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Update Dispute Resolution 05/2020

Mai 2020

Kurioserweise nicht durch die aktuellen Umstände bedingt, beschäftigten sich deutsche Gerichte in den letzten Wochen vermehrt mit der rechtskonformen Handhabung elektronischer Kommunikation in Zivilverfahren. Auch die Justizminister der Länder diskutierten Chancen und Risiken der Digitalisierung der Justiz im Rahmen einer Videokonferenz, die die auf Herbst verschobene Frühjahrskonferenz nicht ersetzen, sondern ergänzen soll. Näheres dazu und welche Themen die Investitionsschiedsszene aktuell bewegt, finden Sie unter „Neuigkeiten“ dieses Updates Dispute Resolution.

Inhalt


Rechtsprechung

Heilung eines Zustellungsmangels durch Übermittlung einer (elektronischen) Kopie

BGH, Beschluss vom 12.03.2020 – I ZB 64/19

Antragsteller und Antragsgegnerin sind Parteien einer in russischer Sprache abgefassten Vereinbarung über die Veräußerung zweier Kraftfahrzeuge, die eine Schiedsklausel sowie aufgrund von Rechtswahl das materielle Recht der Russischen Föderation vorsieht. Der Antragsteller erwirkte einen Schiedsspruch gegen die Antragstellerin, die bei der Schiedsverhandlung nicht anwesend, aber laut Schiedsspruch über die Verhandlung informiert war. Am 12. Dezember 2018 beantragte der Antragsteller beim zuständigen Oberlandesgericht die Vollstreckbarerklärung des russischen Schiedsspruchs gegen die Antragsgegnerin. Der erste Versuch, die Antragsschrift unter der angegebenen Anschrift „Z. „ in B. an die Antragsgegnerin zustellen zu lassen, war gescheitert, weil die Antragsgegnerin unter dieser Anschrift nicht zu ermitteln war. Nach einer Behördenauskunft wurde die Antragsschrift unter der Anschrift „c/o M., Z. „ durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt. Ebenso wurde dort auch der antragsgemäß ergangene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 13. Mai 2019 am 25. Mai 2019 zugestellt. Am 19. Juli 2019 wurde die Antragsgegnerin telefonisch über die Briefsendung des Oberlandesgerichts unterrichtet, der auf ihren Wunsch hin per E Mail an sie übermittelt wurde. Nach eigenen Angaben war sie seit 15. Dezember 2018 nicht mehr unter der angegebenen Adresse gemeldet. Die Antragsgegnerin legte am 1. August 2019 Rechtsbeschwerde ein, beantragte Fristverlängerung für die Begründung der Rechtsbeschwerde und vorsorglich Wiedereinsetzung in die etwa versäumte Frist zur Einlegung sowie Begründung der Rechtsbeschwerde. Den Antrag, die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu verlängern, lehnte der Bundesgerichtshof wegen Versäumung der Einlegungsfrist ab, gab aber dem Wiedereinsetzungsantrag statt, den die Antragsgegnerin rechtzeitig begründet sowie die Begründung der Rechtsbeschwerde nachgeholt hatte. Den angefochtenen Beschluss hebt der Bundesgerichtshof auf die erfolgreiche Rechtsbeschwerde hin auf und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das Oberlandesgericht. Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus:

