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Ergänzende Schutzzertifikate für Wirkstoffkombinationen – weitere Klärung durch den EuGH

Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht 09/2018

September 2018

Der EuGH hat am 25. Juli 2018 seine lange erwartete Entscheidung im Streit um ergänzende Schutzzertifikate (ESZ) für das HIV-Medikament TRUVADA von Gilead (C-121 / 17) vorgelegt. Sie stellt einen weiteren Schritt bei der Klärung der Voraussetzungen für die Erteilung von ESZ für Medikamente, die aus Wirkstoffkombinationen bestehen, dar. Es ist dennoch auch künftig mit Vorlagen nationaler Gerichte zur weiteren Klärung der Voraussetzungen für die Erteilung von ESZ für Wirkstoffkombinationen zu rechnen. Dies umso mehr, da es hier um das öffentlichkeitswirksame Spannungsfeld zwischen der Verfügbarkeit günstiger Generika und der Amortisation von Investitionen der Originatoren in innovative Medikamente durch verlängerten Patentschutz geht.

Problemaufriss

Zunächst hatte der EuGH durch die Medeva-Entscheidung (C-322 / 10) im Jahre 2011 für den nachfolgenden Klärungsbedarf selbst gesorgt. In dieser Entscheidung hat der EuGH sich zur Auslegung der Voraussetzungen für die Erteilung eines ESZ nach Art. 3 der EU-Verordnung Nr. 469 / 2009 (ESZ-Verordnung) im Falle von Wirkstoffkombinationen geäußert. Insbesondere legte er das Tatbestandsmerkmal des Art. 3 Buchst. a der ESZ-Verordnung, wonach „das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ sein muss, für ein aus mehreren Wirkstoffen mit kombinierter Wirkung bestehendes Erzeugnis dahingehend aus, dass ein ESZ nicht für Wirkstoffe erteilt werden kann, die nicht in den Ansprüchen des Grundpatents genannt sind („specified in the wording of the claims“).

Welche Voraussetzungen in diesem Punkt („specified“) erfüllt sein müssen, ließ der EuGH seinerzeit offen. Insbesondere stellte sich in den Fällen, in denen der unter einem ESZ zu schützende Wirkstoff nicht explizit in den Ansprüchen des Grundpatents genannt wurde, die Frage, ob eine Strukturformel (in Form einer üblichen Markush-Formel) oder sogar allein eine funktionelle Definition des Wirkstoffes genüge. Hierzu äußerte sich der EuGH in der Entscheidung in der Rechtssache Eli Lilly and Company (C-493 / 12), in der er klarstellte, dass nicht zwingend eine Strukturformel erforderlich ist. Vielmehr genüge zur Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 3 Buchst. a ESZ-Verordnung auch eine funktionelle Bestimmung eines Wirkstoffes in den Ansprüchen des Grundpatents, wenn „diese Ansprüche, die nach Art. 69 EPÜ und dem Protokoll über die Auslegung des EPÜ u. a. im Lichte der Beschreibung der Erfindung auszulegen sind, den Schluss zulassen, dass sie sich stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise“. Auch diese Entscheidungsformel lässt erheblichen Raum, den die nationalen Behörden und Gerichte in jedem Einzelfall ausfüllen müssen. Die in dieser Entscheidung aufgestellten Kriterien helfen aber dann nicht, wenn im fraglichen Anspruch nahezu keinerlei Einschränkung vorgenommen wird, sondern wie häufig jegliche Kombination eines innovativen Wirkstoffs mit „anderen therapeutischen Bestandteilen“ beansprucht wird. Dies führte letztlich zur nun entschiedenen Vorlagefrage betreffend das britische ESZ für das Arzneimittel TRUVADA.

Der TRUVADA-Fall

Das Pharmaunternehmen Gilead hat für sein antiretrovirales Arzneimittel TRUVADA zur Behandlung von HIV-infizierten Patienten in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten, u. a. im Vereinigten Königreich, im Jahre 2008 ein ESZ (SPC / GB05 / 041) auf der Grundlage seines Europäischen Patents EP 0 915 894 erwirkt. Das Grundpatent wurde am 14. Mai 2003 erteilt und lief am 24. Juli 2017 ab. Es schützt die Verwendung einer Reihe von Molekülen zur Behandlung von Virusinfektionen bei Menschen oder Tieren, namentlich HIV. Die Moleküle sind nach zwei Markush-Formeln definiert, wobei Anspruch 25 ein eigenständiger Anspruch für den Wirkstoff Tenofovir Disoproxil (TD) ist. Nach Anspruch 27 wird der Schutz für eine „Pharmazeutische Zusammensetzung umfassend eine Verbindung nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 25 zusammen mit einem pharmazeutisch verträglichen Träger und gegebenenfalls andere therapeutische Bestandteile“ beansprucht. Das Arzneimittel enthält die zwei Wirkstoffe Tenofovir Disoproxil (TD) und Emtricitabin und verfügt über eine im Jahr 2005 von der EMA erteilte Marktzulassung. Das britische ESZ betrifft eine „Zusammensetzung aus [TD] … und Emtricitabin“ und wurde auf Grundlage des Anspruchs 27 des Grundpatents und der zentralen Marktzulassung für TRUVADA erteilt.

