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Gilt die versicherungsrechtliche Privilegierung des Hypothekargläubigers auch für den Pfandgläubiger eines Superädifikats?

23/05/2017

Diese Frage beschäftigte erstmals den für das Versicherungsvertragsrecht zuständigen Fachsenat des OGH in der E 7 Ob 98/16 m vom 29. März 2017. Der beklagte Versicherer behauptete, die in den §§ 99 ff VersVG enthaltenen Regelungen zum Schutz besicherter Gläubiger würden nur für den Hypothekargläubiger eines im Grundbuch eingetragenen Gebäudes gelten und seien nicht auf den Pfandgläubiger eines nichtverbücherten Superädifikats (Überbaus) anwendbar. Die klagende Bank, der zur Besicherung von Krediten u.a. ein Pfandrecht an einem Superädifikat (konkret: Gärtnerei mit Glashaus) eingeräumt wurde, sah dies anders. Hintergrund der Meinungsverschiedenheit zwischen Versicherer und Bank war folgender: Der insolvente Eigentümer des versicherten Superädifikats steckte dieses (teilweise) in Brand. Damit ging nach Ansicht des Versicherers nicht nur die Gärtnerei in Rauch auf, sondern auch das Pfandrecht der Bank. Die Bestimmung des § 100 Abs 1 VersVG, der das Pfandrecht an einem versicherten Gebäude auf die Entschädigungsforderung gegen den Versicherer erstreckt, sei nämlich, so der Versicherer, als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und nicht auf das Pfandrecht an einem Superädifikat anwendbar. Auch die Bestimmung des § 102 Abs 1 Satz 1 VersVG, wonach der Versicherer dem Hypothekargläubiger nicht entgegenhalten kann, dass er wegen des Verhaltens des Versicherungsnehmers (hier: Brandstiftung) leistungsfrei ist, wollte der Versicherer nicht angewendet haben.

Die klagende Bank argumentierte, dass der Pfandgläubiger eines versicherten Superädifikats dem Hypothekargläubiger eines im Grundbuch eingetragenen und versicherten Gebäudes gleichzuhalten sei. Damit erstrecke sich einerseits das Pfandrecht am Superädifikat auf die Entschädigungsforderung gegen den Versicherer. Andererseits könne sich der Versicherer dem Pfandgläubiger gegenüber nicht darauf berufen, dass er wegen des Verhaltens des Versicherungsnehmers leistungsfrei geworden ist. Im Ergebnis müsse somit der Versicherer die Entschädigungssumme an die besicherte Bank leisten.

Das Höchstgericht setzt sich in den Entscheidungsgründen zuerst mit der Entstehungsgeschichte der versicherungsvertragsrechtlichen Privilegierung des Hypothekargläubigers auseinander. Schon in der E 7 Ob 2238/96 k hat der OGH ausgesprochen, dass diese Vorschriften Ausnahmevorschriften zugunsten besicherter Gläubiger und daher eng auszulegen sind. Zweck der Regelung ist die Stärkung und Verbesserung des Realkredits. Die rechtliche Sonderstellung des Hypothekargläubigers ist folglich auf die Feuerversicherung von Gebäuden beschränkt, bewegliche Sachen sind davon jedenfalls nicht erfasst. Auch mitversichertes Zubehör (z.B. Waren und Mobilien in einem Gebäude) fällt nicht unter die Sonderbestimmungen der §§ 99 ff VersVG. Die Pfandrechtserstreckung erfasst damit nicht schlechthin die Entschädigung für unbewegliches Gut insgesamt, sondern nur jene für das Gebäude.

Der OGH wendet sich dann der Auslegung des in den §§ 99 ff VersVG verwendeten Begriffs "Gebäude" zu. Nach Ansicht des Gerichts und unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien und die rechtswissenschaftliche Literatur ist ein Gebäude nach allgemein anerkanntem Verständnis alles, was auf Grund gebaut und mit diesem fest verbunden (grundfest errichtet) ist. Eine Verankerung im Boden ist nicht erforderlich; das Gebäude darf aber nicht dem Zweck dienen, an einen anderen Ort bewegt zu werden. Unter Zugrundelegung dieses Begriffsverständnisses können auch Superädifikate Gebäude sein. Die Anwendung der §§ 99 ff VersVG auch auf Superädifikate ist insoweit vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt. Angesichts der Größe und Beschaffenheit der Gärtnerei steht ihr Gebäudecharakter fest. Einwände des beklagten Versicherers, die sich auf eine formalistische Auslegung der Begriffe "Hypothekargläubiger" und "Gebäude" stützen (und letztlich eine teleologische Reduktion des Wortlautes anstreben), hat der OGH verworfen.

Fazit

Die besprochene Entscheidung des OGH befasst sich erstmals mit der Frage, ob privilegierter Hypothekargläubiger im Sinne der §§ 99 ff VersVG auch der Pfandgläubiger eines Superädifikates (Überbaus) ist oder nur der Pfandgläubiger eines im Grundbuch eingetragenen Gebäudes. Das Gericht gelangt dabei unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks (Stärkung und Verbesserung des Realkredits) zu dem Ergebnis, dass auch ein Superädifikat ein Gebäude ist und damit in den Anwendungsbereich der Sonderregelung des VersVG zum Schutz besicherter Gläubiger fällt. Die Sonderregelung besteht insbesondere in der gesetzlichen Pfandrechtserstreckung (§ 100 Abs 1 VersVG) und dem Weiterbestehen der Leistungspflicht des Versicherers gegenüber dem Hypothekargläubiger trotz Leistungsfreiheit gegenüber dem Versicherungsnehmer (§ 102 Abs 1 Satz 1 VersVG). Die Begründung des OGH überzeugt und das Ergebnis ist nicht zuletzt deshalb zu begrüßen, weil die Verwendung von Superädifikaten als Kreditsicherungsmittel in der Praxis (aus anderen Gründen) ohnehin schon mit genug Schwierigkeiten behaftet ist. Der Ausschluss von Superädifikaten aus dem Anwendungsbereich der Schutzvorschriften des VersVG für Pfandgläubiger hätte diese Situation noch verschärft.

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Andreas Göller