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EuGH ermöglicht grenzüberschreitende Sitzverlegungen

13/12/2017

Der EuGH1 lässt formale Sitzverlegungen innerhalb der EU zwecks Wahl eines besseren ausländischen Gesellschaftsstatuts zu. Gesellschaften können somit nur formaliter ihren Sitz ins EU-Ausland verlegen, gleichzeitig aber ihren Betriebsort beibehalten. Mit dieser Entscheidung eröffnet der EuGH allen EU-Bürgern Gestaltungsspielräume bei der Wahl ausländischen Gesellschaftsrechts.

 So kann etwa ausländisches Recht für den Allein- oder Mehrheitsgesellschafter im Hinblick auf Minderheitsrechte oder Kapitalschutzvorschriften vorteilhafter als österreichisches Recht sein. Ferner können durch eine geschickte Rechtswahl Arbeitnehmermitbestimmungsrechte im Aufsichtsrat gänzlich vermieden werden (z.B. kann eine italienische Ein-Personen-Gesellschaft günstiger sein als eine österreichische).

Dank Sitz-Verlegung von günstigeren Rechtsvorschriften profitieren

Der EuGH hat jüngst entschieden, dass nationale Bestimmungen, die die Liquidation der Gesellschaft für den Fall einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung voraussetzen, gegen die Grundfreiheit der Niederlassungsfreiheit gemäß Art 49 ff AEUV verstoßen. Damit stellt der EuGH klar, dass grenzüberschreitende Sitzverlegungen auch dann möglich sein müssen, wenn die Gesellschaft lediglich ihren Sitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt, ohne gleichzeitig auch den tatsächlichen Sitz ihres Betriebes zu verlegen.

Eine generelle Verpflichtung zur Liquidation des Unternehmens vor grenzüberschreitender Sitzverlegung wäre unverhältnismäßig und ist mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar. Die Sitzverlegung alleine begründet nach Ansicht des EuGH nicht eine allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung und rechtfertigt dadurch den Eingriff in die Niederlassungsfreiheit nicht. Ferner ist es kein Missbrauch, wenn eine Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt, um dort in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen.

Obwohl eine einschlägige Gesetzesgrundlage in Österreich fehlt, werden die österreichischen Firmenbuchgerichte die Ansicht des EuGH – nolens volens – umsetzen müssen. Die vorliegende Entscheidung könnte ferner dazu beitragen, die unterschiedliche Spruchpraxis der heimischen Firmenbuchgerichte ein Stück weit zu vereinheitlichen.

1EuGH 25.10.2017, C-106/16, POLBUD – WYKONAWSTWO (auch „Polbud“-Entscheidung genannt).

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Foto vonJohannes Reich-Rohrwig
Johannes Reich-Rohrwig
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Wien
Constantin Call