Home / Veröffentlichungen / Beratungspflichten für Versicherungsunternehmen:...

Beratungspflichten für Versicherungsunternehmen: Beratung neu definiert

14/11/2018

Eine gesetzliche Beratungspflicht für Versicherungsunternehmen bestand bislang nur sehr eingeschränkt. So waren diese lediglich beim Verkauf von fonds- und indexgebundenen Lebensversicherungen zu einer anleger- und objektgerechten Beratung gesetzlich verpflichtet. Darüber hinaus bestand auch keine „spontane“ Beratungspflicht.  Vielmehr bedurfte es besonderer Anhaltspunkte, wie etwa eine entsprechende Nachfrage oder erkennbare Fehlvorstellungen des Kunden, die das Versicherungsunternehmen richtig zu beantworten bzw. zu korrigieren hatte.

Diese Rechtslage hat sich mit dem Versicherungsvertriebsrechts-Änderungsgesetz 2018 entscheidend geändert. Seit dem 1.10.2018 unterliegen Versicherungsunternehmen einer mit nur wenigen Ausnahmen in jedem Fall geltenden vorvertraglichen Beratungspflicht gegenüber Kunden. Deshalb hier in einem ersten Schritt ein Blick auf die grundlegenden Änderungen bezüglich der Informations- und Wohlverhaltenspflichten von Versicherungsunternehmen.

Was bedeutet nun eigentlich „Beratung“?  

Der Gesetzgeber fasst den Begriff der Beratung sehr eng. Sie besteht in der Abgabe einer persönlichen Empfehlung an einen Versicherungsnehmer, entweder auf dessen Wunsch oder auf Initiative des Versicherungsunternehmens hinsichtlich eines oder mehrerer Versicherungsverträge. Für das Verständnis, worin diese persönliche Empfehlung liegen soll, ist damit nichts gewonnen. Der Inhalt der Beratung erschließt sich erst in der Zusammenschau damit, dass Versicherer eine persönliche Empfehlung an den Kunden zu richten haben, in der erläutert wird, warum der empfohlene Vertrag am besten den Wünschen und Bedürfnissen des Versicherungsnehmers entspricht.

Grundlage der Beratung sind also offenkundig die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden, die das Versicherungsunternehmen zu ermitteln hat. Die dafür erforderlichen Informationen muss es vom Kunden einholen, etwa durch konkrete Fragen, die der Kunde beantwortet. Bejaht der Kunde beispielsweise die Frage, ob er ein eigenes Haus hat, lässt sich daraus der mögliche Bedarf nach einer Bündelversicherung, die verschiedene Risiken wie z.B. Feuer, Einbruch, Wasser, Haushalt, etc. deckt, ableiten. Der Wunsch des Kunden nach einer solchen Versicherung müsste dann noch geklärt werden. Auf Basis der so ermittelten Wünsche und Bedürfnisse wählt das Versicherungsunternehmen das oder mehrere passende Versicherungsprodukt(e) aus, wobei die Auswahl auf die Produkte dieses Versicherungsunternehmens beschränkt bleiben kann. Das Versicherungsunternehmen ist nicht verpflichtet, dem Kunden den bestmöglichen am Markt verfügbaren Versicherungsschutz, möglicherweise sogar bei einem anderen Versicherungsunternehmen, zu verschaffen. Es muss nur –aber immerhin – prüfen, ob und gegebenenfalls welche Verträge aus seiner Produktpalette den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden gerecht werden. Dabei gilt, dass jeder dem Kunden angebotene Vertrag seinen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen muss. Das heißt, bevor das Versicherungsunternehmen einen Versicherungsvertrag überhaupt anbieten darf, muss es einen sog. „Wunsch- und Bedürfnistest“ durchführen. Der Zweck der Regelung liegt auf der Hand: Damit soll verhindert werden, dass der Kunde ein für ihn nicht passendes Produkt erwirbt.

Persönlich, online und automatisiert möglich

Die Beratungsleistung des Versicherers liegt also in der an den Kunden gerichteten persönlichen Empfehlung, in der erläutert wird, warum aus den vorab ausgewählten und in Frage kommenden Versicherungsprodukten ein bestimmtes Produkt den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden am besten entspricht. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sich Versicherung und Kunde von Angesicht zu Angesicht („persönlich“) gegenüberstehen, sondern kann die Beratung unter bestimmten Voraussetzungen auch „online“ über das Internet erfolgen. Sie ist auch nicht zwingend von Menschen durchzuführen, sondern kann auch über ein voll- oder teilautomatisiertes System erbracht werden.

Ein Spezialfall sind Versicherungsanlageprodukte. Wie die gesetzliche Lage hier aussieht und welche grundsätzlichen Ausnahmen von der Beratungspflicht bestehen, erfahren Sie im zweiten Teil.

Autoren

Foto vonThomas Böhm
Thomas Böhm
Partner
Wien