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Welche Macron-Verordnungen sind schon heute anwendbar?

29/09/2017

Die ersten vier und wichtigsten Macron-Verordnungen über das Arbeitsrecht wurden letzten Samstag (23. September) veröffentlicht. Inhaltlich entsprechen sie den Ankündigungen der Regierung. Ihr Inkrafttreten ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, am Tage der Veröffentlichung der entsprechenden Durchführungsverordnungen, und spätestens am 1. Januar 2018 vorgesehen.

Auch wenn es den Anschein hat, dass die neue Regierung Gesetzesvorhaben schneller auf den Weg bringt als die Vorgängerregierung, kann man vernünftigerweise jedoch davon ausgehen, dass die Durchführungsbestimmungen nicht vor dem 31. Dezember 2017 fertiggestellt sein und die Regierungsverordnungen daher frühestens an diesem Datum in Kraft treten werden. Einige Maßnahmen sind jedoch bereits in Kraft getreten. 

Arbeitgebern und Praktikern drängt sich die Frage auf, welche Bestimmungen man gleich anwenden muss, und ob es nicht besser ist, die Umsetzung von Projekten besser zu verschieben, um so von den noch nicht in Kraft getretenen neuen Bestimmungen zu profitieren. Dieser Frage kann selbstverständlich nur vor dem Hintergrund der noch bestehenden Ungewissheiten bezüglich des Inhalts der künftigen Durchführungsverordnungen nachgegangen werden. Im Folgenden werden wir unter diesem Blickwinkel die wichtigsten in den Regierungsverordnungen enthaltenen Maßnahmen prüfen.

Die vorliegende Mitteilung ist nicht erschöpfend.

1) Die Regierungsverordnung über Vorhersehbarkeit und Sicherung des Arbeitsrechts

a) Festlegung einer Obergrenze für Schadensersatzansprüche wegen Kündigungen ohne ernsthaften Grund

Auf der Grundlage der derzeit geltenden Bestimmungen legen die Gerichte die Höhe des Schadensersatzes wegen Kündigung ohne ernsthaften Grund je nach Umfang des erlittenen Schadens fest. Arbeitnehmern mit einer Betriebszugehörigkeit von über 2 Jahren in einem Unternehmen mit mehr als 11 Beschäftigten wird hierbei ein Mindestbetrag von 6 Monatsgehältern zugesprochen. In der Praxis gewährt die Rechtsprechung Beschäftigten mit einer Betriebszugehörigkeit zwischen 2 und 5 Jahren daher im Durchschnitt 6 bis 8 Monatsgehälter. Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit zwischen 25 und 30 Jahren können durchschnittlich mit 15 bis 18 Monatsgehältern rechnen. Bei dieser Feststellung handelt es sich um gerichtlich zugesprochene Durchschnittsbeträge und nicht um festgelegte Bemessungssätze. In einigen wenigen Entscheidungen werden daher auch höhere Beträge zugesprochen.

Die Regierungsverordnungen legen Mindestbemessungssätze zwischen 0,5 und 3 Monatsgehältern fest, sowie einen Höchstbemessungssatz von ungefähr 1 Monatsgehalt pro Jahr Betriebszugehörigkeit bei einer Betriebszugehörigkeit von bis zu 10 Jahren. Dieser Satz erhöht sich bei Arbeitnehmern mit einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 30 Jahren auf bis zu 20 Monatsgehälter. Diese Bemessungssätze gelten nicht bei nichtigen oder gegen Grundfreiheiten verstoßenden Kündigungen. Die oben genannten Bestimmungen gelten für Kündigungen, die nach Veröffentlichung der Regierungsverordnung zugestellt werden, d. h. dass alle Kündigungen, die nach dem 22. September ausgesprochen werden, schon unter diese neuen Vorschriften fallen. 

