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Update Commercial 12/2022

Dezember 2022

Das Jahr 2022 neigt sich seinem Ende entgegen. Dies nehmen wir zum Anlass, Ihnen noch einmal in diesem Jahr einen Überblick über aktuelle Urteile und rechtliche Entwicklungen in den Bereichen Produktion, Beschaffung und Vertrieb zu geben. 

Thema der Dezember-Ausgabe unseres Updates sind unter anderem zwei Urteile des EuGH zum Handelsvertreterrecht und zur Haftung des sogenannten „Quasi-Herstellers“ für fehlerhafte Produkte. Der BGH hat sich zu den sehr praxisrelevanten Fragen positioniert, zu welchem Zeitpunkt E-Mails bei ihrem Empfänger zugehen und wann ein Online-Händler über eine Herstellergarantie informieren muss. 

Auch das neue Jahr wird für uns alle wieder große Herausforderungen mit sich bringen, wozu insbesondere der Klimawandel beiträgt. Als ein zentraler Hoffnungsträger in Richtung Klimaneutralität gilt Wasserstoff. Die ambitionierten Wasserstoffstrategien der EU und vieler Mitgliedstaaten sowie die wirtschaftlichen und rechtlichen Hürden für Produktion, Transport, Speicherung und Nutzung von Wasserstoff diskutieren wir online im CMS Neujahrsgespräch mit den Referenten Till Mansmann MdB, Innovationsbeauftragter „Grüner Wasserstoff“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), und Leif Frederik Blum, LL.M., Leiter Kommunales Partnermanagement Region Nord bei der Westenergie AG: 

Wasserstoff – Energieträger der Zukunft: Was wurde erreicht – was ist noch zu tun? am 19. Januar 2023 um 11.00 Uhr. Zu diesem Webinar laden wir Sie herzlich ein. 

Einen Ausblick, welche (Rechts-)Themen das kommende Jahr darüber hinaus bereithalten wird, geben wir auf unserer Homepage: 2023 – Themen, die Sie bewegen werden

Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien frohe Feiertage und ein gesundes, glückliches und erfolgreiches neues Jahr.
 


Inhalt

Im Folgenden finden Sie die Themen des Newsletters.

Aktuelle Rechtsprechung

Gesetzgebung und Trends

Bei Interesse können Sie das Update Commercial hier abonnieren.


Aktuelle Rechtsprechung

Ausgleichsabfindung des Hauptvertreters kann Ausgleichsanspruch des Untervertreters begründen

(EuGH, Urteil v. 13. Oktober 2022 – C-593/21 – Herios)

  • Die europäische Handelsvertreter-Richtlinie (RL 86/653/EWG) gewährt Handelsvertretern nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Unternehmer Anspruch auf Zahlung eines Ausgleichs, wenn und soweit der Handelsvertreter für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht. Setzt ein Handelsvertreter für die Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten seinerseits Untervertreter ein, kann nach einer Entscheidung des EuGH in dem Vertragsverhältnis zwischen Haupt- und Untervertreter, in dem der Hauptvertreter für den Untervertreter die Rechtsstellung des Unternehmers einnimmt, ein solcher „erheblicher Vorteil“ auch in einer Ausgleichszahlung bestehen, die der Hauptvertreter von „seinem“ Unternehmer für Kunden erhält, die der Untervertreter geworben hat. 
  • Da der Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift keine näheren Angaben zur Natur des Vorteils enthalte, könne der Begriff „erhebliche Vorteile“ alle Vorteile umfassen, die der Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses aus den Anstrengungen des Vertreters zieht, einschließlich der von seinem eigenen Unternehmer erhaltenen Ausgleichsabfindung. Entsprechend dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel, den Handelsvertreter in seiner Beziehung zum Unternehmer zu schützen, seien die Regelungen zum Handelsvertreterausgleich in einem Sinne auszulegen, der zu diesem Schutz des Handelsvertreters beiträgt und folglich seine Verdienste beim Zustandekommen der ihm anvertrauten Geschäfte vollständig berücksichtigt; jede Auslegung, die sich für den Handelsvertreter als nachteilig erweisen könnte, sei ausgeschlossen. Demzufolge liefe eine Auslegung, wonach der Begriff „erhebliche Vorteile“ nicht auch eine Ausgleichsabfindung umfasse, die der Unternehmer (hier: der Hauptvertreter) in dem Umfang erhalten hat, in dem der Handelsvertreter (hier: der Untervertreter) Kundschaft geworben hat, für die dieser nicht mehr vergütet wird, dem mit der Handelsvertreter-Richtlinie verfolgten Ziel des Schutzes des Handelsvertreters zuwider.
  • Die Zahlung eines Ausgleichs an den Untervertreter könne jedoch unbillig sein, wenn dieser – wie in dem der EuGH-Entscheidung zugrundeliegenden Fall – nach Beendigung des Untervertretervertrags mit dem Hauptvertreter seine Tätigkeit gegenüber denselben Kunden und für dieselben Produkte unmittelbar (anstelle des Hauptvertreters, der ihn zuvor eingestellt hatte) für den Hauptunternehm er fortsetzt. Denn in diesem Fall erleide der Untervertreter durch die Beendigung des Untervertretervertrags keine negativen Folgen. 
  • Der Ausgleichsanspruch habe aus der Sicht des Vertreters im Wesentlichen den Zweck einer Entlohnung, da die Zahlung dazu bestimmt sei, den Handelsvertreter für die von ihm unternommenen Anstrengungen zu vergüten, soweit der Unternehmer auch nach Beendigung des Handelsvertretervertrags weiterhin von den wirtschaftlichen Vorteilen aus diesen Anstrengungen profitiert. Zwar könne diese Bestimmung nicht eng ausgelegt werden. Hingegen könne der Ausgleich keine Schäden abdecken, die nicht unmittelbar mit dem Verlust von Kundschaft beim Handelsvertreter zusammenhängen. Wenn der bisherige Untervertreter weiterhin denselben Kunden für dieselben Produkte, aber für Rechnung eines anderen Unternehmers zur Verfügung stehe, entspreche die Zahlung eines Ausgleichs nicht der Billigkeit, weil der spezifische Schaden, den sie ausgleichen soll, nicht vorliege, da der Untervertreter seinen Kundenstock nicht verliere. 