Die Ersatzzustellung des Beschlusses am 25. Mai 2019 sei gemäß § 180 ZPO unwirksam gewesen. Die Ersatzzustellung nach §§ 178-181 ZPO setze voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden solle, tatsächlich vom Adressaten genutzt werde. Zum Zeitpunkt der Zustellung habe diese Voraussetzung nach der von der Antragsgegnerin glaubhaft gemachten Aufgabe der Wohnung nicht vorgelegen. Etwas anderes ergebe sich nicht aus der Urkunde über die Ersatzzustellung des angefochtenen Beschlusses. Diese erbringe keinen Beweis dafür, dass die Antragsgegnerin die Wohnung der Z. Ende Mai 2019 noch genutzt habe. Die Beweiskraft des § 418 Abs. 1 Satz 1 ZPO reiche nur so weit, wie gewährleistet sei, dass die zur Beurkundung berufene Amtsperson die Tatsachen selbst verwirkliche oder aufgrund eigener Wahrnehmungen zutreffend festgestellt habe. Sie erfasse keine außerhalb dieses Bereichs liegenden Umstände. Daher vermöge die Urkunde über eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO nicht den Urkundenbeweis dafür zu erbringen, dass die Adressatin unter der Zustellungsanschrift wohne. Sie stelle nur ein Indiz dafür dar, das hier aufgrund der von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen aber entkräftet sei. Der Zustellungsmangel sei allerdings mit der Übermittlung des Beschlusses per E Mail am 19. Juli 2019 an die Antragstellerin gemäß § 189 Fall 2 ZPO geheilt worden. Nach § 189 ZPO gelte ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lasse oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen sei, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen sei. Eine Heilung durch den tatsächlichen Zugang des Schriftstücks im Sinne des § 189 ZPO setze voraus, dass das Schriftstück so in den Machtbereich der Adressatin gelange, dass sie es behalten könne und Gelegenheit zur Kenntnisnahme von dessen Inhalt habe. Bei der Anwendung von § 189 ZPO sei umstritten, ob es für die Heilung ausreiche, dass ein dem zuzustellenden Dokument inhaltgleiches Schriftstück zugehe, was der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung bejaht. Die erfolgreiche Übermittlung einer (elektronischen) Kopie in Form – beispielsweise – eines Telefaxes, einer Fotokopie oder eines Scans sei ausreichend. Dieses Verständnis entspreche dem Sinn und Zweck der Heilungsvorschrift des § 189 ZPO. Die mit § 189 ZPO eröffnete Heilungsmöglichkeit habe den Sinn, die förmlichen Zustellungsvorschriften nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen; deshalb sei die Zustellung auch dann als bewirkt anzusehen, wenn der Zustellungszweck anderweitig erreicht werde. Die Vorschrift des § 189 ZPO sei deshalb grundsätzlich weit auszulegen. Der Zweck der Zustellung liege darin, dem Adressaten oder der Adressatin angemessene Gelegenheit zu verschaffen, von einem Schriftstück Kenntnis zu nehmen, und den Zeitpunkt der Bekanntgabe zu dokumentieren. Die bloße mündliche Überlieferung oder eine handschriftliche oder maschinenschriftliche Abschrift des Dokuments führen dagegen wegen der Fehleranfälligkeit einer solchen Übermittlung nicht zur Heilung des Zustellungsmangels. Eine dahingehende Auslegung von § 189 ZPO wäre weder mit dessen Wortlaut noch mit dem Zustellungszweck zu vereinbaren. Der Zustellungsmangel sei danach durch die erfolgreiche Übermittlung des angefochtenen Beschlusses per E Mail am 19. Juli 2019 geheilt und die Rechtsbeschwerde vom 1. August 2019 damit innerhalb der Monatsfrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt worden.

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Rücknahme der Hilfsaufrechnung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

BGH, Beschluss vom 25.03.2020 – XII ZR 29/19

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Aufrechnende nicht gehindert, eine einmal erklärte Hilfsaufrechnung frei zurückzunehmen. Die Hilfsaufrechnung werde nur für den Fall erklärt, dass das Gericht die Klageforderung in seiner abschließenden Entscheidung für begründet erachte. Eine Prozesserklärung sei – mangels abweichender Regelung wie etwa in § 269 Abs. 1 ZPO – nach der Dispositionsmaxime frei rücknehmbar, wenn sie noch keine unmittelbar prozessgestaltende Wirkung hatte, die angestrebte gerichtliche Entscheidung noch nicht ergangen sei und durch sie auch keine geschützte Position der Gegenseite entstanden sei. Das gelte auch für die Hilfsaufrechnung, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Hauptforderung noch nicht rechtskräftig zuerkannt wurde. Sie habe keine unmittelbar prozessgestaltende Wirkung und könne bis zur Rechtskraft der abschließenden Entscheidung zurückgenommen werden. Dies sei eine Folge des Umstands, dass die im Prozess erklärte Aufrechnung ein Verteidigungsmittel sei, welches auch in seiner sachlich-rechtlichen Wirkung davon abhängig sei, dass die prozessuale Geltendmachung der Aufrechnung wirksam werde. Eine Rücknahme der Hilfsaufrechnung sei unter diesen Voraussetzungen auch im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zulässig, weil gemäß § 544 Abs. 7 Satz 1 ZPO die Rechtskraft des Berufungsurteils gehemmt werde. Eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 555 ZPO sei nicht geboten.

