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Nachverhandeln nach dem Zuschlag schützt nicht vor Anfechtung

02/09/2014

Von allen ungeliebt und trotzdem Realität: Änderungen nach Zuschlagsentscheidung. Theoretisch kommt der Phase zwischen dem Ablauf der Nachprüfungsfrist und der Zuschlagserteilung keine vergaberechtliche Bedeutung mehr zu. Hat es der Auftraggeber mit dem Vertragsschluss eilig, dauert diese Phase überhaupt nur eine juristische Sekunde. Rechtsmittel und hitzige Auseinandersetzungen erwartet man sich vor Ablauf der Nachprüfungsfrist, nicht danach.

Doch manchmal gibt es Gründe für ein freiwilliges Zuwarten (bis zum Vertragsschluss) nach dem zwingenden Abwarten (der Nachprüfungsfrist), z.B. fehlende Genehmigungen oder Nachverhandlungen (die eigentlich verboten sind).

Und dann passiert es: Irgendeine Änderung tritt ein, die zumindest in den Augen mancher Betrachter die Vergabe an den Bestbieter rechtswidrig macht.

Sachverhalt

EuGH: Nachträgliche Verschlechterungen des Bestbieters ist bekämpfbar

Leider sind Insolvenzen ein häufiger Auslöser für solche unerwarteten Änderungen. Was tun, wenn die Bietergemeinschaft (BIEGE) mit dem besten Angebot eines ihrer Mitglieder verliert? Dieses Missgeschick ereignete in einem vom EuGH jüngst beurteilten Verfahren. Es passierte erst nach der Zuschlagsentscheidung zu Gunsten dieser BIEGE und Ablauf der Rechtsmittelfrist. Die BIEGE meinte, den Auftrag auch im geschrumpften Zustand erbringen zu können, und ersuchte den Auftraggeber um Zustimmung. Dieser willigte ein.

Nun ist die Eignung einer BIEGE aber durch alle ihre Mitglieder gegeben. Ein Austausch oder Wegfall von BIEGE-Mitgliedern ist eine wesentliche Angebotsänderung. Vor Ablauf der Rechtsmittelfirst hätte dieser Umstand zum Ausscheiden geführt. Ein nachgereihter Mitbieter hätte das Nichtausscheiden bekämpfen können.

Scheidet ein BIEGE-Mitglied erst während der Vertragserfüllung aus, kann es sich um eine wesentliche Vertragsänderung handeln, die zu einer Neuausschreibung zwingt.

Lösung: wirksamer Rechtschutz geht vor

Da das Vergabeverfahren nicht mit dem Ablauf der Rechtsmittelfristen endet, sondern erst mit Vertragsschluss, gewährt der EuGH den nachgereihten Bietern auch in der beschriebenen Schwebephase die gleichen Rechtsschutzgarantien: Die Zustimmung des AG zum Ausscheiden eines BIEGE-Mitglieds muss wie eine neuerliche Zuschlagsentscheidung behandelt werden. Das führt natürlich auch zu einer neuen Rechtsmittelfrist.

Die Begründung des EuGH ist elegant, weil einfach: Rechtsmittel verdienen diesen Namen nur, wenn sie wirksam sind. Das sind sie nur, wenn Fristen erst beginnen, nachdem der Berechtigte von einer möglichen Rechtswidrigkeit Kenntnis erlangen kann.

Erst weg, dann wieder da.

Sogar wenn ein BIEGE-Mitglied nach Angebotsabgabe insolvent wird aber die Insolvenz vor dem Zuschlag wieder aufgehoben wird, führt das zum Ausscheiden. So geschehen in Wien: LVwG Wien, VGW-123/060/10220/2014.

Fazit

Ergebnis

Auch wenn Vorfreude die schönste Freude ist, sollten öffentliche Auftraggeber besser rasch zuschlagen.

Quelle

  • EuGH Rs C‑161/13, Idrodinamica Spurgo Velox
  • LVwG Wien, VGW-123/060/10220/2014

Autoren

Foto vonThomas Hamerl
Thomas Hamerl
Partner
Wien