Praxistipp: Der EuGH stellt in seiner Entscheidung zunächst klar, dass ein Ausgleich, den ein Handelsvertreter vom (Haupt-)Unternehmer für von Untervertretern geworbene Kunden erhält, einen erheblichen Vorteil des Hauptvertreters darstellt, der seinerseits einen Ausgleichsanspruch des Untervertreters begründen kann – aber nicht muss. Da Voraussetzung für die Zahlung eines solchen Ausgleichs immer auch ist, dass diese der Billigkeit entspricht, ist entscheidend auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abzustellen. Verliert der Untervertreter durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Hauptvertreter keine Kunden, da er seine Tätigkeit im Wesentlichen unverändert unmittelbar für den Hauptunternehmer fortsetzt, soll eine Ausgleichszahlung des Hauptvertreters an den bisherigen Untervertreter nicht der Billigkeit entsprechen. Dies leuchtet zwar auf den ersten Blick ein, weil ein wesentliches Kriterium bei der Billigkeit der Provisionsverlust des Handelsvertreters ist. Es ist aber möglicherweise zu kurz gedacht: Unternehmer, die eine direkte Vertragsbeziehung zu einem bisherigen Untervertreter aufnehmen, dürften kein Risiko haben, für Kunden, die der bisherige Untervertreter noch für den ehemaligen Hauptvertreter geworben hat, bei Beendigung des Vertrags mit dem „aufgerückten“ Untervertreter noch einmal, also im Ergebnis doppelt Ausgleich zahlen zu müssen. Denn mit der Zahlung des Ausgleichs an den Hauptvertreter hat der Unternehmer seine Pflicht zur Vergütung des akquirierten Kundenstamms erfüllt. Schließt er einen neuen Handelsvertretervertrag, sind diese Kunden für den neuen Handelsvertreter "Altkunden", für die er bei Beendigung seines Vertrages nur dann einen Ausgleich fordern kann, wenn er die Geschäftsverbindung wesentlich erweitert hat. Die Konsequenz für den "aufgerückten" Untervertreter wäre dann aber, dass er bei Beendigung seines Vertrages mit dem Unternehmer erneut keinen Ausgleich verlangen kann, weil er die Kunden nicht im Rahmen dieses Vertragsverhältnisses akquiriert hat. Das würde ihn aber benachteiligen, denn bei Beendigung des Untervertretervertrages würde er keinen Ausgleich bekommen, weil er die von ihm akquirierten Kunden weiternutzen kann, bei Beendigung des Vertrages mit dem Unternehmer ebenfalls nicht, weil er diese Kunden nicht im Rahmen dieses Vertragsverhältnisses akquiriert hatte. Dies legt den Schluss nahe, dass man bei Beendigung des Vertrages mit dem Hauptvertreter im Rahmen der Billigkeitsprüfung diesen Umstand zugunsten des Untervertreters angemessen berücksichtigen sollte. Der EuGH hat dazu keine abschließende Entscheidung getroffen, sondern die Prüfung der Billigkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls dem nationalen Gericht überlassen.

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Höheres Haftungsrisiko des „Quasi-Herstellers“ gemäß Produkthaftungsrichtlinie? 

(EuGH, Urteil v. 7. Juli 2022 – C-264/21 – Koninklijke Philips NV)