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Sachdienlichkeit der Abstandnahme vom Urkundenprozess im Berufungsverfahren

BGH, Urteil vom 02.04.2020 – IX ZR 135/19

  1. Die Sachdienlichkeit der Abstandnahme vom Urkundenprozess im Berufungsverfahren kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass im in erster Instanz anhängigen Nachverfahren bereits ein Sachverständigengutachten über die Echtheit der Unterschriften unter der Urkunde eingeholt worden ist.
  2. Die Sachdienlichkeit der Abstandnahme vom Urkundenprozess im Berufungsverfahren kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass die Beklagten für das Nachverfahren angekündigt haben, hilfsweise mit Schadensersatzansprüchen aufzurechnen, durch welche ein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt wird. (aus den amtlichen Leitsätzen)

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Streitwert des Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrages

BGH, Beschluss vom 12.03.2020 – V ZR 160/19

Zum Meinungsstreit, wie der Streitwert zu bemessen sei, wenn die Nichtigkeit eines Vertrages festgestellt werden solle, hat der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung Position bezogen. Die obersten Richter sind der Ansicht, dass nicht die Differenz zwischen Leistung und Gegenleistung maßgeblich sei, sondern vielmehr die Gegenleistung außer Betracht bleibe und es nur auf den Wert der Leistungspflicht ankomme, von der der Kläger bei Nichtigkeit freigestellt werde, oder auf die Leistung, die dem Kläger zurückgewährt werden solle. Letzteres sei bei Streitigkeiten über die Durchführung von gegenseitigen Verträgen anerkannt, weil es den Parteien jeweils um die beantragte Leistung in ihrem vollen wirtschaftlichen Wert gehe. Den entgegengesetzten Zweck verfolge eine Partei, die einen abgeschlossenen Vertrag für nichtig halte. Der klagende Veräußerer wolle die Sache behalten, während der klagende Käufer die Gegenleistung nicht entrichten wolle. Im einen wie im anderen Fall ginge es regelmäßig nicht nur um die „Verschlechterungsdifferenz“, also um etwaige wirtschaftliche Nachteile des Geschäfts, sondern um die Abwehr der Leistungspflicht als solche. Es komme hinzu, dass bei einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung andernfalls ein unangemessen niedriger Streitwert festgesetzt werden müsse. Damit folgt der Bundesgerichthof nicht den Ausführungen des Berufungsgerichts, sondern sieht insgesamt den Verkehrswert des Grundstücks als maßgeblich an. Nach der Ansicht des Berufungsgerichts entspreche das Interesse des Klägers an der Befreiung von seiner Leistungspflicht der „Verschlechterungsdifferenz“, also der Differenz zwischen Leistung und Gegenleistung. Das Berufungsgericht war von EUR 290.000 ausgegangen, indem es den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags mit dem Verkehrswert des Grundstücks unter Abzug des Kaufpreises bemessen (EUR 300.000 / EUR 40.000 = EUR 260.000) und für den Antrag auf Löschung der Auflassungsvormerkung 10% des Grundstückswert (EUR 30.000) hinzuaddiert hatte. Der Bundesgerichtshof hat im zugrundeliegenden Fall den Streitwert auf EUR 300.000 festgesetzt.

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Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 ZPO auf negative Feststellungsklage

