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Fairnesskatalog für Unternehmen

Schärferes Vorgehen gegen unfaire Geschäftspraktiken?

07/12/2018

Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat am 22. Oktober 2018 einen Fairnesskatalog für Unternehmen – Standpunkt für unternehmerisches Wohlverhalten" (Leitfaden) veröffentlicht. Erklärtes Ziel ist "vor allem die Schaffung eines Bewusstseins für faires Verhalten". Der Leitfaden soll "eine umfassende Anleitung zur Vorgehensweise bieten, wenn man von unfairen Geschäftspraktiken betroffen ist."Rechtlich verbindlich ist der 35-seitige Fairnesskatalog allerdings nicht.

Im Gegensatz zu vergleichbaren gesetzlichen oder freiwilligen Initiativen zu unternehmerischem Wohlverhalten2 ist der Anwendungsbereich des Leitfadens nicht auf einzelne Industrien oder Produktkategorien (wie z.B. Lebensmittel) beschränkt. Vielmehr soll er branchenübergreifend auf die Gestaltung von Beziehungen zwischen Lieferanten und Abnehmern beim Vertrieb von Waren und Dienstleistungen Anwendung finden.3 Aufgrund dieses breiten Anwendungsbereich sind die Verhaltensweisen, welche laut dem Leitfaden mit dem unternehmerischen Wohlverhalten unvereinbar sind, eher allgemeiner Natur.

Der Leitfaden ist rechtlich nicht verbindlich.4 Nachdem er aber die aktuelle Rechtsansicht der BWB offenbart, sind die darin enthaltenen Aussagen – neben einer Information der Marktteilnehmer (insbesondere KMU) – vor allem für die Prävention und zur Vermeidung von möglicherweise langwierigen und kostspieligen (Ermittlungs-)Verfahren (und etwaigen Sanktionen) von Relevanz.5 Aufgrund der laufenden Initiativen auf EU-Ebene (insbesondere dem Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Handelsbeziehungen in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette6) soll der Leitfaden nach drei Jahren ab seiner Veröffentlichung einer Evaluierung unterzogen werden, um allenfalls erforderliche Anpassungen zu ermöglichen.7

Einordnung wohlverhaltenswidriger Unternehmenspraktiken

Die BWB nimmt im Leitfaden eine Kategorisierung wohlverhaltenswidriger Unternehmenspraktiken vor. Diese orientiert sich offenbar an den Tatbestandsgruppen im Bereich des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung: In die Kategorie der Behinderungspraktiken fallen nach dem Leitfaden Verhaltensweisen, die einen anderen Anbieter in seiner wirtschaftlichen Entwicklung unsachlich behindern.8 Als  Ausbeutungspraktiken gelten hingegen Verhaltensweisen, die eine Seite im Rahmen der Geschäftsbeziehung gröblich benachteiligen und dadurch ausbeuten.9 Zusätzlich führt die BWB im Leitfaden noch die Gruppe der sonstigen Praktiken an, die sich nicht klar den Kategorien Behinderungs- oder Ausbeutungspraktiken zuordnen lassen.10 Die im Leitfaden für die einzelnen Kategorien angeführten Beispiele sind leider nicht immer optimal gewählt, weil viele der angeführten Verhaltensweisen nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen (z.B. Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung, teilweise noch unter Hinzutreten weiterer Bedingungen) gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen oder einen Unterlassungsanspruch begründen. Insbesondere fehlt in diesem Zusammenhang häufig eine weitergehende Erläuterung unter welchen „bestimmten Voraussetzungen" eine Verhaltensweise unzulässig sein soll oder es werden gesetzlich nicht klar definierte Begriffe wie „marktstarke Unternehmen" verwendet. Die im Leitfaden enthaltenen Auslegungsgrundsätze sind zwar hilfreich, konkretisieren aber nicht weitergehend die Beispiele für die verschiedenen Kategorien wohlverhaltenswidriger Praktiken.