  • Im Juli 2022 hat der EuGH über ein Vorabentscheidungsersuchen des finnischen Obersten Gerichtshofes im Hinblick auf die Frage der Herstellerhaftung i. S. d. Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG) durch Markenkennzeichnung von Produkten entschieden. Gegenstand des finnischen Verfahrens war ein von einem Verbraucher geltend gemachter Schaden aufgrund des Brandes einer Kaffeemaschine von Koninklijke Philips NV („Koninklijke Philips“). Auf dieser Kaffeemaschine waren zwei Marken angebracht, Saeco und Philips, beide eingetragen für die Koninklijke Philips. Tatsächlicher Hersteller war die italienische Saeco International Group SpA, eine Tochtergesellschaft der Koninklijke Philips. Auf der Kaffeemaschine selbst waren neben dem CE-Kennzeichen „Saeco“, eine Adresse in Italien und „Made in Romania“ angebracht. Die von dem Verbraucher in Anspruch genommene Versicherung klagte gegen Koninklijke Philips, die Klageabweisung beantragte, da sie nicht Hersteller der Kaffeemaschine sei.
  • Der EuGH befasste sich in der Sache nur mit der ersten der zwei gestellten Auslegungsfragen. Konkret ging es darum, ob der Herstellerbegriff des Art. 3 Abs. 1 der Produkthaftungsrichtlinie (in Deutschland umgesetzt durch § 4 Abs. 1 Produkthaftungsgesetz) zusätzlich zu der Anbringung des Herstellernamens, einer Marke oder anderer Erkennungszeichen auf dem Produkt verlangt, dass sich eine Person auch auf andere Weise als Hersteller des Produkts ausgibt. 
  • Dies hat der EuGH verneint. Für die „Quasi-Hersteller-Haftung“ komme es allein darauf an, dass die Marke auf dem Produkt angebracht ist. Aus dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 der Produkthaftungsrichtlinie ergebe sich, dass für eine Haftung als „Quasi-Hersteller“ eine Beteiligung der Person, die sich als Hersteller ausgibt, am Herstellungsprozess des Produkts nicht erforderlich sei. Der Unionsgesetzgeber habe zum Zwecke des Verbraucherschutzes ein weites Verständnis des Begriffs des „Herstellers“ erreichen wollen. Mit der gleichrangigen Haftung von tatsächlichem Hersteller und „Quasi-Hersteller“ solle für geschädigte Verbraucherinnen und Verbraucher die Last, den tatsächlichen Hersteller des fraglichen fehlerhaften Produkts ermitteln zu müssen, gemildert werden. Gebe eine Person sich als Hersteller aus, indem sie auf dem fraglichen Produkt ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen anbringe, erwecke sie den Eindruck, am Herstellungsprozess beteiligt oder dafür verantwortlich zu sein. Demnach laufe die Verwendung dieser Angaben darauf hinaus, dass diese Person ihre Bekanntheit nutze, um das fragliche Produkt aus Verbrauchersicht attraktiver zu machen. Das rechtfertige es, dass sie im Umkehrschluss wegen dieser Verwendung auch haftbar gemacht werden könne.

Praxistipp: Bislang konnte nach der herrschenden Ansicht in Deutschland der mit der Markenanbringung gesetzte Rechtsschein im Hinblick auf die Herstellereigenschaft und damit eine Haftung der Markeninhaberin als „Quasi-Herstellerin“ ausgeschlossen werden, wenn eine klare Angabe des tatsächlichen Herstellers (mit Anschrift) und / oder klare Hinweise wie „produced by … / hergestellt von …“ oder gar „produced by … for … / hergestellt von … für …“ verwendet wurden. (Die bloße Angabe des Herstellungsortes wie „made in …“ ist insofern nicht ausreichend.) Dies wurde damit begründet, dass in dieser Situation für Verbraucherinnen und Verbraucher klar erkennbar sei, wer originär für die Konformität und Sicherheit des Produktes verantwortlich ist, und daher grundsätzlich kein Bedürfnis für eine Haftung der Markeninhaberin als „Quasi-Herstellerin“ bestehe. 

Aufgrund des EuGH-Urteils vom 7. Juli 2022 steht nun jedoch im Raum, dass solche klaren Angaben und Zusätze ggf. zukünftig nicht mehr greifen könnten. In der Fachpraxis wird das Urteil zum Teil so verstanden, dass ein klarstellender und auf den tatsächlichen Hersteller hinweisender Zusatz künftig nichts an der Haftung der Markeninhaberin ändern würde. Dies könnte bspw. für Unternehmen, zu deren Geschäftspraxis die sogenannten White-Label- oder Private-Label-Produkte gehören, weitreichende Auswirkungen haben. Tatsächlich äußert sich der EuGH nicht im Einzelnen zu diesem Aspekt. Insofern erscheint es aktuell gut vertretbar, davon auszugehen, dass eine klare Kennzeichnung auch weiterhin zu einem Haftungsausschluss, jedenfalls aber zu einer Haftungsminimierung für die Markeninhaberin führen kann. Es bleibt abzuwarten, wie die nationalen Gerichte auf die Auslegung des EuGH reagieren und seine für sie grundsätzlich bindende Entscheidung konkretisieren und anwenden werden. Vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils sind aber eine klare Kennzeichnung des Produkts und der Verpackung sowie eine klare Identifizierung des Herstellers zukünftig umso mehr zu empfehlen. 

Nicht nur wegen des EuGH-Urteils gehört zu einem Konzern-Haftungskonzept die Beantwortung der Frage, welche Gesellschaft Markeninhaberin ist und ob die sich dadurch ggf. ergebende Zugriffshaftung auf eine nichtoperative Gesellschaft gewollt ist.

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Auch in kartellrechtlichen und sonstigen einstweiligen Verfügungsverfahren vor den Zivilgerichten verlangt die prozessuale Waffengleichheit grundsätzlich eine mündliche Verhandlung 

(BVerfG, Beschluss v. 16. März 2022 – 1 BvR 375/21)

  • Die Betreiberin eines Online-Marktplatzes hatte ein Verkäuferkonto wegen des Vorwurfs manipulierter Kundenrezensionen deaktiviert. Hiergegen setzte sich der Verkäufer mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor dem Landgericht zur Wehr. Das Landgericht gab dem Verfügungsantrag statt, ohne eine mündliche Verhandlung anzusetzen oder anderweitig dem Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dagegen legte die Marktplatzbetreiberin Verfassungsbeschwerde ein, die vom BVerfG zurückgewiesen wurde. 
  • Beachtenswert ist die Entscheidung weniger aus den Zurückweisungsgründen als vielmehr deswegen, weil das Gericht seine bisherigen Grundsätze zur prozessualen Waffengleichheit ausdrücklich auf einstweilige Verfügungsverfahren vor den Zivilgerichten schlechthin einschließlich der Kartellgerichte erstreckt hat.

