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Das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot – aktuell im Fokus der Gerichte und der Europäischen Kommission

Update Gewerblicher Rechtschutz & Kartellrecht 12/2018

Dezember 2018

Lange Zeit war die fusionskontrollrechtliche Beratungspraxis davon geprägt, dass sich der anwaltliche Ratschlag auf sehr wenige Gerichtsentscheidungen, die eine oder andere informelle Abstimmung mit den Kartellbehörden, vor allem aber auf die eigene Auslegung der fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbote in deutschem und EU-Kartellrecht stützte. Dies galt für eine Vielzahl von Fragen, angefangen bei der Abgrenzung von Vorbereitungs- zu Vollzugshandlungen über Fragen des faktischen Vollzugs bis hin zu den üblichen Zustimmungskatalogen in Unternehmenskaufverträgen. Daran änderte sich auch nichts, nachdem insbesondere die Europäische Kommission in Fällen des verbotswidrigen, vorzeitigen rechtlichen Vollzugs Bußgelder in Millionenhöhe verhängt hatte (Electrabel, Marine Harvest).

Diese Zeiten sind vorbei. Allein in den letzten zwölf Monaten waren die Gerichte und Kartellbehörden in mehreren wegweisenden Entscheidungen mit dem Vollzugsverbot befasst: So hat sich der BGH zweimal zum deutschen Vollzugsverbot geäußert (EDEKA / Kaiser’s Tengelmann I und II). Der EuGH hat (in Sachen Ernst & Young P / S) eine Grundsatzentscheidung zum Vollzugsverbot der EG-Fusionskontrollverordnung (FKVO) getroffen. Und schließlich hat die Europäische Kommission wegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot der FKVO ein Bußgeld in Höhe von EUR 124,5 Mio. verhängt (Altice).

Die Entscheidungen von BGH und EuGH zeigen, dass die von ihrem Regelungszweck her gleichen Vorschriften der deutschen und der EU-Fusionskontrolle keineswegs auch gleich ausgelegt werden. Die Entscheidung der Kommission gibt Anlass, die üblichen Zustimmungskataloge in Unternehmenskaufverträgen einer genaueren Prüfung zu unterziehen.

EuGH – Ernst & Young P / S

Der EuGH hatte in einem Vorabentscheidungsverfahren darüber zu befinden, ob das Vollzugsverbot der FKVO dahingehend auszulegen ist, dass die Kündigung eines Kooperationsvertrags zur Mitgliedschaft in einem Netzwerk internationaler Wirtschaftsprüfungsunternehmen durch ein Unternehmen vor Erteilung der fusionskontrollrechtlichen Freigabe für dessen Übernahme durch einen Konkurrenten gegen das Vollzugsverbot verstößt.

Der EuGH verstand das Vollzugsverbot so, dass ein Verstoß zumindest eine (teilweise) Verwirklichung eines Zusammenschlusstatbestands erfordert. Da das Vollzugsverbot ganz formal alle (anmeldepflichtigen) Zusammenschlussvorhaben unabhängig von deren materiell-rechtlicher Beurteilung und von potenziellen Marktauswirkungen erfasse, könne es für einen Verstoß nicht auf die Auswirkungen der zu beurteilenden Verhaltensweise (im Verfahren: die Kündigung des Kooperationsvertrags) auf den Markt ankommen.

So kann – nach Ansicht des EuGH – eine Maßnahme nur dann gegen das Vollzugsverbot verstoßen, wenn Kontrolle erworben wird. Der Verstoß gegen das Vollzugsverbot setzt dabei nicht – jedenfalls nicht notwendigerweise – voraus, dass das konkret bei der Kommission angemeldete Zusammenschlussvorhaben rechtlich vollzogen („Closing“) wird. Es genügt, wenn durch tatsächliche Einflussnahme ein Teil der Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft bestimmt wird („faktische Kontrolle“). Alle keine Kontrolle begründenden Maßnahmen stellen jedenfalls keinen Verstoß gegen das Vollzugsverbot der FKVO dar.

BGH – EDEKA / Kaiser’s Tengelmann I und II

Aus Sicht des BGH gilt der von dem EuGH aufgestellte Grundsatz, dass jede (teilweise) Verwirklichung eines Zusammenschlusstatbestands einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot begründet, auch für das deutsche Recht. Für dieses geht der BGH jedoch weiter und sieht überdies Maßnahmen als Verstoß gegen das Vollzugsverbot an, „die die mit dem Zusammenschluss erstrebte Integration der beteiligten Unternehmen teilweise vorwegnehmen“.

Der BGH sieht sich bei der Auslegung des deutschen Vollzugsverbots nicht an die Auslegung der entsprechenden EU-rechtlichen Vorschrift durch den EuGH gebunden. Begründet hat der BGH dies damit, dass die deutsche Fusionskontrolle mehr Zusammenschlusstatbestände als die FKVO kenne. Neben dem Kontroll- und Vermögenserwerb sind dies der Anteilserwerb (ab mindestens 25 % der Kapital- oder Stimmrechtsanteile) und der Auffangtatbestand des Erwerbs wettbewerblich erheblichen Einflusses. Daraus folgt für den BGH, dass der Maßstab des Vollzugsverbots sich nicht allein am Kontrollerwerb als Zusammenschlusstatbestand orientieren dürfe. Hieraus folgert der BGH, dass neben der – teilweisen – Verwirklichung eines Zusammenschlusstatbestands auch die mit der Verwirklichung des Zusammenschlusses angestrebte Integration der beteiligten Unternehmen ergänzend als Maßstab für die Prüfung heranzuziehen sei, soweit diese angestrebte Integration in einem funktionellen Zusammenhang mit dem Zusammenschluss steht. Das deutsche Vollzugsverbot ist damit deutlich weiter als das der FKVO.

