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Barrierefreiheit für bauliche Anlagen

04/01/2016

Das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz – BGStG) hat das Ziel, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung zu beseitigen. Unter anderem verpflichtet das Gesetz dazu, Zugänge zur Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, barrierefrei zu gestalten.

Ende des vorigen Jahres endete die zehnjährige Übergangsfrist für die Herstellung von Barrierefreiheit. Nach Schätzungen sind aber erst etwa 10 % aller Unternehmen barrierefrei. Nachfolgend erfahren Sie, welche Ausnahmen es gibt und welche Rechtsfolgen ein Gesetzesverstoß haben kann.

1. Was bedeutet Barrierefreiheit?

Das Gesetz soll ganz allgemein vor Diskriminierung schützen. Eine Barriere stellt in der Regel eine mittelbare Diskriminierung von Personen mit Behinderung dar. Barrieren können vielfältiger Natur sein. Sie können in baulichen Barrieren (etwa Stufen) oder etwa auch in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Hausordnungen vorkommen (etwa die in einer Hausordnung zu findende Bestimmung, dass Hunde im Gebäude generell verboten sind, wodurch Personen, die auf Blinden- oder Therapiehunde angewiesen sind, diskriminiert werden).

2. Anwendungsbereich

2.1. Wer muss Barrierefreiheit herstellen?

Umfasst sind Anbieter von Waren und Dienstleistungen. Dazu zählen Lebensmittelgeschäfte, Baumärkte, Restaurants, Frisöre, Kinos, Theater und Museen genauso wie Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater und öffentliche Verkehrsmittel. Dies betrifft nicht nur den Zugang zu und die Bewegungsfreiheit innerhalb der Einrichtung, sondern etwa auch sanitäre Anlagen innerhalb des Gebäudes, sofern solche auch für Menschen ohne Behinderung zur Verfügung stehen.

2.2. Wen schützt das Gesetz?

Vom Gesetz geschützt sind einerseits Menschen mit Behinderung , andererseits aber auch Personen, die aufgrund ihres Naheverhältnisses zu einer Person wegen deren Behinderung diskriminiert werden. Möchte etwa eine Mutter mit ihrem Kind, das auf einen Rollstuhl angewiesen ist, eine Theatervorstellung besuchen und ist dies aufgrund vorhandener Barrieren nicht möglich, könnte nicht bloß das Kind, sondern auch seine Mutter Ansprüche nach dem BGStG haben.

3. Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit

Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen dann, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Sind Barrieren vorhanden, besteht grundsätzlich die Verpflichtung, diese bis zum 1.1.2016 zu entfernen.

4. Ausnahmen

Um Barrieren zu beseitigen, bedarf es unter Umständen eines großen finanziellen Aufwandes. Das Gesetz berücksichtigt dieses Faktum und legt fest, dass eine mittelbare Diskriminierung nicht vorliegt, d. h. die Herstellung der Barrierefreiheit nicht erforderlich ist, wenn die Beseitigung der Barrierefreiheit rechtswidrig oder mit unzumutbaren Belastungen verbunden wäre. Als eine rechtswidrige Herstellung der Barrierefreiheit wäre etwa anzusehen, wenn eine Rampe auf fremdem Grund ohne die Zustimmung des Grundeigentümers errichtet wird oder wenn eine Rampe aufgrund einer denkmalgeschützten Fassade baurechtlich unzulässig wäre.

Bei der Frage, ob eine unzumutbare Belastung vorliegt, zählt das Gesetz beispielhaft Beurteilungskriterien auf, die es gegeneinander abzuwägen gilt. Insbesondere sind folgende Faktoren bei der Beurteilung zu berücksichtigen:

  • der mit der Herstellung der Barrierefreiheit verbundene Aufwand im Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Unternehmens, bei der auch allenfalls bestehende Förderungen aus öffentlichen Mitteln für die entsprechenden Maßnahmen mitzuberücksichtigen sind (wirtschaftliche Prüfung),
  • die zwischen dem Inkrafttreten des BGStG (1.1.2006) und der behaupteten Diskriminierung vergangene Zeit,
  • die Auswirkung der Benachteiligung auf die allgemeinen Interessen des durch dieses Gesetz geschützten Personenkreises,
  • beim Zugang zu Wohnraum der von der betroffenen Person darzulegende Bedarf an der Benutzung der betreffenden Wohnung.