Praxistipp: Das BVerfG hatte mit Entscheidung vom 30. September 2018 – 1 BvR 1783/17 – ein Grundrecht auf prozessuale Waffengleichheit zunächst für das Presserecht postuliert und aus diesem Recht hergeleitet, dass eine einstweilige Verfügung grundsätzlich nur nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassen werden darf, und zwar selbst dann, wenn besondere Dringlichkeit gegeben ist. Ausnahmsweise kann auf die mündliche Verhandlung dann verzichtet werden, wenn die vorprozessuale Abmahnung und der bei Gericht eingereichte Antrag identisch sind und die Erwiderung der Gegenseite dem bei Gericht eingereichten Antrag beigefügt wird. Das ist etwa dann zu verneinen, wenn der bei Gericht eingereichte Antrag auf die Erwiderung der Gegenseite inhaltlich eingeht und ergänzende Argumente enthält, zu denen sich der Gegner noch nicht äußern konnte.

In weiteren Beschlüssen hat das BVerfG klargestellt, dass diese Grundsätze nicht nur für das Äußerungsrecht, sondern auch für das Lauterkeitsrecht gelten. Nunmehr sind vom BVerfG zwei weitere Klarstellungen vorgenommen worden. Zunächst ist klargestellt worden, dass in einstweiligen Verfügungsverfahren, die das Kartellrecht betreffen, ebenso zu verfahren ist. Darüber hinaus kann der Entscheidung auch entnommen werden, dass das Recht auf prozessuale Waffengleichheit in einstweiligen Verfügungsverfahren vor den Zivilgerichten schlechthin Geltung beansprucht. 

Es liegt auf der Hand, dass diese Rechtsprechung für den Antragsteller prozessuale Konsequenzen hat. Es genügt danach vor allem nicht, zunächst mit einer eher kurz gefassten Abmahnung vorzupreschen, diese dann zusammen mit der Erwiderung dem Gericht vorzulegen, zugleich aber mit dem gerichtlichen Antrag die Sach- und Rechtslage deutlich umfassender als in der Abmahnung und unter Einbeziehung der gegnerischen Argumentation in der vorprozessualen Erwiderung zu präsentieren. 

Für den Antragsgegner stellt sich nunmehr in anderem Licht die Frage, ob er Schutzschriften hinterlegen sollte. Eigentlich braucht er das jetzt nicht mehr. Allerdings könnte es in dem einen oder anderen Fall ratsam sein, dennoch so zu verfahren; denn es kann, wie gerade auch der vorliegende Fall zeigt, nicht unbedingt damit gerechnet werden, dass sämtliche Landgerichte die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinreichend kennen bzw. beachten. Allerdings kann dabei die Gefahr bestehen, dass das Gericht die Meinung vertritt, dass der Antragsgegner durch die Schutzschrift bereits genügend rechtliches Gehör erhalten habe, insbesondere wenn er darin alle Gesichtspunkte der Antragsschrift behandelt.

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Zugang von E-Mails im geschäftlichen Verkehr

(BGH, Urteil v. 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21)

  • Der BGH hat in einer Entscheidung aus Oktober 2022 zu der bislang nicht höchstrichterlich geklärten Frage Stellung genommen, wann eine E-Mail dem Empfänger zugeht. 
  • Danach gilt eine E-Mail jedenfalls dann, wenn sie im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, grundsätzlich in diesem Zeitpunkt als zugegangen, ohne dass es darauf ankommt, ob die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird. Denn zu diesem Zeitpunkt sei die E Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen könne. Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver sei jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können.
  • Damit stellt sich der BGH gegen die teilweise vertretene Ansicht, dass für den Zugang maßgeblich sei, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen könne (was i. d. R. spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit der Fall sein soll). 

Praxistipp: Mit der Entscheidung schafft der BGH Klarheit in Bezug auf die Frage des Zugangs von E-Mails, die innerhalb der üblichen Geschäftszeiten beim Empfänger eingehen. Offen bleibt, wann von einem Zugang auszugehen ist, wenn eine E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht – hier wird überwiegend von einem Zugang am nächsten Geschäftstag ausgegangen. Ebenfalls differenziert der BGH in seiner Entscheidung nicht zwischen dem Zugang von im E-Mail-Text selbst enthaltenen Informationen und dem von Willenserklärungen, die im Anhang einer E-Mail enthalten sind. Für letzteren Fall hatte das OLG Hamm im März 2022 in einer wettbewerbsrechtlichen Entscheidung angenommen, dass diese Informationen erst zugehen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang tatsächlich geöffnet hat (wir berichteten im Update Commercial 08/2022). Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung auch dieser Frage empfiehlt es sich daher weiterhin, jedenfalls bei einem Erstkontakt per E-Mail die wesentlichen Informationen (auch) in den E-Mail-Text selbst aufzunehmen. Da das Urteil des BGH sich nur mit dem Zeitpunkt des Zugangs von E-Mails, nicht aber mit den damit verbundenen Schwierigkeiten für den Absender befasst, den Zugang beim Empfänger auch rechtssicher nachweisen zu können, sollten bei fristgebundenen Erklärungen zudem stets auch alternative Kommunikationswege (ggf. zusätzlich) in Betracht gezogen werden.