Welcher Zusammenhang zwischen der angestrebten Integration und den der FKVO unbekannten Zusammenschlusstatbeständen des Anteilserwerbs und des Erwerbs wettbewerblich erheblichen Einflusses bestehen soll und in welchen Sachverhaltskonstellationen sich dieser Zusammenhang dahingehend auswirkt, dass – außerhalb der teilweisen Verwirklichung des Zusammenschlusstatbestands – von einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot auszugehen ist, hat der BGH nicht näher erklärt. In diesem Punkt können nur aus der Bewertung der Sachverhalte, die den Entscheidungen des BGH zugrunde liegen, Rückschlüsse gezogen werden. Danach ist beispielsweise die Begründung einer Einkaufskooperation vor (rechtlichem) Vollzug des Zusammenschlusses wohl als ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot anzusehen. Sicher ist allerdings nur, dass nach der Entscheidung des BGH ein größerer Graubereich („angestrebte Integration“) bei der Frage eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot nach deutschem Fusionskontrollrecht verbleibt. Daraus folgt, dass weiterhin der jeweilige Einzelfall sehr genau analysiert werden muss.

Europäische Kommission – Altice 

Während EuGH und BGH zu sehr grundsätzlichen Rechtsfragen Stellung bezogen haben, hat die Kommission die praktische Bedeutung des Vollzugsverbots durch Verhängung eines Bußgelds in dreistelliger Millionenhöhe unterstrichen. Sie untersuchte im Fall Altice unter anderem den zwischen den Transaktionsparteien vereinbarten Katalog von Maßnahmen des Zielunternehmens, für die in der Zeit zwischen „Signing“ und „Closing“ die Zustimmung des Erwerbers erforderlich sein sollte. Diesen Katalog beanstandete sie, weil er einen Zustimmungsvorbehalt bei der Bestellung und Abberufung des „Senior Management“ vorsah, dem Erwerber Einfluss auf die Preispolitik des Zielunternehmens gewährte und schließlich die Wertschwellen in verschiedenen Klauseln des Kataloges so niedrig waren, dass dem Erwerber durch den Zustimmungsvorbehalt Einfluss auf das Tagesgeschäft des Zielunternehmens eingeräumt wurde. Die beiden erstgenannten Fälle sind recht klare Verstöße gegen das Vollzugsverbot. Für die deutlich schwierigere Frage, wann eine Wertschwelle zu niedrig ist, stellte die Kommission auf die folgenden Umstände ab:

  • einen Vergleich des Schwellenwertes mit dem Unternehmenswert / Kaufpreis und dem Jahresumsatz des Zielunternehmens,
  • eine vergleichende Analyse, welche Verträge der Erwerber in der Due Diligence als prüfenswert angesehen hatte,
  • den Verzicht auf einen „ordinary course of business“-Vorbehalt,
  • die Tatsache, dass eine Vielzahl von Verträgen von den fraglichen Klauseln im Katalog erfasst war.

Die Kommission sah schließlich auch in dem nicht durch die Einrichtung eines „clean team“ oder ähnlicher Vorkehrungen gesicherten Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen zwischen Erwerber und Zielunternehmen bzw. in dem Fordern und Erhalten solcher Informationen einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot.

Fazit

Für die Praxis ist aus diesem Reigen an Gerichts- und Behördenentscheidungen Folgendes abzuleiten:

Bei anmeldepflichtigen Transaktionen ist das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot unbedingt zu beachten. Dem ist durch entsprechende Gestaltung der „Closing“-Bedingungen, aber auch bei der tatsächlichen Vorbereitung der Integration in der Phase vor der Freigabe Rechnung zu tragen. Bei Verstößen drohen heftige Bußgelder.

Abzuwarten bleibt, ob die Unterschiede in der Auslegung zwischen deutschem und EU-rechtlichem Vollzugsverbot für die Praxis an Bedeutung gewinnen. Das könnte dann der Fall sein, wenn die Transaktionsparteien es in der Hand haben, die Zuständigkeit der Kommission durch einen Verweisungsantrag zu begründen. Die Verweisung würde Sinn machen, wenn die von den Transaktionsparteien vor Freigabe angestrebte Integration nach deutschem Fusionskontrollrecht verboten, nach der FKVO aber nicht vom Vollzugsverbot erfasst wäre. Das könnte je nach Ausgestaltung beispielsweise für den gemeinsamen Einkauf zutreffen.

Für die Beurteilung der üblichen Zustimmungskataloge zwischen „Signing“ und „Closing“ spielt die Divergenz zwischen deutschem und EU-Recht wohl keine Rolle. Insoweit hat sich auch der Maßstab nicht durch die neuere Kommissionspraxis verschoben. Angesichts des Bußgeldrisikos sollten die im Katalog verwendeten Schwellenwerte noch gründlicher daraufhin geprüft werden, ob sie nicht schon unzulässigerweise das Tagesgeschäft erfassen.

Besondere Vorsicht und besondere Vorkehrungen sind bei der Offenlegung von Informationen des Zielunternehmens gegenüber dem Erwerber in der Phase vor Erteilung der Freigabe geboten. Immerhin weist die Kommission mit „clean teams“ und dergleichen einen geeigneten Weg zur Vermeidung des Bußgeldrisikos.

Dieser Artikel ist Teil des Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht, welches Sie hier abonnieren können.

Autoren

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Dr. Rolf Hempel
Partner
Stuttgart
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Martin Cholewa
Counsel
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