Der Nationalrat hat am 4.7.2018 eine umfassende Novellierung der Rücktrittsrechte für Versicherungsnehmer beschlossen. Gleichzeitig werden die Rechtsfolgen für den "Spätrücktritt" in der Lebensversicherung gesetzlich normiert. Die neuen Regelungen treten mit 1.1.2019 in Kraft und gelten für Verträge, die nach dem 31.12.2018 geschlossen wurden.
A. Vereinheitlichung der Rücktrittsrechtsrechte
Kern der Novelle ist die Vereinheitlichung der Rücktrittsrechte für Versicherungsnehmer. Der neugefasste § 5c VersVG ersetzt als einzig verbleibende Rücktrittsbestimmung die bestehenden Rücktrittsrechte nach den §§ 5b, 5c und 165a VersVG. § 165a und § 5b Abs 2 bis 6 entfallen. Das einheitliche Rücktrittsrecht nach 5c VersVG soll auch die Rücktrittsrechte nach den bisherigen §§ 3 und 3a KSchG ersetzen.
Der Versicherungsnehmer kann innerhalb von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen, ab dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer darüber informiert worden ist, ohne Angabe von Gründen vom Versicherungsvertrag zurücktreten. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen, einschließlich der Bestimmungen über die Prämienfestsetzung oder –änderung, sowie eine Belehrung über das Rücktrittsrecht erhalten hat.
Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.
Neu ist die in Anlage A zum novellierten VersVG enthaltene Musterformulierung, die eine jedenfalls gesetzeskonforme Belehrung über das Rücktrittsrecht durch den Versicherer enthält. Die Rücktrittsbelehrung muss in gut lesbarer Schrift in unmittelbarer Nähe der Unterschrift des Versicherungsnehmers abgedruckt werden, sodass sie praktisch wohl auf dem Versicherungsantrag zu platzieren sein wird.
Der Rücktritt ist in geschriebener Form zu erklären. Die Vereinbarung der Schriftform ist jedenfalls unzulässig. Für die Fristwahrung genügt das Absenden der Rücktrittserklärung.
B. Regelungen für den "Spätrücktritt" in der Lebensversicherung
Der neu eingefügte § 176 Abs 1a VersVG regelt die Folgen des Rücktritts im Fall einer fehlerhaften Rücktrittsbelehrung. Die Bestimmung soll sowohl für Neuverträge, als auch für Altverträge gelten, sofern der Rücktritt auf der Grundlage bestehender Rücktrittsrechte nach dem 1.1.2019 erklärt wird. Dabei werden je nach dem Zeitpunkt des Rücktritts drei Fallgruppen unterschieden:
a) Erfolgt der Rücktritt innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss, erhält der Versicherungsnehmer die einbezahlten Prämien ohne Abzüge, allerdings auch ohne Zinsen, zurück. Trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko, so muss er sich diese nicht anrechnen lassen.
b) Erfolgt der Rücktritt ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres, gebührt dem Versicherungsnehmer der Rückkaufswert ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und allenfalls vereinbarter Abzüge. Trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer allfällige bis zum Rücktritt eingetreten Veranlagungsverluste berücksichtigen;
c) Erfolgt der Rücktritt nach Ablauf des fünften Jahres sieht die Neuregelung keine besondere Bestimmung vor. Hier steht dem Versicherungsnehmer nach Ansicht des Gesetzgebers der Rückkaufswert zu.
C. Bewertung und Ausblick
Die Vereinheitlichung der Rücktrittsrechte schafft gegenüber der derzeitigen Rechtslage Klarheit und Rechtssicherheit. Derzeit können Versicherungsnehmer nach ihrer Wahl auf der Grundlage mehrerer gesetzlicher Bestimmungen, unter jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen und Fristen, vom Versicherungsantrag bzw. dem Versicherungsvertrag zurücktreten. Eine rechtssichere Belehrung über die Rücktrittsrechte ist oft nur schwer formulierbar.
Nach den neuen Regelungen werden Versicherer Versicherungsnehmer nur noch über das Rücktrittsrecht nach § 5c VersVG (und im Fall eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz: nach § 8 FernFinG) belehren müssen. Daraus ergibt sich für Versicherer zum 1.1.2019 die Notwendigkeit der Anpassung bestehender Versicherungsvertragsunterlagen und Belehrungsformulare.
Die Regelungen der Rechtsfolgen des Spätrücktritts von (bestehenden) Lebensversicherungsverträgen sind brisant, weil sie der Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Versicherungsnehmer zwar keine rechtlichen Grenzen setzen, jedoch aufgrund ihrer möglichen Auswirkungen faktisch dazu führen könnten, dass Versicherungsnehmer ein an sich bestehendes Rücktrittsrecht nicht wahrnehmen. Hier wurde wohl an die heftig diskutierte Entscheidung des OGH vom 2.9.2015 zu 7 Ob 107/15h gedacht. Darin bejahte der OGH im Falle der unterbliebenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht ein über die Dauer der Rücktrittsfrist bestehendes, zeitlich unbefristetes Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers sowie den darauf gestützten Anspruch des Versicherungsnehmers auf Rückzahlung des Sparanteils samt Zinsen an diesen, auch wenn der Rücktritt erst Jahre nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags erfolgt sei. Dieser Rechtsprechung wird, was die Folgen der Ausübung des Rücktrittsrechts bei fehlerhafter Belehrung durch den Versicherer betrifft, durch die neue Rechtslage weitestgehend der Boden entzogen. Nicht umsonst haben Verbraucherschutzverbände und Prozessfinanzier bereits Kritik geübt. Andererseits kann auch nicht ignoriert werden, dass gerade die Folgen des Spätrücktritts bei Lebensversicherungen nach dieser Entscheidung bis heute Gegenstand heftiger Kontroversen sind. Die Rechtsmeinungen dazu gehen weit auseinander und es gibt zu dieser Frage bereits zahlreiche erst- und zweitinstanzliche Gerichtsentscheidungen mit unterschiedlichen Ergebnissen, was zu Lasten der Rechtssicherheit aller Versicherungsnehmer. Die neuen Regelungen sind zumindest der Versuch des Gesetzgebers, diese Rechtsunsicherheit pro futuro zu beseitigen und daher zu begrüßen.
Aufgrund dessen, dass bei Rücktritten von Altverträgen nach dem 1.1.2019 die neuen Regelungen des § 176 Abs 1 zur Anwendung kommen sollen, ist mit einer steigenden Anzahl von Rücktrittserklärungen noch im Jahr 2018 zu rechnen.
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