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Verjährungsbeginn bei Vertragsstrafen nach „Hamburger Brauch“

(BGH, Urteil v. 27. Oktober 2022 – I ZR 141/21)

  • Bei einer Vertragsstrafe nach dem sogenannten „Hamburger Brauch“ verpflichtet sich der Schuldner für den Fall einer Vertragsverletzung nicht zur Zahlung eines festen Betrages, sondern die Parteien vereinbaren, dass der Gläubiger in diesem Fall die Strafhöhe nach billigem Ermessen festlegen soll und diese Bestimmung im Streitfall gerichtlich überprüft werden kann. Der BGH hat in diesem Zusammenhang nun entschieden, dass bei einem solchen Anspruch die regelmäßige Verjährungsfrist nicht schon mit der durch die Vertragsstrafe sanktionierten Zuwiderhandlung beginnt, sondern erst wenn der Gläubiger den Anspruch in einer bestimmten Höhe geltend macht.
  • Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs (das seinerseits Voraussetzung für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist i. S. v. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist) sei, dass der Anspruch erstmals geltend gemacht und im Wege der Klage durchgesetzt werden könne. Hierfür sei grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs erforderlich, die dem Gläubiger die Möglichkeit der Leistungsklage verschaffe. Ein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ werde – anders als ein Anspruch auf Zahlung einer festen Vertragsstrafe – nicht schon mit der Zuwiderhandlung fällig, sondern erst wenn der Gläubiger sein Leistungsbestimmungsrecht gegenüber dem Schuldner verbindlich ausgeübt und die Höhe der verwirkten Vertragsstrafe wirksam konkretisiert habe.
  • Anders als das Berufungsgericht noch argumentiert hatte, sah der BGH keinen Grund, den Verjährungsbeginn in einem solchen Fall – abweichend von dem allgemeinen Grundsatz – an die Vollendung der Zuwiderhandlung zu knüpfen. Insbesondere sei eine solche Vorverlagerung nicht mit Blick auf den Zweck der Verjährung geboten, den Schuldner vor Beweisschwierigkeiten zu schützen und nach einer bestimmten Zeitdauer Rechtsfrieden eintreten zu lassen. Zwar habe der Gläubiger es in gewisser Weise „in der Hand“, durch Bestimmung der Strafhöhe für die Fälligkeit des Vertragsstrafenanspruchs zu sorgen und so den Anfang der Verjährungsfrist herauszuschieben. Doch auch bei anderen Ansprüchen mit hinausgeschobener, von der Disposition des Gläubigers abhängiger Fälligkeit beginne die Verjährung nicht schon mit dem Zeitpunkt, zu dem der Gläubiger erstmals die Fälligkeit hätte herbeiführen können. 
  • Auch bei einer verzögerten Festlegung der Vertragsstrafe durch den Gläubiger würden schutzwürdige Belange des Schuldners regelmäßig nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt, da dieser die Möglichkeit habe, die Höhe der Vertragsstrafe gerichtlich bestimmen zu lassen, wenn der Gläubiger sein Leistungsbestimmungsrecht nicht innerhalb einer objektiv angemessenen Zeit ausübe. Zudem könne der Gläubiger seinen Vertragsstrafenanspruch im Einzelfall nach Treu und Glauben verwirken, wenn er über einen längeren Zeitraum keine Vertragsstrafe festlege und der Schuldner nach dem gesamten Verhalten des Gläubigers darauf vertrauen durfte, dass dieser wegen der in Rede stehenden Vertragsverletzung keine Vertragsstrafe (mehr) verlangen werde.
  • Folgerichtig musste der BGH sich nicht mehr mit der Frage befassen, ob es sich bei dem Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ um einen sogenannten verhaltenen Anspruch handelt, bei dem der Gläubiger die Leistung jederzeit verlangen kann, der Schuldner die Leistung jedoch nicht von sich aus erbringen muss bzw. nicht leisten darf, bevor sie der Gläubiger verlangt. Da in diesen Fällen die Entstehung des Anspruchs und das Verlangen des Gläubigers nach Leistung zeitlich auseinanderfallen (können) und so abstrakt die Gefahr besteht, dass der Anspruch zum Zeitpunkt seiner Geltendmachung bereits verjährt ist, komme es bei derartigen Ansprüchen für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist nicht auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung, sondern auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs durch den Gläubiger an. Weil der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ aber erst mit dem Verlangen des Gläubigers nach einer bestimmten Strafsumme fällig werde, stimme der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung mit dem Zeitpunkt seiner Geltendmachung durch den Gläubiger überein, sodass die Verjährung nicht beginne, bevor der Gläubiger den Anspruch geltend macht.

Praxistipp: Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ kann sinnvoll sein, wenn die Frage, welche Strafsumme im Einzelfall angemessen ist, von Faktoren abhängt, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht feststehen, oder wenn die Vereinbarung einer festen Vertragsstrafe aus anderen Gründen Schwierigkeiten bereitet. Sie birgt jedoch immer auch das Risiko, die Diskussion um die angemessene Anspruchshöhe nur zeitlich zu verlagern. Die Entscheidung des BGH, dass die Verjährung des Zahlungsanspruchs erst mit Geltendmachung der Strafe durch den Gläubiger beginnt, erweitert die mit dem Modell verbundenen Unwägbarkeiten um eine zeitliche Komponente. Um jedenfalls diesem Aspekt vorzubeugen, kann es sich empfehlen, im Vertrag festzulegen, dass der Gläubiger die Vertragsstrafe innerhalb eines gewissen Zeitraums nach Kenntniserlangung über die Vertragsverletzung verlangen muss. 

