumt der Verfassungsgerichtshof des Pferd von hinten auf: er zieht als Begründung für die Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes die ansonsten (angeblich) nicht gegebene gesetzespolitische Zielerreichung heran. Dies kann und darf aber nicht die dogmatische Methode zur Beurteilung der Verfassungsgemäßheit von Gesetzen sein, ansonsten man sich schnell in einem Unrechtsstaat wiederfinden könnte.
Wie sieht die Zukunft des Mietrechts aus?
Im aktuellen Regierungsprogramm findet sich die Überschrift „Reform des Mietrechts“. Ein kühnes Vorhaben angesichts der Zerklüftung des österreichischen Miet- und Wohnrechts, das in fünf verschiedenen Gesetzen geregelt ist, und der beteiligten, durchaus mächtigen Interessengruppierungen. Bislang sind Reformversuche daher auch lediglich Versuche geblieben. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Regierung in dieser Legislaturperiode den großen Wurf zur Vereinheitlichung oder Verbesserung der Verständlichkeit des Mietrechts schaffen wird. Möglicherweise nimmt die neue Regierung, wie immer diese aussehen wird, einen neuen Anlauf.
Aus der nunmehrige Entscheidung des VfGH können Rechtsanwender mitnehmen, dass alles beim Alten bleibt, was für manche sicher unbefriedigend ist, aber insgesamt auch Rechtssicherheit in der Praxis bringt.
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1Parteienantrag auf Normenkontrolle; Art 139 Abs 1 Z 4 und Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG.
2VfGH 12.10.2016 G673/2015 ua, V25/2016 ua.
3§ 16 Abs 2 Z 3, Abs 3 und Abs 4 MRG iVm § 2 Abs 3 RichtWG.
4Überwiegender Bestand von Gebäuden, die in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurden und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Wohnungen der Ausstattungskategorie D) aufwiesen.
5§ 2 Abs 3 RichtWG.
6§ 16 Abs 7 MRG.
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