Da die in der Regierungsverordnung geregelten Höchstbeträge für Arbeitnehmer mit weniger als 6 Jahren Betriebszugehörigkeit unter dem ehemaligen Mindestbetrag von 6 Monatsgehältern liegen, ist der neue Bemessungssatz in Bezug auf Beschäftigte mit einer Betriebszugehörigkeit von weniger als 6 Jahren für Arbeitgeber günstiger. Was die übrigen Beschäftigten betrifft, entsprechen die Beträge den von den Gerichten normalerweise zugesprochenen Bemessungssätzen  oder gehen darüber hinaus. Hier muss man abwarten, um zu sehen, ob die Gerichte die entsprechende Bemessung verändern.

b) Die durch Verordnung vorgegebenen Musterkündigungsschreiben

Die Regierungsverordnung ändert die Form des Kündigungsschreibens und zielt darauf ab, die Gefahr eines nicht vorliegenden ernsthaften Grundes aufgrund der mangelhaften Abfassung des Kündigungsschreibens zu begrenzen. Die Regierungsverordnung legt ein Verfahren fest, nach dem Arbeitnehmer nach Erhalt des Kündigungsschreibens weitere Informationen bei ihrem Arbeitgeber anfordern können.

Dieses neue Verfahren findet auf Kündigungen Anwendung, die am Tage der Veröffentlichung der entsprechenden Durchführungsverordnungen, und spätestens am 1. Januar 2018 zugestellt werden. Es beschränkt Risiken, von denen strukturierte oder von Beratern unterstützte Unternehmen jedoch kaum betroffen wären und richtet ein mehrstufiges Verfahren ein, das wohl kaum mehr Sicherheit bringt als die derzeit geltenden Vorschriften. 

c) Die Verkürzung der Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts

Die Frist zur Anfechtung einer Kündigung wird von derzeit 2 Jahren ab dem Tag, an dem der Arbeitnehmer von der Verletzung seiner Rechte Kenntnis erlangt, auf 1 Jahr verkürzt, sofern im Kündigungsschreiben auf diese Frist hingewiesen wird.

Da die große Mehrzahl der Kündigungsklagen innerhalb von 6 Monaten nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht wird, hat die in der Regierungsverordnung geregelte Fristverkürzung in der Praxis keine wesentlichen Auswirkungen

d) Tarifvertraglich verankerte Pläne für freiwillige Beendigung von Arbeitsverhältnissen

Nach der Regierungsverordnung kann die freiwillige Beendigung von Arbeitsverhältnissen tarifvertraglich geregelt werden. Da diese Art von Vertragsbeendigungen den Beschäftigten nicht aufgezwungen werden kann, ist dieses Verfahren auf Fälle beschränkt, in denen das Unternehmen sich gegebenenfalls damit arrangiert, dass weniger Beschäftigte das Unternehmen verlassen werden als erhofft.

Das Verfahren verfügt durch die Einschaltung der Behörden über einen Sicherungsmechanismus, da diese es für gültig erklären muss. Die Beendigung des Arbeitsvertrags gilt dann als einvernehmlich. Sieht man einmal von eventuellen Einigungsmängeln oder Verstößen gegen tarifvertragliche Bestimmungen ab, sollten arbeitsgerichtliche Klagen nicht oft vorkommen.

Diese Bestimmungen gelten ab der Veröffentlichung der Regierungsverordnung (dies ist wahrscheinlich so zu verstehen, dass sie „auf Tarifverträge Anwendung findet, die nach Veröffentlichung der Regierungsverordnung ausgehandelt und abgeschlossen werden“). Diese Regelungen scheinen mehr Schutz zu bieten als die derzeit geltenden Bestimmungen. Daher sollte die Veröffentlichung der Regierungsverordnung abgewartet werden, bevor ein derartiges Verfahren der freiwilligen Beendigung von Arbeitsverhältnissen eingeleitet wird

e) Mobilitätsurlaub

Dieser tarifvertraglich organisierte Urlaub war bisher Unternehmen und Konzernen mit mehr als 1000 Beschäftigten vorbehalten und wird durch die Regierungsverordnung nunmehr auf alle Unternehmen und Konzerne ausgeweitet, die mehr als 150 oder 300 Arbeitnehmer beschäftigen. Die betroffenen Beschäftigten können inner- oder außerhalb des Unternehmens „Mobilitätsurlaub“ in Anspruch nehmen, nach dessen Ablauf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet wird.

