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Zivilrechtsreform in Russland – Annäherung an die internationale Praxis macht das russische Vertragsrecht attraktiver

August 2015

Das russische Zivilrecht wird moderner und auch für grenzüberschreitende Transaktionen attraktiver. Im Rahmen der laufenden Reformen des russischen Zivilgesetzbuchs (im Folgenden ZGB) traten am 1. Juni 2015 weitere wichtige Änderungen im Bereich des Schuldrechts in Kraft. Durch diese wurden eine Reihe von neuen Instituten und Mechanismen eingeführt, die zwar in der internationalen Vertragspraxis bereits seit geraumer Zeit etabliert, durch die russischen Gerichte aber bisher nur selten, wenn überhaupt, anerkannt waren.

In der nachfolgenden Darstellung stellen wir die wichtigsten Neuregelungen vor.

Erweiterte Zulässigkeit von Bedingungen

Gemäß Art. 327.1 des ZGB ist es nun möglich, die Erfüllung von Vertragsverpflichtungen sowie die Geltendmachung oder Beendigung bestimmter Rechte von einer Bedingung abhängig zu machen, bei der der Bedingungseintritt und somit die Wirksamkeit ausschließlich von einer Vertragspartei abhängt (Potestativbedingung).

Auswirkungen wird diese Regelung insbesondere auf M&A-Transaktionen haben, die nun komplexer ausgestaltet werden können. Der Vertragsabschluss kann künftig von einer aufschiebenden Bedingung abhängig gemacht werden, deren Eintritt auf einer bestimmten Handlung einer der Parteien beruhen kann. Vor den russischen Gerichten war die Durchsetzung einer solchen Bedingung trotz ihrer Anerkennung in der internationalen Vertragspraxis bisher immer problematisch. Dies insbesondere dann, wenn der Bedingungseintritt allein unter der Kontrolle einer der Parteien stand und nicht von einem Ereignis außerhalb der Kontrolle der Parteien abhängig gemacht wurde.

Garantien

Das bisher sehr eingeschränkte Konzept der Gewährung von Garantien hat oft dazu geführt, dass das russische Recht in internationalen Transaktionen vermieden wurde. Aus diesem Grund hat der russische Gesetzgeber das Institut der Garantiegewährung bei Abschluss, Erfüllung oder Beendigung eines Vertrags sowie Regelungen zur Haftung des Garantiegebers eingeführt. Es ist davon auszugehen, dass das russische Recht dadurch an größerer Akzeptanz im internationalen Geschäftsverkehr gewinnen wird.

Erstattung von Schadensersatz

Gemäß einer weiteren Regelung dürfen unternehmerisch tätige Parteien vereinbaren, dass im Falle des Eintretens bestimmter Umstände, die nicht mit Vertragsverstößen zusammenhängen, eine Partei der anderen zur Erstattung von Vermögensverlusten verpflichtet ist.

Gemeint sind z.B. Fälle, wo der Schaden durch die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung oder durch Forderungen dritter Parteien oder staatlicher Behörden entsteht. Die Höhe des Schadensersatzes sowie das Verfahren zu seiner Feststellung müssen vertraglich geregelt werden. Auf der internationalen Ebene werden durch solche Schadensersatzregelungen die bei Vertragsschluss bekannten Risiken adressiert.

Neue Arten von zivilrechtlichen Verträgen

1. Optionsverträge

In der bisherigen Rechtsprechung wurden Optionsverträge oft als bedingte und somit gemäß Art. 157 des ZGB unwirksame Rechtsgeschäfte angesehen. Zur Vermeidung von Unklarheiten hat der russische Gesetzgeber nun zwei Arten der Optionsverträge in das ZGB eingeführt:

  • Ein Vertrag über die Gewährung einer Option auf den Abschluss eines Vertrages: In einem solchen Vertrag wird dem Optionsnehmer die Möglichkeit gegeben, einen Vertrag zu den durch die Option vorgesehenen Bedingungen abzuschließen.
  • Ein Optionsvertrag über die Gewährung des Rechtes, die durch den Vertrag vorgesehene Leistungserfüllung zu verlangen (z.B. die Option, Anlagen zu kaufen oder zu verkaufen, ohne dass hierfür ein weiterer Vertrag erforderlich ist).