OLG Celle, Urteil vom 26.02.2020 – 3 U 157/19

Im Meinungsstreit über die Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 ZPO auf negative Feststellungsklagen schließt sich das Oberlandesgericht Celle der herrschenden Auffassung an, wonach § 29 ZPO sowohl für Leistungsklagen als auch für positive und negative Feststellungsklagen gleichermaßen gelte. Die herrschende Auffassung überzeuge sowohl aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 29 Abs. 1 ZPO als auch aufgrund des Sinn und Zwecks dieser Regelung. Wie alle prozessualen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit stelle § 29 ZPO nicht nur eine Zweckmäßigkeitsvorschrift dar, sondern solle auch zu einer gerechten Verteilung der prozessualen Lasten führen und dient der Gewährleistung der Waffengleichheit der Parteien. Die Anknüpfung an den Ort der Leistungserbringung führe für beide Parteien zu einem orts- und sachnahen Gerichtsstand. Wäre ein Kläger auch bei Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis stets darauf verwiesen, vor den Gerichten am (Wohn-)Sitz eines Beklagten zu klagen, würde dieser unverdiente Vorteile in solchen Fällen erfahren, in denen der Vertrag nur geringe räumliche Beziehungen zu dessen allgemeinen Gerichtsstand aufweise. Gegenüber einem beklagten Schuldner sei diese Regelung auch deshalb zweckmäßig, weil er sich dort gegen Klagen aus dem Vertrag zu verteidigen habe, wo er zur Erbringung der Leistung verpflichtet sei. Dadurch werde über die Gewährleistung prozessualer Chancengleichheit zwischen Kläger und Beklagten hinaus sichergestellt, dass eine Entscheidung vom örtlich und sachlich näheren Gericht gefällt und Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren örtlich konzentriert werden. Dieser Gesetzeszweck gelte gleichermaßen für eine negative Feststellungsklage wie für eine Leistungsklage, weil unabhängig von der Parteirolle an sachliche Gesichtspunkte angeknüpft werde. Wie bei einer Leistungsklage sei es auch bei einer negativen Feststellungsklage sachgerecht, einen orts- und sachnahen Gerichtsstand begründen zu können. Demgegenüber sei die in der landgerichtlichen Rechtsprechung vertretene Gegenauffassung, dass der Erfüllungsort keinen Gerichtsstand für eine negative Feststellungsklage begründe, mit der Vorschrift des § 29 Satz 1 ZPO nicht zu vereinbaren und vermöge eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift gegen deren eindeutigen Gesetzeswortlaut und -zweck nicht zu rechtfertigen.

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Anhörung im Ordnungsmittelverfahren per E Mail?

OLG München, Beschluss vom 13.03.2020 – 29 W 275/20

Eine am 14. Oktober 2019 erlassene einstweilige Verfügung hat die Gläubigerin mehrerer in China ansässigen Schuldner am 15. Oktober 2019 auf einer Messe zugestellt. In ihrem Ordnungsmittelantrag vom 11. Dezember 2019 hat die Gläubigerin angeregt, das gemäß § 891 Satz 2 ZPO vorgeschriebene rechtliche Gehör durch Versendung eines Faxes oder einer E Mail an eine der nachgewiesenen Adressen zu gewähren und hilfsweise die öffentliche Zustellung nach § 185 Nr. 3 ZPO beantragt. Mit Beschluss vom 31. Januar 2020 hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen und die Zustellung des Ordnungsmittelantrags im Wege der Rechtshilfe verfügt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Gläubigerin mit ihrer Beschwerde, auf die das Oberlandesgericht München hinsichtlich des Hilfsantrags die erstinstanzliche Entscheidung aufhebt und die Sache an das Landgericht zurückverweist. 

Das Oberlandesgericht München führt aus, dass gemäß § 185 Nr. 3 Alt. 2 ZPO die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen könne, wenn die Zustellung im Ausland keinen Erfolg verspreche. Keinen Erfolg verspreche die Zustellung schon dann, wenn die Durchführung einen derart langen Zeitraum in Anspruch nehmen würde, dass ein Zuwarten der betreibenden Partei billigerweise nicht zugemutet werden könne. Für die Entscheidung der Frage, ob die Dauer einer Zustellung im Wege der Rechtshilfe nicht mehr zumutbar sei, bedürfe es daher einer Abwägung der beiderseitigen Interessen, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankomme. Nach den beim Landgericht München I vorliegenden Erfahrungen nehme eine Zustellung im Wege der Rechtshilfe in China mindestens eineinhalb Jahre, ggf. auch deutlich länger in Anspruch und werden die Gesuche in der Regel unerledigt zurückgeleitet. Bei der Sachlage im Streitfall überwiegen daher die Interessen der Gläubigerin auf effektiven Rechtsschutz die Interessen der Schuldner im Hinblick auf die Gefährdung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör im Ordnungsmittelverfahren bezüglich der Anhörung nach § 891 Satz 2 ZPO jedenfalls dann wenn die Gläubigerin, wie von dieser angeboten, die Schuldner über die der Gläubigerin bekannten und auch von den Schuldnern genutzten elektronischen Kommunikationswege über den Ordnungsmittelantrag sowie ihren Antrag auf öffentliche Zustellung und die Möglichkeit, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, informiert und zwar auch in englischsprachiger Übersetzung. Im Hinblick auf die kurze Verjährungsfrist für die Festsetzung von Ordnungsmitteln von nur zwei Jahren gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 2 EGStGB, würde der Justizgewährungsanspruch der Gläubigerin leerlaufen, wenn man trotz der bekannten Probleme bei der Zustellung in China im Wege der Rechtshilfe eine solche im Rahmen der Anhörung nach § 891 Satz 2 ZPO für erforderlich ansehen würde. Der Gefährdung des Anspruchs der Schuldner auf rechtliches Gehör könne dadurch Rechnung getragen werden, dass eine öffentliche Zustellung erst bewilligt werde, wenn die Gläubigerin die Schuldner über ihre Anträge entsprechend informiert hat und dies dem Gericht nachgewiesen hat.