Mehrere Generika-Unternehmen haben in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten die für die Wirkstoffkombination erteilten ESZ angegriffen, u. a. in Großbritannien vor dem vorlegenden High Court of Justice (HCJ), da sie generische Versionen von TRUVADA auf den Markt bringen möchten, sobald das Grundpatent abläuft. Nach Ansicht des HCJ genüge es – anders als von Gilead argumentiert – nicht, dass die Wirkstoffkombination in Anwendung des Art. 69 EPÜ und des Auslegungsprotokolls unter mindestens einen Anspruch des Grundpatents fällt, sondern es sei „noch etwas anderes erforderlich“. Allerdings ließen sich diese zusätzlichen Kriterien nicht aus den bisherigen Entscheidungen des EuGH entnehmen, sodass der HCJ mit seiner Vorlage fragte: „Nach welchen Kriterien ist zu entscheiden, ob im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469 / 2009 ,das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist‘?“

Die Entscheidung

Der EuGH hat die Vorlagefrage dadurch beantwortet, dass es zunächst seine Formel aus der Entscheidung Eli Lilly and Company (C493 / 12) wiederholt, dass sich im Falle einer Wirkstoffkombination „die Ansprüche des Grundpatents notwendigerweise und spezifisch auf die Kombination der Wirkstoffe, aus denen das Erzeugnis besteht, beziehen [müssen], auch wenn sie darin nicht ausdrücklich erwähnt wird“. Der EuGH konkretisiert dies dann aber weiter dahingehend, dass „[dabei] … aus der Sicht des Fachmanns nach dem Stand der Technik bei der Einreichung oder am Prioritätstag des Grundpatents

  • die Kombination der Wirkstoffe im Licht der Beschreibung und der Zeichnungen des Patents notwendigerweise von der durch das Patent geschützten Erfindung erfasst sein [muss] und
  • jeder der Wirkstoffe im Licht aller durch das Patent offengelegten Angaben spezifisch identifizierbar sein [muss]."

Auch wenn der EuGH betont, dass die Prüfung dieser Kriterien Sache des vorlegenden Gerichts sei, merkt er an, dass sie im zur Vorlage führenden Fall nicht erfüllt seien. Die Wendung „andere therapeutische Bestandteile“ in Anspruch 27 beziehe sich nicht auf einen Wirkstoff, weder strukturell noch funktionell oder in irgendeiner anderen Weise, sondern erfasse eine praktisch unbegrenzte Zahl von Wirkstoffen zur Behandlung zahlreicher Krankheiten. Tatsächlich sei zudem Emtricitabin erst sieben Jahre nach dem Prioritätstag des Grundpatents für die klinische Anwendung zugelassen worden, und es gebe keinen Beleg dafür, dass seine Wirksamkeit dem Fachmann zum Prioritätstag des Grundpatents bekannt gewesen sei.

Fazit

Die Entscheidung des EuGH stellt eine konsequente Fortschreibung seiner bisherigen Entscheidungen dar, mit denen er die mit der Medeva-Entscheidung (C-322 / 10) aufgeworfenen Fragen zu beantworten versucht. Sie stützt zudem die Position deutscher Gerichte in Bezug auf das parallele deutsche ESZ für TRUVADA. So hat das BPatG bereits im Juli 2017 eine vorläufige negative Bewertung abgegeben und das ESZ im Mai 2018 für unwirksam erklärt (Az.: 4 Ni 12 / 17). Das LG München hat im Hinblick auf den qualifizierten Hinweis des BPatG Anträge von Gilead auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im August 2017 zurückgewiesen (Az.: 7 O 11152 / 17). In der Folge sind seit August 2017 deutlich kostengünstigere generische Versionen von TRUVADA in Deutschland gelistet. Da der EuGH allerdings in seiner Antwort erneut im Einzelfall zu konkretisierende Kriterien aufstellt, wird es auch in der Zukunft Folgevorlagen geben. Zwei weitere Vorlagen sind bereits beim EuGH anhängig (Az.: C-650 / 17 und C-114 / 18).

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Autoren

Foto vonThomas Hirse
Dr. Thomas Hirse
Partner
Düsseldorf