Laut dem Leitfaden ist der „Begriff des unternehmerischen Wohlverhaltens nicht mit jenem des kaufmännischen Wohlverhaltens gem § 1 Nahversorgungsgesetz gleichzusetzen, sondern geht darüber hinaus."11 Der Leitfaden lässt aber offen, ob damit nur klargestellt werden soll, dass auch Verletzungen anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen (z.B. KartG, UWG) ebenfalls gegen unternehmerisches Wohlverhalten verstoßen können, ober ob die BWB einen über die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen hinausgehenden Wohlverhaltenskatalog schaffen wollte. Letzteres, also die Begründung einer neuen Kategorie von Verstößen gegen „unternehmerisches Wohlverhalten", welche aber nicht gleichzeitig auch unter einen gesetzlichen Tatbestand fallen, erschiene auf Basis der erklärten Zielsetzungen des Leitfadens als Anleitung für die Praxis nicht zielführend.

Katalog wohlverhaltenswidriger Unternehmenspraktiken

Den Kern des Leitfadens bildet ein Katalog von Verhaltensweisen gegenüber Geschäftspartnern, die von der BWB jedenfalls als wohlverhaltenswidrige Geschäftspraktiken eingestuft werden. Dieser umfasst die folgenden Punkte:12

  1. die Weigerung, Verträge über die wechselseitig zu erbringenden Leistungen sowie Vertragsbestandteile oder die Abänderung von Verträgen schriftlich abzuschließen;
  2. die einseitige rückwirkende Änderung vertraglicher Verpflichtungen, insbesondere hinsichtlich (a) der Höhe des vereinbarten Entgelts, etwa durch das Festsetzen von Rabatten, (b) der Erfüllungsfristen, (c) der Häufigkeit oder des Zeitpunkts von Lieferungen sowie (d) der Qualität oder Menge der zu erbringenden Waren oder Leistungen;
  3. das Fordern von Zahlungen oder sonstigen geldwerten Leistungen ohne entsprechende Gegenleistung (etwa das Fordern eines Jahresbonus mit der Begründung, die Verkaufszahlen in einer Warengruppe seien unter den Erwartungen geblieben);
  4. das Auferlegen überzogener Anforderungen und der damit verbundenen Kosten, insbesondere betreffend technische Standards, Prüfungen und Zertifizierungsmechanismen, die zur Gewährleistung der Qualität des Produkts bzw. der Leistung nicht unerlässlich sind;
  5. die Forderung, wesentliche Aspekte der Lieferkette des Vertragspartners oder Produktspezifikationen während eines aufrechten Vertragsverhältnisses aus Gründen zu ändern, die vom Fordernden selber zu vertreten sind, sofern die dadurch entstehenden Kosten nicht kompensiert werden;
  6. das Zurückschicken nicht verkaufter Waren an den Lieferanten auf dessen Kosten (Aufwendung in Zusammenhang mit der Rücksendung und Rückerstattung der Rechnungssumme), sofern dies nicht ausdrücklich und aus freien Stücken in der Liefervereinbarung festgelegt wurde;
  7. der Ausschluss von einer weiteren Belieferung oder Abnahme sowie deren Androhung, für den Fall, dass sich ein Geschäftspartner den unter Z 1 bis 6 genannten Praktiken widersetzt, insbesondere indem er an ihn gerichteten Forderungen nicht nachkommt;
  8. weitere, insbesondere die im Kapitel II. [Anmerkung: Kategorien von Geschäftspraktiken, die unternehmerischem Wohlverhalten widersprechen] genannte Verhaltensweisen, vor allem, wenn Unlauterkeit oder der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliegen.

Übersicht über bestehende Rechtsvorschriften und Hinweise für die Praxis

Darüber hinaus enthält der Leitfaden eine gute Übersicht über die einschlägigen bestehenden österreichischen Rechtsvorschriften im Kartellgesetz (Kartellverbot, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung), Nahversorgungsgesetz, UWG (unlautere und aggressive Geschäftspraktiken), im ABGB (überraschende Vertragsklauseln, Sittenwidrigkeit) und im UGB (grob nachteilige Vertragsbestimmungen oder Geschäftspraktiken zum Nachteil des Gläubigers).