Erweist sich nach Abwägung aller Umstände die Herstellung der Barrierefreiheit als eine unverhältnismäßige Belastung, so liegt dennoch eine Diskriminierung und damit eine Gesetzesverletzung vor, wenn es verabsäumt wurde, durch zumutbare Maßnahmen zumindest eine maßgebliche Verbesserung der Situation der betroffenen Person im Sinne einer größtmöglichen Annäherung an eine Gleichbehandlung zu bewirken.

Dabei sind wiederum die genannten Kriterien heranzuziehen.

Die Verhältnismäßigkeit muss stets im Einzelfall geprüft werden. Wenn beispielsweise ein niedergelassener Arzt seine Praxis in einer Altbauwohnung im dritten Stock ohne Lift betreibt, wird der Einbau eines Liftes in aller Regel unzumutbar sein. In diesen Fällen muss der Arzt aber alternative, zumutbare Maßnahmen anbieten, um eine maßgebliche Verbesserung der Situation im Sinne einer größtmöglichen Annäherung an eine Gleichbehandlung zu bewirken. Eine solche könnte etwa darin bestehen, geschultes Pflegepersonal zur Verfügung zu stellen, das eine Beförderung von der Straße in die Ordination ermöglicht, sofern nicht auch diese Möglichkeit, etwa aus wirtschaftlichen Gründen, eine unzumutbare Belastung darstellt.

Der Umstand, dass seit dem Inkrafttreten des BGStG (1.1.2006) bereits zehn Jahre vergangen sind, fällt bei einer Interessenabwägung jedenfalls negativ ins Gewicht.

In die Interessenabwägung sind auch die konkreten Auswirkungen auf den geschützten Personenkreis miteinzubeziehen: Je höher die Anzahl der Personen ist, die die jeweilige Einrichtung frequentieren, desto eher wird sich die Benachteiligung durch die Barriere auswirken und desto eher sind jene Einrichtungen barrierefrei zu machen, die von einer besonders hohen Anzahl von Personen frequentiert werden. Wenn es hingegen keinerlei zumutbare Angebotsalternativen gibt, wie etwa bei einem quasi-monopolistischen Dorfrestaurant, kommt der Anzahl der frequentierenden Personen wenig bis keine Bedeutung zu.

Auch Vermieter sind betroffen, denn auch das Anbieten von Wohnraum fällt an sich unter das BGStG. Hier anerkennt der Gesetzgeber jedoch, dass ein Anbieter von Wohnungen (z. B. ein einfacher Wohnungsvermieter) mit der Herstellung einer vollständigen Barrierefreiheit – vor allem im Bereich des Altbaubestandes – i. d. R. überfordert ist. Neben den bereits erwähnten Abwägungskriterien ist im Bereich des Wohnraums daher zusätzlich von Relevanz, ob ein individueller Bedarf der betroffenen Person an der Benutzung der angebotenen Wohnung besteht. Eine Diskriminierung wird also beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn die behinderte Person gerade an der konkreten Wohnung ein besonderes Interesse hat, etwa weil dort (oder in der Nähe) eine Angehörige oder ein Angehöriger lebt, deren oder dessen Unterstützung sie bedarf.

5. Rechtsfolgen

5.1. Kein Recht, die Herstellung der Barrierefreiheit zu verlangen

Die aktuellen Bauordnungen der Länder sehen bereits seit längerem vor, dass Neubauten im Wesentlichen barrierefrei ausgestaltet sein müssen. Das gilt jedoch nicht für bereits bestehende Gebäude. Insbesondere besteht für bereits bestehende Gebäude weder eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zum barrierefreien Umbau, noch kann eine betroffene Person den Anbieter von Waren oder Dienstleistungen dazu zwingen, Barrierefreiheit herzustellen. Es droht auch keine Verwaltungsstrafe, wenn die Barrierefreiheit nicht hergestellt ist. Der Gesetzgeber wählte – auch aus verfassungsrechtlichen Gründen – den Weg der „Einzelverfolgung“ im Rahmen des Schadenersatzes. Daneben besteht auch die Möglichkeit der Verbandsklage. Im Rahmen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sind auch Unterlassungsansprüche denkbar.

