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Akteneinsicht in Kartellgerichtsakten

Keine Zustimmung der Verfahrensparteien auch bei Schadenersatzansprüche wegen Verletzung innerstaatlichen Kartellrechts mehr erforderlich?

09/02/2015

Sachverhalt

In seinem Urteil iS Donau Chemie hat der EuGH bekanntlich die Regelung in § 39 Abs 2 KartG, wonach eine Einsichtnahme in die Akten des Kartellgerichts nur bei Zustimmung aller Verfahrensparteien erfolgen kann, als unionsrechtswidrig qualifiziert. Ein derartiger pauschaler gesetzlicher Ausschluss der Akteneinsicht ohne die Möglichkeit einer Interessensabwägung durch ein Gericht verstößt nach Auffassung des EuGH insbesondere gegen den gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz.

Nach wohl einhelliger Auffassung wurde damit klargestellt, dass § 39 Abs 2 KartG bei Akteneinsichtsbegehren in Kartellverfahren wegen Verstößen gegen das EU-Kartellrecht (Art 101 AEUV) wegen des Vorrangs von Unionsrecht unanwendbar ist.

Der OGH hat nunmehr in zwei Verfahren (OGH Beschlüsse vom 28.11.2014, 16 Ok 10/14b und 16 Ok 9 /14f) betreffend Akteneinsicht in die Kartellgerichtsakten der Verfahren gegen die vormalige Europay Austria GmbH (Ausgangsverfahren OLG Wien GZ 27 Kt 20, 24, 27/06 und GZ 27 Kt 243,244/02) im Zusammenhang mit Kartellschadenersatzansprüchen ausgesprochen, dass auch im Anwendungsbereich nationalen Rechts keine anderen Maßstäbe gelten sollen (OGH-E, Rz 7.4, 7.5). Eine oberstgerichtliche Überprüfung, ob die vom Kartellgericht – zur Begründung der Nichtanwendbarkeit von § 39 Abs 2 KartG – angenommenen unionsrechtlichen Bezüge der Ausgangsverfahren bestanden, konnte demnach unterbleiben (OGH-E, Rz 7.3).

Als Argumente für die Nichtanwendbarkeit von § 39 Abs 2 KartG zieht der OGH – nach meinem Verständnis der Entscheidung – zum einen die mit dem KaWeRÄG 2012 verfolgte Förderung der Durchsetzung privater Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen heran (OGH Rz 7.4) und verweist andererseits auf das Grundrecht auf Zugang zu einem Gericht (Art 6 EMRK und Art 47 EU-Grundrechtscharta), welches durch diese Bestimmung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde (OGH-E, Rz 7.7).

Inwieweit diese inhaltlich nachvollziehbaren Argumente jedoch eine Nichtanwendung von § 39 Abs 2 KartG in Verfahren ohne Unionsrechtsbezug ermöglichen sollen, bleibt in der OGH-E leider offen. Soweit der OGH in dieser Bestimmung bei einem nicht unter das EU-Kartellrecht fallenden Ausgangsverfahren einen Verstoß gegen Art 6 EMRK sieht, müsste er diese Frage eigentlich nach Art 140 B-VG dem VfGH vorlegen. Eine Nichtanwendung von für verfassungswidrig erachteten Gesetzesbestimmungen durch ordentliche Gerichte ist hingegen im österreichischen Recht nicht vorgesehen.

Die Entscheidung des OGH enthält darüber hinaus klare Vorgaben, wie das Kartellgericht vorzugehen hat, wenn die Parteien des Ausgangsverfahrens ihre Zustimmung zur Akteneinsicht verweigern: Zuerst soll den Parteien aufgetragen werden, die Gründe für die Verweigerung der Akteneinsicht darzulegen und die Passagen des Aktes zu bezeichnen, die von der Akteneinsicht ausgenommen werden sollen. Auf Basis dieser Angaben ist anschließend vom Kartellgericht eine Interessenabwägung vorzunehmen.

Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin diese Möglichkeit nicht genützt, sondern vielmehr argumentiert, dass ein "Screening" des gesamten Aktes auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nur mit einem extrem hohen und für sie unverhältnismäßigen Aufwand möglich wäre. Das Kartellgericht gewährte daraufhin Akteneinsicht in den gesamten Akt mit Ausnahme derjenigen Aktenteile, hinsichtlich derer der Zweitantragstellerin bereits Akteneinsicht gewährt wurde.

Fazit

Bei Anträgen auf Akteneinsicht in die Akten eines kartellgerichtlichen Verfahrens zur Verfolgung privater Schadenersatzansprüche ist nunmehr wohl auch bei rein nationalen Sachverhalten eine Interessensabwägung vorzunehmen. Die Parteien des Ausgangsverfahrens können somit nicht einfach unter Berufung auf § 39 Abs 2 KartG eine mögliche Akteneinsicht zur Gänze verhindern. Gibt das Kartellgericht den Parteien des Ausgangsverfahrens die Gelegenheit, diejenigen Teile des Aktes zu bezeichnen, die ihres Erachtens von einer Akteneinsicht ausgenommen werden sollen, sollten potentielle Schadenersatzgegner diese Möglichkeit tunlichst nützen und entsprechend begründen.

Quelle

www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJR_20141128_OGH0002_0160OK00009_14F0000_001/JJR_20141128_OGH0002_0160OK00009_14F0000_001.html

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