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Neue Rechtsprechung zum beA

Zur Wiedereinsetzung bei technischen Störungen der Versendung mittels des beA

OLG Koblenz, Beschluss vom 13.11.2019 – 7 WF 957/19

  1. Bei technischen Störungen der Übermittlung eines elektronischen Dokuments gelten die für die Übermittlung per Telefax entwickelten Grundsätze. (Rn. 6)
  2. Bleibt bei der Übermittlung eines elektronischen Dokuments die automatisierte Bestätigung des Gerichts über den Zeitpunkt des Eingangs aus, hat ein Anwalt sich um eine Klärung der Ursache zu kümmern und eine erneute Übermittlung, ggf. auf anderem Wege, zu versuchen. (Rn. 5) (Amtliche Leitsätze)

Zur Ausgangskontrolle des elektronischen Postfachs beA

BGH, Beschluss vom 17.03.2020 – VI ZB 99/19

  1. Die Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze muss sich entweder – für alle Fälle – aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder – in einem Einzelfall – aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben. Eine konkrete Einzelanweisung des Rechtsanwalts an sein Büropersonal, einen fristwahrenden Schriftsatz per Telefax zu übersenden, macht die weitere Ausgangskontrolle, auch die zusätzliche allabendliche Kontrolle fristgebundener Sachen, nicht entbehrlich.
  2. Für die Ausgangskontrolle des elektronischen Postfachs beA bei fristgebundenen Schriftsätzen genügt jedenfalls nicht die Feststellung, dass die Versendung irgendeines Schriftsatzes mit dem passenden Aktenzeichen an das Gericht erfolgt ist, sondern anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens ist auch zu prüfen, welcher Art der Schriftsatz war. (Amtliche Leitsätze)

Keine Verpflichtung des Patentanwalts zur Suche eines Rechtsanwalts mit beA bei erkennbaren Problemen beim fristgerechten Fax-Versand

BGH, Beschluss vom 28.04.2020 – X ZR 60/19

Ein Patentanwalt, der kurz vor Ablauf der dafür maßgeblichen Frist feststellt, dass die Telefax-Übermittlung einer Berufungsbegründung in einem Patentnichtigkeitsverfahren wegen nicht von ihm zu vertretender technischer Probleme voraussichtlich scheitern wird, ist nicht verpflichtet, nach einem Rechtsanwalt zu suchen, der den Versand für ihn über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) vornehmen kann. (Amtlicher Leitsatz)

Aus den Gründen:

[Es] erscheint zweifelhaft, ob ein Rechtsanwalt, der sich für den Versand per Telefax entschieden hat, bei technischen Problemen kurz vor Fristablauf einen Übermittlungsversuch über das besondere elektronische Anwaltspostfach unternehmen muss (so aber OLG Dresden, Beschluss vom 29.07.2019 – 4 U 879/19). Dieses Medium steht zwar gemäß § 31a Abs. 1 BRAO jedem Rechtsanwalt zur Verfügung. Die relativ hohe Zahl an Störungsmeldungen, die für dieses System veröffentlicht werden, begründet aber Zweifel daran, ob es in seiner derzeitigen Form eine höhere Gewähr für eine erfolgreiche Übermittlung kurz vor Fristablauf bietet als ein Telefax-Dienst. So sind auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (https://bea.brak.de/category/aktuelle-meldungen) für März 2020 insgesamt zwölf Störungsmeldungen veröffentlicht, von denen sich vier auf Wartungsarbeiten und acht auf Anmeldeprobleme unbekannten Ursprungs beziehen.

