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Mitarbeiterin einer Tankstelle mit Shop - Arbeiterin oder Angestellte?

21/11/2014

Die Klägerin war bei der Beklagten in einer Selbstbedienungstankstelle samt Waschanlage, Shop und Bistro im Schichtbetrieb tätig, den sie grundsätzlich alleine verrichtete. Sie war überwiegend an der Scanner-Kasse mit dem Kassieren der Tankrechnungs- und Warenbeträge beschäftigt. Die Zahlungen durch die Kunden erfolgten nicht nur bar, sondern auch elektronisch.

Die Gesamtabrechnung wurde täglich vom Stationsleiter durchgeführt; die Schichtabrechnung wurde jedoch von der Klägerin nach ihrer Schicht gemacht. Abends war die Klägerin für die Verwahrung der selbständig abgerechneten Einnahmen im Tresor zuständig. Bei Frühschichten backte sie das Gebäck auf, bereitete die Kaffeemaschine vor, kontrollierte das Wechselgeld in der Kassa, den Stand der Tabakwaren und der im Shop angebotenen Gutscheine, las den Zählerstand der Waschstraße ab und sperrte den Shop auf. Ferner hatte die Klägerin auch die Regalbetreuung und die Reinigung des Innen- wie Außenbereichs über. Sie hatte zwar keinen Einfluss auf die Preisbildung, die Auswahl der Lieferanten oder die Zusammenstellung des Warensortiments, konnte aber nach Bedarf und eigenem Ermessen Waren selbständig bestellen und hatte den Wareneingang anhand der Lieferscheine zu prüfen. Alle drei Monate machte sie gemeinsam mit dem Stationsleiter und einer weiteren Mitarbeiterin Inventur. Darüber hinaus betreute sie die im Shop befindliche Paketannahmestelle einschließlich der Abrechnung der Paketlieferungen für einen Paketzusteller.

Die Klägerin vertrat die Ansicht, dass sie bei der Beklagten kaufmännische Dienste im Sinne des § 1 AngG geleistet hat und auf ihr Arbeitsverhältnis daher der Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben anstelle des Kollektivvertrags für die Arbeiter der Garagen-, Tankstellen- und Servicestationsunternehmungen Österreichs anzuwenden ist.

Der OGH bestätigte die Ansicht der Klägerin, wonach sie als Angestellte zu qualifizieren ist. Die von der Klägerin verrichteten Aufgaben haben sich nicht bloß in Kassiertätigkeiten erschöpft, die über ein Berechnen des Gesamtpreises, das Entgegennehmen des Geldbetrages und das Verbuchen in der Kasse nicht hinausgehen und nach einer kurzen Einschulung von jedem Absolventen der Grundschule bewältigt werden können. Die Klägerin hatte vielmehr eine Reihe von Aufgaben inne, die eine Anpassung an die konkrete Marktsituation zur Erhebung des Umsatzes erforderte, dass insbesondere die Warenbestellung in ihrer selbständigen Tätigkeitbereich fiel und ferner auch die Wareneingangsprüfung als durchaus verantwortungsvolle kaufmännische Tätigkeit anzusehen ist. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Betrieb der Beklagten im Wesentlichen mit einem üblichen Handelsbetrieb (Shop-Konzept) zu vergleichen ist. Die Klägerin war daher in den Kollektivvertrag für Handelsangestellte einzustufen (OGH 25.9.2014, 9 ObA 81/14y; ebenso OGH 25.9.2014, 9 ObA 74/14v).

Wirft man einen Blick auf den aktuellen österreichischen Tankstellenmarkt, so zeigt sich, dass das gegenständlichen Geschäftsmodell (Tankstelle mit Shop) nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel darstellt. Tankstellenbetreiber müssen sohin in Zukunft damit rechnen, dass ihre Mitarbeiter_innen, die bisher als Arbeiter_innen eingestuft waren, die aktuelle Rechtsprechung des OGH zum Anlass nehmen, die Anwendbarkeit des Kollektivvertrags für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben und die damit verbundenen Gehaltsdifferenzen geltend zu machen.

Autoren

Stefan Zischka