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Neuerungen in der Gesetzgebung in Russland

November 2018

Einleitung

Das deutsch-russische Verhältnis ist in der Diskussion. Nach einem fast euphorischen Aufbruch nach Ende des Kalten Krieges folgte eine lange Zeit des Aufeinander-zu-Bewegens. Die Gemeinsamkeiten schienen groß; gemeinsame Interessen konnten überall ausgemacht werden. Erst zum Ende der ersten Dekade des neuen Jahrtausends traten Meinungsverschiedenheiten wieder offen zu Tage; mit der Annexion der Krim und den weiterhin andauernden militärischen Verwicklungen in der Ostukraine wurden sie zu einem echten Konflikt, der zur Einführung gegenseitiger Wirtschaftssanktionen und zeitweilig zum Abbruch fast aller Kontakte führte.

Diese Situation besteht weiter fort und belastet nicht zuletzt die wirtschaftlichen Beziehungen. Der Handel zwischen Deutschland und Russland ist – trotz einer gewissen Erholung – weiter stark belastet und bleibt weit hinter den Kennzahlen vor der Krise zurück. Dennoch scheint es in der Wirtschaft das allgemeine Verständnis zu geben, dass gerade aus wirtschaftlichen Beziehungen Ansätze zur Überwindung der aktuellen Krisensituation gewonnen werden können.

Vor diesem Hintergrund soll hier eine Zusammenstellung der wirtschaftsrechtlichen Entwicklungen erfolgen mit dem Versuch, daraus Schlüsse auf den tatsächlichen Zustand der Beziehungen abzuleiten. Der Blick wird sich naturgemäß auf rechtliche Details richten, um daraus eine Bewertung zu entwickeln. Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Steuerrechtliche Fragen sind weitgehend ausgeklammert; auch in den behandelten Gebieten sind nicht alle Entwicklungen berücksichtigt. Die getroffene Auswahl versucht aber, aussagekräftige Neuerungen zusammenzustellen, die es in der Gesamtschau erlauben, ein Ergebnis abzuleiten.

Ausgewählte juristische Themenbereiche

A. Gesellschaftsrecht

Das Gesellschaftsrecht gibt den organisationsrechtlichen Rahmen für jede wirtschaftliche Tätigkeit vor. Der große Rahmen ist dabei seit langem abgesteckt. Wirtschaftlich bedeutsam sind insbesondere die russischen Äquivalente zur GmbH und zur Aktiengesellschaft. Die letzten großen Novellierungen haben die ZAO und OAO verschwinden lassen, an deren Stelle öffentliche und private AG getreten sind. Die in den letzten Monaten erfolgten bzw. beschlossenen Änderungen betreffen Details, sind aber in ihren Auswirkungen nicht zu unterschätzen.

1. Aktienrecht

Im Aktienrecht sind aktuell Gesetzesänderungen erfolgt, die im Juli 2019 in Kraft treten werden. Diese betreffen insbesondere Einzelfragen der inneren Organisation der AG, und zwar:

Der Revisor als Einzelperson verschwindet und wird ersetzt durch eine Revisionskomission, die als internes Organ die Geschäftstätigkeit der AG prüft. In der privaten AG ist die Revisionskomission demnächst nicht mehr verpflichtend einzuführen. Die Aktionäre können in der Satzung vorsehen, auf eine Revisionskomission zu verzichten. Eine entsprechende Bestimmung der Satzung muss einstimmig von der Aktionärsversammlung beschlossen werden.

Weiter werden die Bestimmungen zur Durchführung der Aktionärsversammlung präzisiert. Die Einberufungsfrist wird auf 21 Tage verlängert. Form und Inhalt der Information, die den Aktionären mit der Einberufung zugänglich gemacht werden muss, wird konkretisiert. Ab Juli 2020 muss den Aktionären ein interner Prüfungsbericht (vnutrennyj audit) zur Verfügung gestellt werden.