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UK Court clarifies principles to determine the proper law of an arbitration agreement

Court of Appeal in London, Enka v Chubb [2020] EWCA Civ 574

This case was an appeal by Enka, a Turkish construction and engineering company, to overturn a decision not to grant an anti-suit injunction against Chubb, a Russian insurance company who it alleged was in breach of an arbitration agreement providing for disputes to be resolved under the Rules of Arbitration of the ICC seated in London. It concerns the significance to be attached to the choice of London as the seat of the arbitration in exercising such jurisdiction as well as in determining the proper law of the arbitration agreement.

The Court of Appeal clarified the principles to determine the proper law of an arbitration agreement. It applies the three-stage test required by the English common law conflict of rules, namely (i) is there an express choice of law? (ii) if not, is there an implied choice of law? (iii) if not, with what system of law does the arbitration agreement have its closest and most real connection? It added that where there is an express choice of law in the main contract it may amount to an express choice of the law of the arbitration agreement. In all other cases, there is a strong presumption that the parties have impliedly chosen the curial law as the law of the arbitration agreement. The Court of Appeal states further that the curial law is a matter of choice which comes with the express choice of seat. By applying these principles, the Court of Appeal concludes that the parties have impliedly chosen that the proper law of the arbitration agreement should coincide with the curial law and be English law. It also affirmed its power to grant anti-suit injunctions when agreed on as court of the seat of the arbitration: by the choice of English seat the parties agreed that the English Court is an appropriate court to exercise the power to grant an anti-suit injunction.

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Neuigkeiten

Virtual Hearings in Arbitration

Arbitration practitioners launched the new platform Virtual Arbitration. The forum provides news and recent developments in the conduct of virtual arbitration collecting and sharing technical, legal and practical experiences from around the world.

The HKIAC reports that the demand of its virtual hearing services has increased significantly with the onset of COVID-19. Currently, about 85% of all hearings have or will require virtual hearing services. Therefore, the HKIAC produced guidelines for conducting virtual hearings that aim to ensure participants experience a seamless and effective virtual hearing. Additionally, a webinar on virtual hearings is also offered

The independent arbitral institution DELOS Dispute Resolution provides a table compiling relevant resources on remote and virtual arbitration and mediation hearings, organized under the headings: Guidance & Checklists, Protocols, Model Procedural Orders, Webinar Recordings and Other Resources.

Investment Arbitration News

ICSID and UNCITRAL has released a draft code of conduct for adjudicators in investment disputes that was jointly developed in the context of the work of UNCITRAL Working Group III (ISDS Reform). The draft provides applicable principles and detailed provisions addressing matters such as independence and impartiality, and the duty to conduct proceedings with integrity, fairness, efficiency and civility. It is based on a comparative review of standards found in codes of conduct in investment treaties, arbitration rules applicable to ISDS, and of international courts. Comments on the draft may be sent to the UNCITRAL Secretariat (uncitral@un.org) and ICSID Secretariat (icsidsecretariat@worldbank.org) on or before 15 October 2020.

More than two years after the Achmea ruling, 23 EU Member States, including Germany, signed an agreement for an termination of intra-EU bilateral investment treaties. The termination agreement implements the European Court of Justice judgment (C-284/16, Achmea) where the Court found that investor-State arbitration clause in intra-EU bilateral investment treaties („intra-EU BITs“) are incompatible with the EU Treaties. Consequently, the termination agreement provides for the termination of some 130 intra-EU BITs and declares that these cannot serve as a legal basis for new arbitration proceedings. In this context, the European Commission invites EU citizens and other stakeholders to express their views on the strengths or weaknesses of cross-border investing in the EU. The aim is to assess the current framework of investment protection, including both substantive rules and dispute settlement mechanisms. The consultation will remain open until 8 September 2020. Also, the European Commission launched infringement proceedings against UK and Finland for failing to effectively remove intra-EU BITs from their legal orders by sending letters of formal notice to both countries

The Columbia Center on Sustainable Investment (CCSI), a joint center of Columbia Law School and the Earth Institute of Columbia University, published an open letter pleading for an immediate moratorium on arbitration claims by private corporations against governments using international investment treaties during the coronavirus pandemic as well as a permanent restriction on all arbitration claims related to government measures targeting health, economic, and social dimensions of the pandemic and its effects.