Diese Maßnahme tritt nach der Veröffentlichung der entsprechenden Durchführungsverordnungen, und spätestens am 1. Januar 2018 in Kraft. Sie eröffnet Unternehmen und Konzernen, die die neuen Voraussetzungen hinsichtlich der Beschäftigtenzahl erfüllen, neue Möglichkeiten.

f) Beschränkung des Bewertungsmaßstabs für den wirtschaftlichen Grund und der Verpflichtung zur beruflichen Wiedereingliederung auf Frankreich

Bisher wurde das Bestehen wirtschaftlicher Schwierigkeiten, die für den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung erforderlich sind, auf das betreffende französische Unternehmen und den Wirtschaftszweig, dem es angehört bezogen (weltweite Berücksichtigung). Desgleichen muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, der dies verlangt, Arbeitsstellen in allen Unternehmen des Konzerns, d. h. auch im Ausland, zu dessen beruflichen Wiedereingliederung anbieten.

Die Regierungsverordnung sieht vor, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zukünftig nur noch in Bezug auf das französische Unternehmen, bzw. falls dieses einem Konzern angehört, in Bezug auf die zum Konzern gehörenden französischen Unternehmen desselben Wirtschaftszweigs zu bewerten sind. Auch die Verpflichtung zur beruflichen Wiedereingliederung ist auf Frankreich beschränkt.

Die beiden Maßnahmen gelten für alle Verfahren hinsichtlich betriebsbedingter Kündigungen, die nach Veröffentlichung der Regierungsverordnung (d. h. 23. September) eingeleitet werden bzw. wurden. 

Es stellt sich jedoch weiterhin die Frage, was für den Sonderfall der ausländischen Unternehmen gilt, die in Frankreich bloß eine Niederlassung und keine Tochtergesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit unterhalten. Es ist zu befürchten, dass die Gerichte trotz der Geltung der neuen Bestimmungen in diesen Fällen dahingehend entscheiden werden, dass für die Bewertung der wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers sowohl die französischen als auch die ausländischen Daten heranzuziehen sind.

2) Tarifverhandlungen

a) Vorrang von Betriebsvereinbarungen gegenüber Branchentarifverträgen

Der Verordnungsentwurf klärt die Zuständigkeitsbereiche von Branchentarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Die Regierungsverordnung unterscheidet dabei zwischen drei Fällen:

  • 1. Bereich: Der Branchentarifvertrag gilt vorrangig und die Betriebsvereinbarung kann von den darin enthaltenen Regelungen nur abweichen, wenn sie günstigere Bestimmungen enthält. Davon sind elf eingegrenzte Themenbereiche betroffen, insbesondere Mindestlöhne, Einstufungen, Bedingungen und Dauer der Probezeit und Zusicherungen im Bereich Vorsorge;
  • 2. Bereich: Der Branchentarifvertrag kann eine Regelung enthalten, nach der er der Betriebsvereinbarung vorgeht. Bei Fehlen einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung gilt die Betriebsvereinbarung. Hiervon sind vier Bereiche betroffen, unter anderem Zuschläge für gefährliche oder gesundheitsschädliche Arbeiten sowie die berufliche Eingliederung behinderter Arbeitnehmer.
  • 3. Bereich: Die Betriebsvereinbarung wurde vor oder nach Abschluss eines Branchentarifvertrags abgeschlossen, geht diesem vor und kann von ihm abweichen. Hierbei handelt es sich in Wirklichkeit um alle anderen rechtlichen Bereiche.

Diese Bestimmung tritt am 1. Mai 2018 in Kraft. Angesichts der neuen Regelungshierarchie scheint es günstiger zu sein, das Inkrafttreten dieser Bestimmungen abzuwarten, bevor eine abweichende Betriebsvereinbarung geschlossen wird (es sei denn, es handelt sich um eine Arbeitszeitvereinbarung, für die das El-Khomri-Gesetz Betriebsvereinbarungen bereits eine vorrangige Stellung einräumt).

b) Möglichkeit des Abschlusses von Betriebsvereinbarungen bei Unternehmen ohne Gewerkschaftsvertreter

Die Regierungsverordnung unterscheidet dabei zwischen zwei Fällen:

