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Gesetzesänderungen im Versicherungsrecht: neue Regelungen für den „Spätrücktritt" in der Lebensversicherung

22/10/2018

Durch eine jüngst vom Nationalrat beschlossene Gesetzesänderung werden die Rechtsfolgen eines sogenannten „Spätrücktritts" in der kapitalbildenden Lebensversicherung im Gesetz verankert. Die neuen Regelungen treten mit 1. Jänner 2019 in Kraft. 

A. Regelungen für den „Spätrücktritt" in der Lebensversicherung 

Der neu eingefügte § 176 Abs 1a VersVG regelt die Rechtsfolgen des Rücktritts von einer kapitalbildenden Lebensversicherung für den Fall, dass nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist gemäß dem ebenfalls neu gefassten § 5c erfüllt sind (Spätrücktritt). Abhängig vom Zeitpunkt des Rücktritts werden drei Fallgruppen unterschieden. Dem Versicherungsnehmer gebührt bei einem Rücktritt von einer kapitalbildenden Lebensversicherung 

(i)  innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien;

(ii) ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss der Rückkaufswert ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und allenfalls vereinbarter und angemessener Abzüge. Trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer in diesen Fällen des Rücktritts allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste berücksichtigen.   

Für einen Rücktritt nach Ablauf des fünften Jahres ist keine besondere Regelung vorgesehen. Hier steht dem Versicherungsnehmer nach Ansicht des Gesetzgebers der Rückkaufswert zu. 

Diese Rechtsfolgen sollen auch dann eintreten, wenn der Rücktritt von einer vor dem 1.1.2019 geschlossenen kapitalbildenden Lebensversicherung nach den in diesem Fall noch anwendbaren §§ 5b, 5c und 165a VersVG nach dem 1.1.2019 erklärt wird.

B.    Steigende Anzahl von Rücktrittserklärungen noch 2018 erwartet 

Die Regelungen der Rechtsfolgen des Spätrücktritts von (bereits bestehenden) kapitalbildenden Lebensversicherungen sind brisant: Denn sie setzen der Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Versicherungsnehmer zwar keine rechtlichen Grenzen, könnten jedoch aufgrund ihrer möglichen Auswirkungen dazu führen, dass Versicherungsnehmer ein Rücktrittsrecht nicht wahrnehmen. Ganz offensichtlich bedachte der Gesetzgeber die heftig diskutierte Entscheidung des OGH vom 2.9.2015 zu 7 Ob 107/15h. Darin bejahte der OGH im Falle der unterbliebenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht ein über die Dauer der Rücktrittsfrist hinaus bestehendes, zeitlich unbefristetes Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers sowie den darauf gestützten Anspruch auf Rückzahlung des Sparanteils samt Zinsen, auch wenn der Rücktritt Jahre nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags erfolgte. 

Dieser Rechtsprechung wird, was die Folgen der Ausübung des Rücktrittsrechts bei fehlerhafter Belehrung durch den Versicherer betrifft, durch die neue Rechtslage weitestgehend der Boden entzogen. Nicht umsonst haben Verbraucherschutzverbände und Prozessfinanzierer bereits Kritik geübt. Andererseits: Die Folgen des Spätrücktritts bei Lebensversicherungen nach dieser Entscheidung sind bis heute Gegenstand heftiger Kontroversen. Die Rechtsmeinungen dazu gehen weit auseinander und es gibt zu dieser Frage bereits zahlreiche erst- und zweitinstanzliche Gerichtsentscheidungen mit unterschiedlichen Ergebnissen. Dies geht zu Lasten der Rechtssicherheit aller Versicherungsnehmer. Die neuen Regelungen sind zumindest der Versuch des Gesetzgebers, diese Rechtsunsicherheit pro futuro zu beseitigen und daher zu begrüßen. 

Weil bei Rücktritten von Altverträgen nach dem 1.1.2019 die neuen Regelungen des § 176 Abs 1a zur Anwendung kommen sollen, ist noch im Jahr 2018 mit einer steigenden Anzahl von Rücktrittserklärungen zu rechnen.

 

Autoren

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Thomas Böhm
Partner
Wien