Bedeutsam für das Auftreten der AG nach außen sind die kommenden Neuerungen zur Behandlung von Interessenkonflikten (zainteressovanost'), also solchen Geschäften, die ein Aktionär mit der AG abschließt. Diese Geschäfte unterliegen besonderen Zustimmungserfordernissen. Diese sollen künftig in Bagatellfällen nicht mehr gelten: solange der Wert des Geschäfts 0,1% des Bilanzwertes des Gesellschaftsvermögens nicht übersteigt, müssen die Sonderregeln nicht mehr angewandt werden. Ist die Bagatellgrenze überschritten, finden die Regeln weiter Anwendung; insbesondere werden konfliktbehaftete Aktionäre von der Beschlussfassung über die entsprechenden Geschäfte ausgeschlossen. Ist das der Fall, soll die Aktionärsversammlung unabhängig von der Zahl der abstimmenden Aktionäre stets beschlussfähig sein; die ansonsten geltenden Quorum-Regeln finden also keine Anwendung. Ebenfalls im Zusammenhang mit Interessenkonflikten steht die neue gesetzliche Klarstellung, dass neben dem direkt konfliktbehafteten Aktionär auch weitere, von diesem Aktionär beherrschte Aktionäre als konfliktbehaftet gelten und von der Beschlussfassung ausgeschlossen sind. Die Gesetzgebung folgt in diesem Punkt einer bereits bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechungspraxis. Diese Regelung gilt gleichermaßen für AG und GmbH.

Hinsichtlich Vorzugsaktien präzisiert die Neuregelung, dass per Satzung eine Mindestdividende, nicht aber eine Maximaldividende solcher Vorzugsaktien festgelegt werden darf. Auch hinsichtlich der Stimmberechtigung von Vorzugsaktionären wird deren Stellung verbessert: ein Stimmrecht des Vorzugsaktionärs besteht demnächst bei allen Fragen, in denen Einstimmigkeit erforderlich ist. Weiter soll der Vorzugsaktionär stimmberechtigt werden, wenn die Ausgabe weiterer Vorzugsaktien beschlossen werden soll.

Neue Aufgaben erhält der Direktorenrat einer öffentlichen Aktiengesellschaft. Er soll demnächst interne Bestimmungen für Risikomanagement und internes Controlling erstellen. Weiter erhält der Direktorenrat ausdrücklich das Recht, Ausschüsse zur Vorbereitung bestimmter Sachfragen einzurichten. Soweit er mit der Bestätigung des Jahresabschlusses befasst ist, muss diese Bestätigung demnächst innerhalb von 30 Tagen erfolgen.

2. GmbH-Recht

Die wesentliche Neuerung des GmbH-Rechts resultiert aus einem Prikaz des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung vom September 2018. Mit diesem Dokument hat das Ministerium 36 Mustersatzungen für die GmbH erstellt. Ab dem 25/7/19 sollen diese die individuell erstellten GmbH-Satzungen ersetzen können. Mit der Bereitstellung der Mustersatzungen wird demnächst die Nutzung einer Gesetzesänderung von 2014 endlich möglich. Bereits die genannte Änderung sah den Gebrauch von Mustersatzungen vor; allerdings standen bislang keine Muster zur Verfügung, so dass die Regelung leerlief. Sinn der Mustersatzungssammlung ist die Vereinfachung bei Gründung und Unterhaltung der GmbH: für die Neugründung einer GmbH ist nicht mehr die individuelle Erarbeitung einer Satzung erforderlich. Stattdessen kann die Gründung unter Bezugnahme auf einen der 36 Mustertexte erfolgen. Daneben sind nur noch die individualisierenden Angaben für die jeweilige GmbH zu machen. Eine bereits bestehende GmbH kann per satzungsändernden Beschluss auf den Mustertext übergehen. Änderungen von Name, Adresse usw. müssen demnächst nur noch zum Register angemeldet werden; eine formelle Satzungsänderung ist nicht mehr erforderlich.