Die bei den einzelnen gesetzlichen Grundlagen angeführten Beispiele sind dabei durchaus hilfreich. Bei den in diesem Zusammenhang angeführten Gerichtsentscheidungen ist aber zu berücksichtigen, dass diese regelmäßig auf Basis der Besonderheiten des ihnen zugrundeliegenden Einzelfalls ergingen. Darüber hinaus nehmen die im Leitfaden enthaltenen Beispielen auf eine Reihe von Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofs[13] Bezug. Diesbezüglich ist ebenfalls eine gewisse Vorsicht geboten, weil viele der dort thematisierten Fragen durch die österreichische Judikatur noch nicht abschließend geklärt sind.

Dargelegt wird im Leitfaden auch, welche Gerichte und Behörden zum Vollzug der dargestellten Bestimmungen zuständig sind. Während BWB, Bundeskartellanwalt mit ihren Ermittlungs- und Antragsbefugnissen und das Kartellgericht vornehmlich für den Vollzug des Kartellverbots, des Verbots des Missbrauchs von Marktmacht sowie Verfahren nach dem NVG zuständig sind, sind in Bezug auf UWG, UGB und ABGB zumeist die ordentlichen Gerichte zuständig. Gerade im Hinblick auf die anwendbaren verfahrensrechtlichen Bestimmungen und das Prozesskostenrisiko ist hier eine sorgfältige Analyse der für den jeweiligen Einzelfall "besten" Vorgangsweise erforderlich.

Nützliche Übersicht, individuelle anwaltliche Beratung jedoch weiterhin notwendig

Der vorliegende Leitfaden der BWB enthält eine nützliche Sammlung der einschlägigen österreichischen Bestimmungen zum Themenbereich „unternehmerisches Wohlverhalten". Eine „umfassende Anleitung zur Vorgehensweise [...], wenn man von unfairen Geschäftspraktiken betroffen ist" enthält der Leitfaden hingegen nicht. Aufgrund der Komplexität der Thematik kann dies von einer derartigen Publikation aber auch nicht erwartet werden. Vielmehr bedürfen Unternehmen, die mit aus ihrer Sicht unfairen Geschäftspraktiken konfrontiert sind, weiterhin einer fundierten anwaltlichen Beratung, um ihre rechtlichen Erfolgschancen im Einzelfall richtig einschätzen und die für sie optimalen Entscheidungen treffen zu können.

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1 Vgl https://www.bwb.gv.at/news/detail/news/bwb_veroeffentlicht_fairnesskatalog_fuer_unternehmen/ (zuletzt abgerufen am 13.11.2018).

2 Zum Beispiel der UK Groceries supply code of practice 2008, (abrufbar unter https://www.gov.uk/government/publications/groceries-supply-code-of-practice/groceries-supply-code-of-practice, zuletzt abgerufen am 13.11.2018) oder die von der Supply Chain Initiative 2011 veröffentlichten Grundsätze für vorbildliches Verfahren betreffend Vertikale Beziehungen in der Lebensmittelversorgungskette (https://www.supplychaininitiative.eu/sites/default/files/entr-2013-00308-00-00-d-tra-00final.pdf, zuletzt abgerufen am 13.11.2018).

3 Vgl Leitfaden, Seite 7.

4 Leitfaden, Seite 7.

5 Vgl Leitfaden, Seite 7.

6 Vgl Kommission, 12.04.2018, COM (2018) 173 final (abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52018PC0173&from=DE, zuletzt abgerufen am 13.11.2018).

7 Leitfaden, Seite 6.

8 Leitfaden, Seite 8.

9 Leitfaden, Seite 9.

10 Leitfaden, Seite 10.

11 Leitfaden, Seite 7.

12 Leitfaden, Seite 12.

13 Vgl zum Leitfaden, Seite 19, Fußnoten 10, 11 und 13 und Seite 20, Beispiel 2.

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