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Onlinehändler müssen nicht immer über Herstellergarantien informieren

(BGH, Urteil v. 10. November 2022 – I ZR 241/19)

  •  Onlinehändler müssen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht näher über die Herstellergarantie für ein angebotenes Produkt informieren, wenn die Garantie kein zentrales Merkmal ihres Angebots ist. Entsprechend hat der BGH infolge einer Vorabentscheidung des EuGH aus Mai 2022 (wir berichteten im Update Commercial 06/22) geurteilt.
  • Wie auch der EuGH geht der BGH davon aus, dass eine vorvertragliche Informationspflicht über die Bedingungen der Herstellergarantie gem. § 312 d Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 246 a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB bei richtlinienkonformer Auslegung der Vorschriften erst dann entsteht, wenn ein Unternehmer die Garantie zu einem zentralen oder entscheidenden Merkmal seines Angebots macht und so als Verkaufsargument einsetzt. Erwähne er die Herstellergarantie dagegen nur beiläufig, sodass sie aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher kein Kaufargument darstellt, müsse er keine Informationen über die Garantie zur Verfügung stellen.
  • Im Streitfall sah der BGH die Herstellergarantie nicht als wesentliches Merkmal des Angebots der beklagten Onlinehändlerin an, da die Garantie auf der Angebotsseite selbst nicht erwähnt wurde, sondern sich lediglich an untergeordneter Stelle in einem Produktinformationsblatt fand, das nur über einen Link unter der Zwischenüberschrift „Weitere technische Informationen“ zu erreichen und mit der Bezeichnung „Betriebsanleitung“ versehen war, was nach Ansicht des BGH eher auf eine technisch-funktionale Erläuterung hindeute.
  • Die in § 479 Abs. 1 BGB normierte Pflicht zur Information über den Gegenstand und den Inhalt einer (Hersteller-)Garantie greife erst bei Unterbreitung eines verbindlichen Angebots auf Abschluss eines Garantievertrags. Im Streitfall habe der auf der Angebotsseite befindliche Link auf das Produktinformationsblatt mit der Herstellergarantie noch kein verbindliches Garantieversprechen enthalten.

Praxistipp: Nach dem EuGH bestätigt nun auch der BGH noch einmal, dass Onlinehändler selbst entscheiden können, ob und in welcher Form sie in ihren Angeboten auf etwaige Herstellergarantien hinweisen möchten, und nicht in jeden Fall über sämtliche bestehenden Garantien informieren müssen. Stellt eine Garantie ein zentrales Merkmal des Angebots dar und ist eine vorvertragliche Informationspflicht daher zu bejahen, ist allerdings darauf zu achten, dass die maßgeblichen Informationen „in klarer und verständlicher Form“ gegeben werden. Was in diesem Zusammenhang als „klar und verständlich“ anzusehen ist, hängt dabei auch von der Art des Produkts und dem Umfang der Garantie ab. Das LG Düsseldorf hat in diesem Zusammenhang bspw. kürzlich entschieden, dass diesen Anforderungen nicht genügt wird, wenn Informationen über Inhalt und Reichweite der Garantie für ein Küchenmesser ausschließlich in englischer Sprache bereitgestellt werden, da das Maß an Englischkenntnissen, das zum korrekten Verständnis des Hinweises benötigt werde, bei erheblichen Teilen des angesprochenen Publikums mutmaßlich nicht vorhanden sei (LG Düsseldorf, Urteil v. 8. Juli 2022 – 38 O 101/21). 

Nähere Informationen zur Entscheidung des BGH sowie einen Ausblick auf geplante Änderungen zu Informationspflichten durch einen Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Verbraucherrechte-Richtlinie aus März 2022 (wir berichteten im Update Commercial 04/2022) finden Sie in unserem Blogbeitrag BGH folgt EuGH bei Informationspflicht über Garantien

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BGH erklärt AGB-Klausel zur Fernabschaltung einer Autobatterie für unwirksam

(BGH, Urteil v. 26. Oktober 2022 – XII ZR 89/21)