2. Rahmenverträge

Aufgrund der Vertragsfreiheit waren Rahmenverträge im russischen Handelsrecht zwar bereits sehr verbreitet, mangels einer eigenständigen Regelung jedoch durch die Gerichte häufig als nur unverbindlich (oder gar unwirksam) eingestuft. Durch den Art. 429.1 des ZGB wurde erstmals eine Grundlage für den Rahmenvertrag geschafften, was sicherlich mehr Rechtssicherheit mit sich bringen wird.

3. Abonnementsverträge

Trotz mangelnder Kodifizierung waren Abonnementsverträge ebenfalls bereits weit verbreitet (z.B. Fitnessstudio-Verträge, All-you-can-eat-Verpflegung). Diese sind nun ausdrücklich im Gesetz geregelt.

Vorvertragliche Haftung - culpa in contrahendo

Die Regelung der vorvertraglichen Haftung (culpa in contrahendo) war dem russischen Recht bisher unbekannt. Nach dem neuen Art. 434.1 des ZGB muss nun diejenige Partei, die Vertragsverhandlungen unredlich führt oder bösgläubig abbricht, der anderen Partei den dadurch verursachten Schaden erstatten. Auch sind die Parteien dazu verpflichtet, die Vertragsverhandlungen im guten Glauben zu führen, d.h. der anderen Partei dürfen weder unvollständige oder falsche Informationen vorgelegt noch bestimmte Umstände verschwiegen werden. Die vorvertragliche Haftung findet jedoch keine Anwendung auf natürliche Personen, die als Verbraucher auftreten.

Als zu erstattender Schaden gelten Aufwendungen, die der anderen Partei im Zusammenhang mit der Führung der Vertragsverhandlungen entstanden sind. Auch alle Aufwendungen, die durch den Verlust der Möglichkeit des Abschlusses des Vertrages mit einem Dritten entstanden sind, sind erstattungspflichtig.

Von der vorvertraglichen Haftung sind sicherlich Verhandlungen erfasst, die zwischen russischen Personen und Unternehmen durchgeführt werden. Es ist davon auszugehen, dass auch Verhandlungen über Vereinbarungen, die zwingend dem russischen Recht unterliegen, erfasst sind. Unklar bleibt die Haftung im Falle von grenzüberschreitenden Vertragsverhandlungen. Hier ist die Auslegung durch die Rechtsprechung abzuwarten.

Weitere Mechanismen zur Absicherung von Vertragsverpflichtungen

Die neuen Vorschriften haben zudem weitere wichtige Institute für die Absicherung von vertraglichen Verpflichtungen der Parteien sowie zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen eingeführt. Diese sind insbesondere für die Transaktionen im Bereich des Gesellschafts-, Handels- und Finanzrechts interessant. Dazu gehört z.B. die Möglichkeit der Gewährung unabhängiger Garantien durch Banken oder gewerbliche Organisationen (Art. 368 des ZGB), Sicherheitsleistungen (Art. 381.1 des ZGB) und Erstattung von Verlusten bei Vertragsbeendigung (Art. 310.3 des ZGB).

Fazit

Die Anpassung des russischen Schuldrechts an die internationale Praxis wird als großer Schritt vorwärts gewertet. Die aktuellen Reformen haben das russische Recht nun in die Lage versetzt, auch anspruchsvolle und komplexe gesellschafts-, handels- und finanzrechtliche Transaktionen zu regeln. Positiv angesehen sind insbesondere die zusätzlichen Absicherungs- und Schutzmöglichkeiten, die die neuen Mechanismen in internationalen Geschäften mit russischen Partnern mit sich bringen werden. Wie die neuen Vorschriften in der Praxis tatsächlich angewendet und ausgelegt werden, ist noch abzuwarten, das entscheidende Wort wird hier sicherlich den russischen Gerichten überlassen.

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