-  Bei Unternehmen mit weniger als 11 Beschäftigten gilt: Der Arbeitgeber kann den Beschäftigten unmittelbar einen Entwurf für eine Betriebsvereinbarung über alle tarifvertragliche Themen vorschlagen, den die Beschäftigten mit 2/3-Mehrheit ratifizieren können. Diese einfach gestalteten Vorschriften können auch auf in Frankreich befindliche Betriebsstätten ausländischer Unternehmen Anwendung finden, sofern sie in Frankreich weniger als 11 Arbeitnehmer beschäftigen. Diese Modalitäten sind vorbehaltlich der noch ausstehenden Durchführungsverordnungen einfacher als die im El-Khomri-Gesetz enthaltenen Bestimmungen. Es kann für sehr kleine Unternehmen daher interessant sein, bis Januar 2018 zu warten, um dann eine Vereinbarung nach den vorgeschlagenen vereinfachten Formalitäten abzuschließen.

-  Für Unternehmen mit einer Beschäftigungszahl zwischen 11 und 50, die keine Gewerkschaftsvertretung haben, sieht die Regierungsverordnung drei mögliche Abschlussmodalitäten vor:

  • Durch ein von einer Gewerkschaft beauftragter Beschäftigter, der Mitglied des Wirtschafts- und Sozialausschusses (neue Bezeichnung für den Betriebsrat) ist (1. Fall),
  • durch ein von einer Gewerkschaft beauftragter Beschäftigter, der nicht Mitglied des Wirtschafts- und Sozialausschusses ist (2. Fall),
  • durch ein nicht von einer Gewerkschaft beauftragtes Mitglied des Wirtschafts- und Sozialausschusses (3. Fall).

Für die von den Mitgliedern des Wirtschafts- und Sozialausschuss abgeschlossenen Vereinbarungen (Fälle 1 und 3) ist die Zustimmung der Mitglieder des Wirtschafts- und Sozialausschusses einzuholen, die bei den letzten Wahlen die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erzielt haben. Die von einem beauftragten Beschäftigten abgeschlossenen Vereinbarungen (Fall 2) sind von der Mehrheit der Beschäftigten zu genehmigen. Diese Modalitäten unterscheiden sich insofern ein wenig von den nach dem El-Khomri-Gesetz geltenden Bestimmungen, als zum einen alle Themen in abweichenden Vereinbarungen regelbar sind, und zum anderen die Ratifikationsmodalitäten etwas geändert werden. In Unternehmen, die nicht über eine Gewerkschaftsvertretung verfügen, eröffnen die neuen Bestimmungen mehr Verhandlungsbereiche als die derzeit geltenden Verordnungen. Hiervon abgesehen hat ein Abwarten des Inkrafttretens der Regierungsverordnung (1. Mai 2018) wohl keine entscheidenden Auswirkungen.

3) Die Ersetzung des Betriebsrats, des Hygiene- und Sicherheitsrats und der Personalvertretung durch einen Wirtschafts- und Sozialausschuss

Diese umfangreiche Regierungsverordnung, welche noch durch Durchführungsbestimmungen zu ergänzen sein wird, zeichnet sich aus durch

-  eine Vereinfachung der bisher vorhandenen drei Personalvertretungsstellen durch deren Zusammenlegung zu einer einzigen,

-  die allgemeine Aufrechterhaltung der geltenden unterschiedlichen Anhörungspflichten,

-  etwas komplizierte Modalitäten für das Inkrafttreten unter Geltung

  • eines grundsätzlich geltenden Datums für die Abschaffung der derzeit bestehenden Betriebsräte (Comités d’entreprise) und. Personalvertretungen (délégués du personnel) spätestens am 1. Januar 2020 (zwischenzeitlich finden auf die derzeit bestehenden Personalvertretungen die noch geltenden Vorschriften Anwendung).
  • einer automatischen Verlängerung bis zum 31, Dezember 2017 für die zwischen dem 23. September und dem 31. Dezember 2017 auslaufenden Mandate, sowie der Möglichkeit einer Mandatsverlängerung um höchstens ein Jahr aufgrund einer Betriebsvereinbarung oder Arbeitgeberentscheidung, und für die zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2018 auslaufenden Mandate die Möglichkeit einer Verlängerung um höchstens ein Jahr bzw. einer Verkürzung nach einer entsprechenden Betriebsvereinbarung oder Arbeitsgeberentscheidung.

Autoren

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Alain Herrmann
Partner
Paris