  • Der BGH hat eine AGB-Klausel in einem Mietvertrag über eine Autobatterie, die der Vermieterin eine Fernabschaltung der Batterie ermöglicht, für unwirksam erklärt. Eine französische Bank, die Batterien für von ihren Kunden gekaufte oder geleaste Elektrofahrzeuge vermietet, verwendete in ihren „Allgemeinen Batterie-Mietbedingungen“ eine entsprechende Regelung, die ihr als Vermieterin im Fall der außerordentlichen Vertragsbeendigung durch Kündigung nach entsprechender Ankündigung die Sperre der Auflademöglichkeit der Batterie erlaubt. Hiergegen ging ein Verbraucherschutzverein gerichtlich vor.
  • Der BGH ließ in seiner Entscheidung zwar offen, ob die Sperrung der Auflademöglichkeit (wie vom Berufungsgericht angenommen) eine sogenannte „verbotene Eigenmacht“ darstelle. Er sah in der verwendeten Klausel aber jedenfalls eine unangemessene Benachteiligung der Mieter. Zwar liege es grundsätzlich im berechtigten Interesse des Vermieters, nach wirksamer Beendigung des Mietvertrags die weitere Nutzung des Mietobjekts unterbinden zu können. Demgegenüber stehe aber das Interesse des Mieters, sich – insbesondere bei Unklarheit über die Wirksamkeit einer Kündigung – die weitere Vertragserfüllung zu sichern. Berufe sich der Mieter etwa auf eine Mietminderung oder ein Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln, so laufe er Gefahr, dass der Vermieter ungeachtet dessen die Kündigung erkläre und das Mietobjekt per Fernzugriff sperre. Dadurch werde die Last, sich die weitere Nutzung zu sichern, auf den Mieter abgewälzt, da dieser die Weiterbenutzung der – gesondert erworbenen, geleasten oder gemieteten – E-Fahrzeuge im Streitfall nur durch gerichtliche Geltendmachung der weiteren Gebrauchsüberlassung der Batterie erreichen könne. Das gewinne insbesondere dann an Bedeutung, wenn das Mietobjekt und dessen fortgesetzte Nutzung für den Mieter von erheblichem Interesse seien.
  • Dementsprechend sei die gesetzliche Risikoverteilung beim Mietverhältnis dadurch geprägt, dass der Vermieter aufgrund der Überlassung des Mietobjekts grundsätzlich das Risiko der nach Mietvertragsbeendigung fortgesetzten (Ab-)Nutzung trage. Dagegen könne er sich durch Vereinbarung einer Mietkaution absichern, außerdem stehe ihm ein gesetzlicher Anspruch auf Nutzungsentschädigung zu. Die streitgegenständliche Klausel erlaube dagegen einen Zugriff auf die Batterie und mittelbar auch auf das E-Fahrzeug, das für den Mieter infolge der Batteriesperrung nutzlos werde. Dadurch, dass die Batterie herstellergebunden und mit dem E-Fahrzeug verknüpft sei, habe der Mieter keine zumutbare Möglichkeit, die gesperrte Batterie durch ein anderes Fabrikat zu ersetzen, um das E-Fahrzeug weiter betreiben zu können. Mit dem E Fahrzeug werde somit neben der Batterie ein wesentlich höherwertiger Vermögensbestandteil für ihn unbrauchbar bzw. ein Nutzungsrecht daran entwertet. Hinzu komme, dass das längerfristig angeschaffte bzw. gesondert gemietete oder geleaste E-Fahrzeug vom Mieter nicht selten beruflich genutzt werde und regelmäßig auch für die private Lebensgestaltung von wesentlicher Bedeutung sei.

Praxistipp: Die vom BGH angeführten Argumente dürften über den Anwendungsbereich der Miete von Fahrzeugbatterien hinaus auch für die Bereitstellung von anderen vernetzten und damit von außen steuerbaren Produkten übertragbar sein. Für die Frage, ob eine Fernsperrung im Falle einer Vertragsbeendigung in zulässiger Weise vereinbart werden kann, wird es daher maßgeblich darauf ankommen, inwieweit die Vertragspartner durch die Sperrmöglichkeit beeinträchtigt werden. Insbesondere dürfte hierbei relevant sein, ob eine Sperrung nur den Zugriff auf die zur Verfügung gestellte Sache selbst vereitelt oder – wie im vom BGH entschiedenen Fall – durch die Sperrung des vermieteten Gegenstandes (hier: der Batterie) auch die Funktion anderer, nicht mitvermieteter Sachen (hier: des gesondert erworbenen, geleasten oder gemieteten E-Fahrzeugs) betrifft. 

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Intransparente Gerichtsstandsklausel bei Unklarheit über Ausschließlichkeit

(LG Karlsruhe, Beschluss v. 31. Oktober 2022 – 10 O 129/22)

  • Eine in AGB enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung, die nicht klar und verständlich zum Ausdruck bringt, ob sie einen ausschließlichen Gerichtsstand oder lediglich einen zusätzlichen Aktivgerichtsstand am Sitz des Verwenders begründen soll, ist nach einer Entscheidung des LG Karlsruhe wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam.
  • Die Klausel „Sind die Vertragsparteien Vollkaufleute, so ist Gerichtsstand für alle Ansprüche der Vertragsparteien, auch für Wechsel- und Geschäftsklage der Sitz der Firma F.“ (sic!) sei nicht klar und verständlich i. S. d. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, da ihr nicht entnommen werden könne, ob nur ein zusätzlicher Wahlgerichtsstand vereinbart oder ein ausschließlicher Gerichtsstand geschaffen werden solle.
  • Da bei der Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen im rein inländischen Kontext – anders als im internationalen Rechtsverkehr – keine generelle Vermutung für oder gegen die Ausschließlichkeit des vereinbarten Gerichtsstandes streite, müsse anhand der Umstände, insbesondere des Wortlautes und der Interessenlage der Beteiligten, im Einzelfall ermittelt werden, was gemeint sei. 
  • Sofern die Umstände keine eindeutige Auslegung zuließen, sprächen gute Gründe dafür – wie ebenfalls teilweise vertreten –, auf Grundlage der Unklarheitenregel gem. § 305 c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders lediglich von einem Wahlgerichtsstand auszugehen. Da aber kein Vorrang der Unklarheitenregelung vor dem Transparenzgebot bestehe, ändere dies jedoch nichts daran, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich sei, weshalb das Gericht die Regelung als insgesamt unwirksam ansah. 