Vereinfachungen im Registrierungsverfahren sind bereits im Laufe des Jahres 2018 in Kraft getreten. So gelten seit April 2018 geringere Anforderungen an den Dokumentensatz, der zur Registrierung juristischer Personen einzureichen ist. Seit Oktober 2018 kann eine fehlgeschlagene Registrierung ohne erneute Zahlung der Registrierungsgebühr wiederholt werden. Online-Registrierungen sind vereinfacht worden. Seit April besteht die Möglichkeit, mit dem Registrierungsorgan per E-Mail zu kommunizieren; seit Oktober können Registrierungsvorgänge im Internet verfolgt werden. Sämtliche hier angeführten Registrierungsvereinfachungen gelten gleichermaßen für AG und GmbH.

Eine weitere, dringend erforderliche Änderung steht allerdings noch aus: per Gesetz ist für die GmbH seit geraumer Zeit die Möglichkeit gegeben, auf Ebene des Exekutivorgans der GmbH (also des Generaldirektors) eine Doppelspitze mit Gesamtvertretungsmacht einzurichten. Damit könnte theoretisch das Vier-Augen-Prinzip mit gegenseitiger Kontrolle der beiden Generaldirektoren eingeführt werden. Dies scheitert jedoch weiter am Registereintrag: die Eintragung einer gemeinschaftlichen Vertretungsbefugnis im Unternehmensregister ist weiterhin nicht möglich. Mangels Eintragung gilt aber eine Einschränkung der Vertretungsbefugnis des Generaldirektors gegenüber Dritten nicht, selbst wenn sie in der Satzung vorgesehen ist. Die auf Gesetzesebene bereits erfolgte Novellierung geht also mangels Umsetzung im Register weiter ins Leere.

B. Zivil- und Handelsrecht, Arbeitsrecht

1. Änderungen im ZGB (eingeführt bereits 2015)

Ganz aktuelle Änderungen im ZGB gibt es wenige; daher hier ein Hinweis auf die erheblichen Novellierungen aus dem Jahr 2015, in dem das Vertragsrecht umfassend überarbeitet wurde. Damit wurde das Zivilrecht um Vertragstypen erweitert, die im internationalen Wirtschaftsrecht weit verbreitet sind und im russischen Recht bislang nicht zur Verfügung standen.

Das ZGB kennt und normiert seither den Vertragstyp des Rahmenvertrags. Dieser kommt bei der vertraglichen Regelungen komplexer Zusammenhänge zum Einsatz.

Weiter wurde der Vertragstyp des Optionsvertrags eingefügt, mit dem das Recht einer Partei, durch einseitige Erklärung eine vorher vereinbarte Rechtsfolge herbeizuführen, geregelt wird.

Ebenfalls neu ist der Vertragstyp des Abonnementsvertrags.

Möglich ist seit der Novelle die Abgabe einer selbständigen vertraglichen Garantie. Auch kann Schadensersatz vertraglich geregelt werden.

Neu ist die Einführung der Rechtsfigur des Verschuldens im Vertragsschluss, mit der auf schuldhaftes Fehlverhalten im Vorfeld eines Vertragsabschlusses reagiert werden kann.

2. Arbeitsrecht

Aus dem Arbeitsrecht gibt es weniger Neuerungen zu berichten; leider sind die erfolgten Änderungen auch eher negativ zu bewerten.

Seit 2016 gelten Strafen für verspätete Lohnzahlungen, die dem Arbeitgeber auferlegt werden können.

2018 hat es im Juli Änderungen für die Registrierung ausländischer Arbeitnehmer gegeben: Ausländer müssen sich jetzt an ihrem Wohnort und nicht, wie bisher, an ihrer Arbeitsstelle registrieren. Die Maßnahme richtet sich letztlich gegen Wohnungsvermieter, die ihre Mieteinnahmen nicht versteuern. In der Praxis führt sie zu erheblichen Schwierigkeiten für Ausländer, eine saubere Registrierung zu erhalten. Ist der Vermieter nicht kooperativ oder steht er einfach physisch nicht zur Verfügung, kann der Ausländer die Registrierung praktisch nicht vornehmen und gerät damit in Gefahr, ein Ordnungsgeld zahlen zu müssen. Die aktive Lobbyarbeit der verschiedenen ausländischen Wirtschaftsverbände hat bislang keine Änderung bewirken können.