5.2. Schadenersatz

Bei Verletzung des Diskriminierungsverbotes hat die von der Diskriminierung betroffene Person (davon umfasst sind wie unter Punkt 1.2. erwähnt auch Personen, die aufgrund ihres Naheverhältnisses zu einer Person wegen deren Behinderung diskriminiert werden) Anspruch auf Ersatz des tatsächlich entstandenen Schadens sowie Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens wegen der erlittenen persönlichen Beeinträchtigung. Bei der Verletzung der Pflicht zur Herstellung von Barrierefreiheit sieht das Gesetz in Bezug auf den immateriellen Schaden keinen Mindestbetrag vor. Es wird dem richterlichen Ermessen überlassen, einen angemessenen Betrag im Einzelfall festzusetzen.

Bei der Geltendmachung von Schadenersatz muss die von der Diskriminierung betroffene Person die Diskriminierung lediglich glaubhaft machen. Dem beklagten Anbieter von Waren oder Dienstleistungen obliegt es dann zu beweisen, dass bei Abwägung aller Umstände eine Ausnahme von der Pflicht zur Herstellung der Barrierefreiheit vorliegt (z. B. unzumutbare wirtschaftliche Belastung) und eine alternative Maßnahme gesetzt wurde, die zumindest eine maßgebliche Verbesserung der Situation der betroffenen Person im Sinne einer größtmöglichen Annäherung an eine Gleichbehandlung bewirkte.

Vor dem Gang zu Gericht ist zwingend ein Schlichtungsstellenverfahren einzuleiten. Wenn keine gütliche Einigung zu Stande kommt, jedenfalls aber nach drei Monaten ab Befassung der Schlichtungsstelle, kann die Sache zu Gericht abgezogen werden.

5.3. Verbandsklage

Neben der Möglichkeit für jede betroffene Person, Schadenersatz geltend zu machen, ermöglicht das Gesetz der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation eine Verbandsklage auf Feststellung einer Diskriminierung aus dem Grund einer Behinderung. Diese ist aber nur dann zulässig, wenn durch eine Gesetzesverletzung die allgemeinen Interessen des durch dieses Gesetz geschützten Personenkreises wesentlich und dauerhaft beeinträchtigt werden und der Bundesbehindertenbeirat eine entsprechende Empfehlung abgibt. Eine solche kann er nur abgeben, wenn er dies mit einer Mehrheit von zwei Dritteln beschließt. Es ist davon auszugehen, dass solche Verbandsklagen eher eine Seltenheit darstellen werden. Wird aber aufgrund einer solchen Verbandsklage eine Diskriminierung gerichtlich festgestellt, können sich die davon betroffenen Personen darauf berufen. Auch im Verbandsverfahren ist zuvor zwingend ein Schlichtungsverfahren einzuleiten.

5.4. Unterlassung aufgrund eines Verstoßes gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb

Nach der Rechtsprechung zum Lauterkeitsrecht (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – UWG) ist es unzulässig, sich durch Rechtsbruch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Wer es daher unterlässt, die Barrierefreiheit herzustellen, während ein ebenfalls am Markt tätiger Mitbewerber sich an das Gesetz hält und Barrierefreiheit herstellt, könnte sich dadurch insofern einen Vorteil verschaffen, als er sich Aufwendungen erspart. Dies könnte zu einem Unterlassungsanspruch jener Mitbewerber führen, die sich gesetzeskonform verhalten. Es wäre also denkbar, dass der gesetzestreue Anbieter von Waren oder Dienstleistungen vom gesetzwidrigen Mitbewerber verlangen kann, es zu unterlassen, seine Waren oder Dienstleistungen in einem nicht barrierefreien Umfeld anzubieten. Dies könnte, wenn etwa hierzu eine einstweilige Verfügung erlassen wird, schnell zu erheblichen Umsatzeinbußen führen.

6. Auswirkungen für die Praxis

Viele Unternehmen haben die zehnjährige Schonfrist zur Herstellung der Barrierefreiheit verschlafen. Nun gilt es, anhand der im Gesetz angeführten Abwägungskriterien abzuschätzen, ob die Herstellung eines barrierefreien Umfeldes rechtlich zulässig und wirtschaftlich zumutbar ist oder ob das nicht der Fall ist. In letzterem Fall müssen Maßnahmen getroffen werden, die einer Barrierefreiheit möglichst nahekommen und zumutbar sind. Zur Herstellung der Barrierefreiheit kann zwar niemand gezwungen werden, bei Gesetzesverletzungen ist aber mit Schadenersatzansprüchen der Betroffenen zu rechnen. Unter Umständen drohen lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche von Mitbewerbern, die ihrerseits Barrierefreiheit hergestellt haben. In diesem Fall ist rasches Handeln angezeigt.

Autoren

Martin Trapichler