Praxistipp: Bislang gingen Gerichte unterschiedlich damit um, wenn Gerichtsstandsklauseln nicht eindeutig erkennen ließen, ob der darin genannte Gerichtsstand ausschließlicher Natur sein soll. Teilweise wurde von der Begründung eines (weiteren) Wahlgerichtsstands ausgegangen, wenn Anhaltspunkte für einen Ausschluss anderer Gerichtsstände fehlten, wobei aber mitunter bereits „imperative“ Formulierungen (wie „Gerichtsstand ist […]“ o. Ä.) als Indiz für eine Ausschließlichkeit angesehen wurden. Teilweise nahmen die Gerichte auch eine ausführliche Interessenabwägung vor, um zu ermitteln, was der Klauselverwender mutmaßlich beabsichtigt habe. Das LG Karlsruhe hielt diese Ansätze für in AGB enthaltene Klauseln allerdings nicht für mit den für allgemeine Geschäftsbedingungen anerkannten Auslegungsmethoden vereinbar und machte daher „kurzen Prozess“, indem es die unklare Klausel insgesamt für unwirksam erklärte. Es empfiehlt sich daher, bei der Erstellung von Gerichtsstandsvereinbarungen stets ausdrücklich klarzustellen, ob es sich bei dem gewählten Gerichtsstand um einen ausschließlichen handeln soll oder ob daneben auch Klagen an einem oder mehreren weiteren Gerichtsständen möglich bleiben sollen.

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 Keine Passwortabfrage vor „Kündigungsbutton“

(LG Köln, Beschluss v. 29. Juli 2022 – 33 O 355/22)

  • Das LG Köln hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass vor einer Online-Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses über den seit dem 1. Juli 2022 vorgeschriebenen „Kündigungsbutton“ keine Abfrage eines Kundenkennwortes erfolgen darf, um eine „einfache und unkomplizierte Kündigung“ nicht zu erschweren.
  • Der durch das „Gesetz für faire Verbraucherverträge“ (wir berichteten zuletzt im Update Commercial 08/2021) eingeführte § 312 k BGB verpflichtet Unternehmer, die Verbraucherinnen und Verbrauchern Online-Abschlüsse von Dauerschuldverhältnissen ermöglichen, sicherzustellen, dass diese Verträge über einen eindeutig beschrifteten „Kündigungsbutton“ kündbar sind. Dieser Button muss die Verbraucherinnen und Verbraucher unmittelbar zu einer Bestätigungsseite führen, auf der sie Angaben zur Art der Kündigung sowie ggf. zum Kündigungsgrund, zu ihrer eindeutigen Identifizierbarkeit, zur eindeutigen Bezeichnung des Vertrags, zum Kündigungszeitpunkt und zur Übermittlung der Kündigungsbestätigung machen können.
  • Nach Ansicht des LG Köln sind diese im Gesetz genannten abzufragenden Angaben zugleich als Minimal- und als Maximalvorgabe zu verstehen. Die Beschränkung der zu verlangenden Angaben solle Ausgestaltungen verhindern, bei denen der Unternehmer weitere, für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht ohne Weiteres verfügbare Daten abfragt und so eine einfache und unkomplizierte Kündigung erschwert. Zugleich solle die Abfrage dem Grundsatz der Datensparsamkeit nach der DSGVO Rechnung tragen. Durch die Abfrage des Kundenkennworts baue der Unternehmer eine Hürde auf, die in der genannten Vorschrift nicht vorgesehen sei und geeignet sei, Verbraucherinnen und Verbraucher von der Kündigung abzuhalten, weil ihnen das Kennwort möglicherweise nicht zugänglich sei. Wenn derartige Identifizierungsmöglichkeiten angeboten würden, müsse zugleich eine Möglichkeit bestehen, durch Angabe von Name und weiteren gängigen Identifizierungsmerkmalen (z. B. Wohnanschrift, E-Mail-Adresse und dergleichen) eine Kündigung zu erklären. 

Praxistipp: Der „Kündigungsbutton“ für online abschließbare Verbraucherverträge über Dauerschuldverhältnisse ist seit dem 1. Juli 2022 verpflichtend und muss auch für vor diesem Zeitpunkt geschlossene Verträge bereitgestellt werden. Das LG Köln hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass diese Kündigungsmöglichkeit nicht von einer Passwortabfrage abhängig gemacht werden darf, sondern jedenfalls auch die Möglichkeit einer anderweitigen Kundenidentifikation gegeben werden muss. Unternehmen, die dem „Kündigungsbutton“ bislang eine Passwortabfrage vorgeschaltet haben, sollten dies daher entsprechend abändern. Denn wird die Kündigungsmöglichkeit nicht nach den gesetzlichen Vorgaben umgesetzt, drohen nicht nur Abmahnungen von Wettbewerbern und Verbraucherschutzverbänden, sondern betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher können die entsprechenden Verträge auch jederzeit und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Insbesondere bei Verträgen mit längeren Laufzeiten droht daher das Risiko, dass Kundinnen und Kunden sich auf eine unzureichende Umsetzung der neuen Vorgaben berufen, um unliebsam gewordene Verträge vorzeitig zu beenden. 

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Gesetzgebung und Trends

Neue Cybersicherheitsvorgaben für digitale Produkte – der Vorschlag der Europäischen Kommission für den Cyber Resilience Act

Die Europäische Kommission hat am 19. September 2022 ihren Vorschlag für eine Verordnung über horizontale Cybersicherheitsanforderungen für digitale Produkte (sogenannter Cyber Resilience Act, kurz: CRA) veröffentlicht. Durch die Verordnung sollen unionsweit verbindliche Cybersicherheitsanforderungen für „Produkte mit digitalen Elementen“ eingeführt werden. Eine Übersicht über das Vorhaben geben wir in unserem Blog

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