Weitere Änderungen stehen 2019 an: ab Januar gelten erhöhte Anforderungen an Einladungen an Ausländer. Weiter wird der Einladende stärker in die Haftung genommen.

C. Immobilien, Bauen

Im Baurecht sind Präzisierungen in der Definition von "unerlaubten Bauten" vorgenommen worden. So muss ein Bau sowohl im Zeitpunkt der Errichtung als auch im Zeitpunkt der Entdeckung unerlaubt gewesen sein. Das Gesetz beschreibt auch die Folgen des unerlaubten Baus, die in der Beseitigung des Baus oder seiner Anpassung an geltende Vorschriften bestehen.

Daneben definiert das Gesetz jetzt sogenannte Zonen "eingeschränkter Nutzung". Diese sind jetzt in Listen aufgeführt. Die Nutzungseinschränkungen gelten jeweils ab Eintragung der Beschränkung ins Grundbuch.

Vollständig überarbeitet wurden die Regeln über gemeinsam finanzierte Wohnungsbauprojekte. Die neuen Regeln dienen dem Schutz der Teilnehmer an solchen Projekten insbesondere vor Insolvenzrisiken.

D. Internationaler Handel und Sanktionen

1. Sanktionen

Der internationale Handel mit Russland wird heute maßgeblich durch verschiedenste Sanktionen geprägt, die zu zum Teil erheblichen Behinderungen führen. Hier geht es zum überwiegenden Teil um ausländische Rechtssetzung, die aber die rechtlichen Rahmenbedingungen des Russlandgeschäfts maßgeblich beeinflussen.

Die aktuell geltenden Sanktionen wurden ab 2014 als Reaktion auf die Annektion der Krim sowie später auf die russische Beteiligung an dem bewaffneten Konflikt in der Ostukraine eingeführt. Dabei agierten vor allem die USA sowie die EU; weitere Staaten schlossen sich den Sanktionen an. Die Sanktionen waren dabei nicht identisch, aber weitestgehend gleichgerichtet und eng zwischen den USA und der EU abgestimmt. Dies hat sich 2018 mit der Einführung weiterer US-Sanktionen geändert: diese wirken jetzt deutlich massiver auf russische und auch nicht-russische Unternehmen ein; im letzteren Fall wird von der Drittwirkung der Sanktionen gesprochen. Während die ersten Sanktionen eher als atmosphärische Störung wahrgenommen wurden, bewirken gerade die neuesten US-Sanktionen erhebliche Störungen im Wirtschaftsaustausch.

Die Sanktionen richten sich gegen Personen (natürliche und juristische) einerseits und verhängen Einschränkungen in bestimmten Wirtschaftssektoren. Darüber hinaus gibt es regional auf die Krim bezogene Maßnahmen. Die russische Seite hat mit Agrarsanktionen reagiert. Darüber hinaus hat eine zum Teil sehr aggressiv geführte Diskussion stattgefunden, an deren Ende jedoch weitere Gegenmaßnahmen ausgeblieben sind.

Es soll hier nicht der Inhalt der verschiedenen Sanktionen aufgeführt werden. Stattdessen geht es um eine strukturelle Überlegung zum Wirkmechanismus der Sanktionen und ihre Bedeutung für die im Anwendungsbereich der Sanktionen arbeitenden Wirtschaftsunternehmen.

Mit Sanktionen versucht typischerweise ein Staat, einen anderen Staat unter Druck zu setzen und zu beeinflussen. Der sanktionierende Staat verbietet typischerweise bestimmte Formen des wirtschaftlichen Austausches. Obwohl er sich dabei in seiner Intention gegen den anderen Staat richtet, trifft die Sanktionsmaßnahme unmittelbar die Unternehmen des sanktionierenden Staates, die mit Unternehmen des sanktionierten Staates im wirtschaftlichen Austausch stehen. Sanktionen wirken also zunächst und unmittelbar gegen die Unternehmen des sanktionierenden Staates und dann erst mittelbar gegen die Unternehmen des sanktionierten Staates oder direkt gegen den sanktionierten Staat. Nur in Fällen, in denen der sanktionierende Staat Unternehmen oder Personen des anderen Staates direkt erreichen kann, weil diese bestimmte Aktivitäten auf seinem Gebiet ausüben oder dort Vermögenswerte halten, wirkt der sanktionierende Staat direkt auf den anderen Staat bzw. dessen Wirtschaftssubjekte ein. Aus dieser Überlegung ergibt sich die Grundproblematik von Sanktionen: sie haben grundsätzlich eine negative Wirkung auf die eigenen Wirtschaftssubjekte.