JuMiKo Frühjahrskonferenz

Die für Juni geplante Frühjahrskonferenz der Justizminister wurde aufgrund der aktuellen Lage abgesagt. Am 15. Mai 2020 tauschten sich die Justizminister in einer Videokonferenz aus, die nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zur eigentlichen Justizministerkonferenz (JuMiKo) zu sehen war. Bei dem rund dreistündigen, „virtuellen“ Treffen diskutierten die Justizminister über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Justiz in Bund und Ländern sowie über die Chancen und Risiken der Digitalisierung in dieser Situation. Laut der Bremer Senatorin für Justiz und Verfassung Dr. Claudia Schilling waren sich die Justizminister einig darin, dass dem Thema der Digitalisierung bei der Bewältigung der Pandemie eine große Bedeutung zukomme. Wichtig sei zudem, dass auch „Online-Gerichtsverhandlungen“ für die Öffentlichkeit im Grundsatz zugänglich und damit kontrollierbar sein müssen.

Upcoming Conferences and Webinars

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In A Nutshell

  1. The CMS Expert Guide to Recognition and Enforcement of Judgements was recently published providing an overview of the conditions for the enforcement both of court judgements and arbitral awards as well as identifying relevant legislation and regulations and outlining key procedures and timeframes involved.
  2. The HCCH Permanent Bureau has published a Guide to Good Practice on the use of Video-Link under the 1970's Evidence Convention in English and French.
  3. The European e-Justice Portal provides an overview of the measures taken within the European Union in relation to the COVID-19 pandemic which affect the judiciary, national authorities and legal practitioners.
  4. In this annual casework report 2019 the London Court of International Arbitration (LCIA) records its highest number of cases – expecting even more cases as a result of the coronavirus pandemic; please find here our UK colleagues comments on LCIA's annual casework.
  5. The ICCA-IBA Joint Task Force on Data Protection in International Arbitration has released this consultation draft of its Roadmap to Data Protection in International Arbitration for public comment to be submitted by 30 June 2020.
  6. The Saudi Center for Commercial Arbitration (SCCA) launched an Emergency Mediation Program providing remote Mediation with enforceable outcomes which is line with the intent of the Singapore Convention that Saudi Arabia became the fourth country to ratify on 5 May 2020.
  7. On 8 April 2020, the UK submitted its application to accede to the 2007 Lugano Convention following the conclusion of the transition period on 31 December 2020.
  8. Der Bundesrat hat die Universitätsprofessorin Astrid Wallrabenenstein zur Richterin des Bundesverfassungsgericht sowie den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgericht Prof. Dr. Stephan Harbarth zum Präsidenten desselbigen gewählt.
  9. On 12 May 2020, Prof. Lucy Reed took over as ICCA President following her predecessor Prof. Gabrielle Kaufmann-Kohler.
  10. Legal scholar Derek Roebuck died in his 85th year on 27 April in Oxford.

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Aktuelle Informationen zu COVID-19 finden Sie in unserem Corona Center auf unserer Website. Außerdem können Sie mit unserem Tool Quick Check Wirtschaftsstabilisierungsfonds in kürzester Zeit herausfinden, ob Ihr Unternehmen für eine Stabilisierungsmaßnahme des WSF in Betracht kommen könnte. Wenn Sie Fragen zum Umgang mit der aktuellen Lage und zu den Auswirkungen für Ihr Unternehmen haben, sprechen Sie unser CMS Response Team jederzeit gerne an.


Autoren

Foto vonThomas Lennarz
Dr. Thomas Lennarz
Partner
Stuttgart
Foto vonNicolas Wiegand
Dr. Nicolas Wiegand
Partner
München
Constanze Wedding, LL.M. (University of Sydney)