Der sanktionierende Staat gestaltet seine Sanktionen als verpflichtend; sanktionswidriges Verhalten wird typischerweise mit Ordnungsgeld belegt oder kriminalisiert. Auch diese Strafbewehrung richtet sich typischerweise gegen die eigenen Wirtschaftssubjekte, allein schon deshalb, weil diese allein greifbar sein dürften.

Der sanktionierte Staat wird dagegen die gegen ihn verhängten Sanktionen regelmäßig für rechtswidrig halten; die ausgesprochenen Verbote hält er für nicht bindend. Möglicherweise wehrt er sich gegen die Sanktionen auch dadurch, dass er deren Einhaltung unter Strafe stellt. In Deutschland verstößt die Einhaltung ausländischer Sanktionen im Regelfall gegen das wettbewerbsrechtliche Boykottverbot und ist damit rechtswidrig.

Konkret für die aktuellen Russlandsanktionen heißt dies, dass praktisch kein "richtiges" Verhalten im deutsch-russischen Rechtsverkehr möglich ist. Hält ein Unternehmen deutsche Sanktionen ein, ist dies in Russland möglicherweise rechtswidrig. Die Durchsetzung sanktionskonformen Verhaltens in Russland durch Vertragspartner wird nicht möglich sein. Hält das Unternehmen darüber hinaus US-Sanktionen ein, verstößt es möglicherweise gegen das wettbewerbsrechtliche Boykottverbot. Hält es die US-Sanktionen nicht ein, verstößt es gegen diese Sanktionen und sieht sich, sofern es dem Zugriff von US-Behörden unterliegt, entsprechenden Gegenmaßnahmen ausgesetzt.

Verschlimmert wird diese Lage durch die faktische Unmöglichkeit, einen Streit unabhängig entscheiden zu lassen: je nach Gericht wird die Streitentscheidung anders ausfallen, da vorhersehbar verschiedene Rechtsgrundlagen gewählt werden: ein deutsches Gericht wird die Beachtung deutscher Sanktionen für erforderlich halten; ein russisches Gericht wird von deren rechtlicher Unverbindlichkeit ausgehen. Der Gang vor ein nichtstaatliches Schiedsgericht wird kaum Abhilfe schaffen, da auch der Schiedsspruch letztlich von einem staatlichen Gericht für vollstreckbar erklärt werden wird, was wieder zu den dargestellten unterschiedlichen Bewertungen führen wird.

Letztendlich kann sich ein Unternehmen im Spannungsfeld der Sanktionen nicht "richtig" verhalten. Es wird vielmehr die wirtschaftlichen Folgen seiner Handlungen abschätzen müssen und danach entscheiden, welche Verhaltensweise wirtschaftlich am ehesten vertretbar ist. Angesichts der gerade in den neuesten US-Sanktionen angelegten Unklarheiten und weiten Ermessenspielräumen ist dies mit großen Unsicherheiten belastet.

2. Lokalisierung

Lokalisierungsbemühungen, in Russland in den letzten Jahren auch unter dem Stichwort Importersatz behandelt, werden oft im Zusammenhang mit westlichen Sanktionen gestellt. Das ist jedoch nur zum Teil richtig. Zunächst einmal ist die Bemühung um Lokalisierung lediglich der vollkommen verständliche Versuch, die lokale Produktionskapazität zu erhöhen. Danach strebt letztlich jede Volkswirtschaft. Bestes Beispiel für eine gelungene Lokalisierung in Russland ist die Autoindustrie: mit relativ einfachen Mitteln, nämlich der Einräumung vorteilhafter Zollsätze im Gegenzug zur Verpflichtung zur schrittweisen Erhöhung der lokalen Wertschöpfung, ist die Ansiedlung einer großen Anzahl der weltweit tätigen Automobilproduzenten gelungen.

Daneben hat die russische Lokalisierungspolitik seit 2014 allerdings den Charakter einer Gegenmaßnahme gegen die erfolgte Sanktionierung. In verschiedenen Branchen wurde ausländischen Anbietern der Zugang zu russischen Kunden systematisch erschwert oder ganz verschlossen. Dies betrifft unmittelbar den staatlichen Sektor, also den Staat selber und Unternehmen mit staatlicher Beteiligung: hier sind durch Änderung der Vergaberegeln erhebliche Beschränkungen für den Ankauf von nicht in Russland hergestellter Ware eingeführt worden. Mittelbar haben diese Regelungen Auswirkungen auf den nichtstaatlichen Sektor, der, soweit er dem staatlichen Sektor zuliefert, sich den geänderten Vergaberegeln ähnliche Selbstbeschränkungen auferlegt hat, so dass auch dieser Bereich des Marktes wegfällt.

Die Mechanismen sind bei aller Unterschiedlichkeit der Sektoren einander immer ähnlich: typischerweise werden Lokalisierungsquoten für den Zugang zu Ausschreibungen im Vergabeprozess aufgestellt. Ein bestimmter Prozentsatz der Wertschöpfung einer Ware muss in Russland erfolgen, damit diese zugelassen werden kann. In anderen Bereichen kann die Lokalisierungsquote ausschlaggebend sein für die Zuerkennung eines bestimmten Tarifs (dies betrifft insbesondere die erneuerbaren Energien). Möglich ist auch das Verbot ausländischer Beteiligung an Gesellschaften in bestimmten Sektoren (insbesondere Medien; neuerdings auch Consultingleistungen). Der Effekt der Maßnahmen ist immer ein deutlich erschwerter Marktzugang für ausländische Anbieter. Häufig wird das ausländische Unternehmen vor die Wahl gestellt, den russischen Markt entweder zu verlassen oder aber sich als lokaler Produzent zu engagieren. Dies schützt sicher kurzfristig die heimische Industrie. Als Anreiz zur Investition scheinen Lokalisierungsanforderungen nicht wirklich geeignet: sie setzen einen rein negativen Anreiz. Das ist nicht wirklich attraktiv. Dadurch entsteht der – ungewünschte – Nebeneffekt, dass ausländische Technologie und Innovationskraft dem russischen Markt in bestimmten Segmenten fernbleibt.

3. Insb. erneuerbare Energien

Als ein gesonderter Sektor im Zusammenhang mit der Lokalisierungspolitik soll hier der Bereich der erneuerbaren Energien genannt werden, da sich in diesem Bereich im laufenden Jahr viel Bewegung gezeigt hat.

Russland hat einen eigenen Weg zur Förderung erneuerbarer Energien gefunden. Bereits seit 2009 gesetzlich angelegt, ist jetzt eine Umsetzung durch Verordnung erfolgt, die es ermöglicht, erneuerbare Energie zu produzieren. Dem Ersteller einer Anlage wird die Schaffung der Kapazität seiner Anlage entgolten. Damit wird die Finanzierung der Erstellung von Produktionsanlagen unabhängig von der Energieproduktion gesichert. Weiter erhält er für die Erzeugung von Energie vorteilhafte Einspeisetarife. Beide Maßnahmen haben zur Voraussetzung, dass der Betreiber eine Anlage betreibt, die zu 65% lokal erstellt ist.

Der dargestellte Mechanismus führt aktuell zum Aufbau erheblicher Kapazitäten von erneuerbarer Energie und insbesondere zum Aufbau von Fertigungen von Anlagenteilen. Flankiert werden die geschilderten Regelungen von der Nutzung der Figur des sogenannten Spezial-Investitionsvertrags, die es erlauben, im Ausland gefertigte Teile für einen Übergangszeitraum als lokal in Russland gefertigt zu behandeln und so die im Aufbau befindlichen Kapazitäten bis zur Fertigungsreife zu unterstützen.

Insgesamt können die Lokalisierungsbemühungen auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien als Erfolg gesehen werden.

E. Konfliktlösung

Das russische Gerichtssystem, flankiert im wirtschaftsrechtlichen Bereich von der Schiedsgerichtsbarkeit, genießt nicht höchstes Vertrauen im Ausland. Die Wirtschaftsgerichte (Arbitragegerichte) galten dabei als besser qualifiziert denn die allgemeinen Gerichte. Umso mehr hat die Auflösung des Obersten Arbitragegerichts und seine Eingliederung in das Oberste Zivilgericht irritiert. Allerdings ist auch mit Blick auf die Rechtsprechung des laufenden Jahres nicht festzustellen, dass die Rechtsprechung eine andere Richtung eingeschlagen hätte. Die Befürchtungen haben sich bisher als grundlos erwiesen.

Problematischer scheinen die Änderungen in der Regulierung der Schiedsgerichtsbarkeit zu sein. So ist den Schiedsgerichten die Kompetenz für die Entscheidung gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten entzogen worden. Solche Streitigkeiten können nur noch nach einer entsprechenden Registrierung des Schiedsgerichts behandelt werden. Soweit ersichtlich, hat bislang erst ein ausländisches Schiedsgericht (das internationale Schiedsgericht Hong Kong; HKIAC) einen solchen Antrag gestellt.

Irritiert hat weiter, dass mittlerweile das russische Verfassungsgericht die Kompetenz zugesprochen bekommen hat, Entscheidungen internationaler Gerichte, an die die Russische Föderation kraft internationaler Verträge gebunden ist, auf deren Übereinstimmung mit der russischen Verfassung zu überprüfen und gegebenenfalls zu verwerfen. Russland setzt sich damit in Widerspruch zu seinen Verpflichtungen aus den jeweiligen internationalen Verträgen.

Positiv sind dagegen die letzten Entscheidungen der sogenannten Gemeinsamen Arbeitsgruppe, einem Gremium bestehend aus Vertretern des Obersten Gerichts, der Duma, der Regierung, der Generalstaatsanwaltschaft und von Rechtsprofessoren, zu bewerten. Die Gemeinsame Arbeitsgruppe hat sich gegen ein Verbot von Gerichtsstandsklauseln ausgesprochen. Weiter hat sie beschlossen, nicht auf die Begründung von Gerichtsentscheidungen zu verzichten. Beides hatte das Oberste Gericht angeregt. Weiter hat die Gemeinsame Arbeitsgruppe sich für eine schrittweise Einführung des Vertretungszwangs im Prozess ausgesprochen. Damit ist wahrscheinlich, dass es zu einer ausreichenden Übergangsfrist kommen wird, während derer eine Anpassung erfolgen kann.

F. Gesamtsicht

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass es in den meisten Rechtsgebieten weiter Verbesserungen hinsichtlich von Verfahrensrechten, der Eliminierung administrativer Hindernisse und der Annäherung an internationale Standards gibt.

Erhebliche Probleme ergeben sich aber im internationalen Rechtsverkehr durch Sanktionen und entsprechende Gegenmaßnahmen, insbesondere das Erschweren des Marktzugangs durch Lokalisierungsanforderungen.

Obwohl im Wesentlichen stabil, geben einzelne Tendenzen im Bereich der Konfliktlösung zu denken. Es ist ein widersprüchliches Zeichen, wenn das materielle Recht dem internationalen Standard angeglichen wird, das Prozessrecht dagegen versucht, nationale Wege zu gehen, die internationale Verpflichtungen verletzen (so hinsichtlich der Erweiterung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts) oder internationale Streitbeilegungspraktiken ausschließen (so in der Schiedsgerichtsbarkeit).

Personen

Foto vonThomas Heidemann
Dr. Thomas Heidemann
Partner
Düsseldorf