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Brexit-Update

08/03/2019

Bis heute, knapp drei Wochen vor Ablauf der Zwei-Jahres-Frist am 29. März, 24 Uhr MEZ, haben sich das Vereinigte Königreich und die EU nicht auf ein Austrittsabkommen geeinigt, das Zustimmung im britischen Unterhaus findet. Um die einschneidenden Folgen eines Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU doch noch durch umfassende Übergangsregelungen abzufedern, wäre zunächst eine politische Einigung im Vereinigten Königreich erforderlich. Doch selbst wenn das Unterhaus dem Austrittsabkommen nächste Woche noch zustimmt, besteht das Risiko eines No-Deal-Brexits weiterhin. So müssen im Vereinigten Königreich zur Ratifizierung des Abkommens noch eine Vielzahl nationaler Umsetzungsgesetze vom Parlament erlassen werden, die teilweise ebenfalls kontrovers diskutiert werden und deren Zustimmung nicht gesichert ist. Eine Umsetzung des Austrittsabkommens bis zum 29. März dürfte daher schon jetzt nicht mehr realisierbar sein, da auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats bis dahin erfolgen müssten.

Theresa May hat letzte Woche angekündigt, dass sie, sofern das Austrittsabkommen nächste Woche keine Zustimmung findet, die Abgeordneten des Unterhauses zunächst darüber entscheiden lassen will, ob das Land die EU ohne Austrittsabkommen verlassen soll. Sollten die Parlamentarier einen ungeregelten Brexit ablehnen, will Theresa May über eine kurze Verschiebung des EU-Austritts abstimmen lassen.

Eine von der britischen Regierung beantragte Verlängerung der Zwei-Jahres-Frist (Art. 50 Abs. 3 EUV) müsste auch von allen anderen 27 EU-Mitgliedstaaten genehmigt werden. Wird auch innerhalb der Fristverlängerung dem Austrittsabkommen nicht zugestimmt, wird diese Fristverlängerung allerdings nur den Zeitpunkt des ungeregelten Brexits verschieben.

Derzeit sieht es also danach aus, dass es entweder mit Ablauf des 29. März zu einem Austritt ohne Abkommen oder zu einer Verlängerung der Zwei-Jahres-Frist kommen wird. Sowohl die EU als auch das Vereinigte Königreich bereiten sich daher aktuell auf ein No-Deal-Szenario ohne umfassende Übergangsregelungen vor.

In unserem Webinar am 27. Februar haben wir Sie bereits über die aktuellen politischen Entwicklungen und die potentiellen Auswirkungen in den Bereichen Arbeitsrecht, Commercial und Steuerrecht informiert. Nachfolgend finden Sie eine kurze Zusammenfassung der wesentlichsten Punkte. Die Aufzeichnung des gesamten Webinars finden Sie hier.

Arbeitsrecht

No-Deal-Brexit – Situation in Deutschland
In aufenthaltsrechtlicher Hinsicht hat die Bundesregierung eine sog. „Übergangszeit“ von drei Monaten angekündigt. Während dieser dürfen britische Staatsangehörige weiterhin in Deutschland leben und arbeiten, müssen aber einen Aufenthaltstitel beantragen. Erste Städte (z. B. Frankfurt am Main) versenden bereits Schreiben an bei ihnen gemeldete britische Staatsangehörige, in denen sie diese Übergangsfrist und den legalen Aufenthalt bestätigen. Andere Städte (z. B. Stuttgart) haben dies angekündigt.

Zwar gibt es zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich ein altes Sozialversicherungsabkommen, das aber unabhängig von der Frage, ob es automatisch wieder in Kraft tritt, auch inhaltlich unzureichend ist, da z. B. Regelungen zur Arbeitslosenversicherung fehlen. Nach einem Gesetzesentwurf aus Januar 2019 können britische Staatsangehörige, die sich vor dem 29. März 2019 bereits in Deutschland aufhielten und hier krankenversichert waren, innerhalb von drei Monaten freiwillig der gesetzlichen Krankenversicherung beitreten und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung erhalten. Ohne neues bilaterales Abkommen verbleibt hier allerdings ein – wenn auch eher geringes – Risiko, dass in beiden Ländern Sozialversicherungsabgaben fällig werden.

No-Deal-Brexit – Situation im Vereinigten Königreich
Für deutsche Staatsangehörige, die vor dem 29. März 2019 bereits im Vereinigten Königreich gelebt haben, wird das sog. „EU Settlement Scheme“ gelten. Danach kann nach Antragstellung (vsl. bis 31. Dezember 2020 möglich) bis zur Entscheidung weiter wie bisher gearbeitet und gelebt werden. Für deutsche Arbeitnehmer, die nach dem 29. März 2019 in das Vereinigte Königreich kommen, wird das sog. „European Temporary Leave to Remain“ relevant werden. Sie können danach normal einreisen und arbeiten, müssen aber innerhalb von drei Monaten einen Antrag stellen, der im Falle der Gewährung zum Aufenthalt für bis zu drei Jahre ermächtigt.

Im Bereich der Sozialversicherung kann auf die obigen Ausführungen zum Sozialversicherungsabkommen verwiesen werden. Endgültige Rechtssicherheit im Hinblick auf die gegenseitige Akzeptanz wird hier nur ein neues bilaterales Abkommen schaffen.

Austrittsabkommen
Sollte das Austrittsabkommen noch in Kraft treten, würde während der „Übergangsphase“ im Hinblick auf Sozialversicherungs- (Art. 30 ff.) und Aufenthaltsrecht (Art. 10 ff.) im Wesentlichen alles wie gehabt bleiben, der Status quo also beibehalten. Es müsste aber u. U. ein Nachweis darüber beantragt und mitgeführt werden (Art. 26).

Commercial

Für den Fall eines No-Deal-Brexits gehen viele Beobachter von langen Staus in Calais und Dover und damit verbundenen Verzögerungen bei der Lieferung von und nach Großbritannien aus. Damit stellt sich die Frage der Haftung für Verzugsschäden. Welche Vertragspartei in einem solchen Fall die Risiken trägt, hängt im Wesentlichen von den vertraglichen Vereinbarungen, speziell den vereinbarten Incoterms, ab. Klar dürfte sein, dass die Partei, die das Risiko trägt, sich nicht auf höhere Gewalt berufen kann, da der No-Deal-Brexit kaum als nicht vorhersehbar bezeichnet werden kann. Mehr hierzu finden Sie in unserem Blog.

Im Falle eines No-Deal-Brexits finden grundsätzlich viele produktbezogene Regelungen, wie beispielsweise die Verordnung, die Anforderungen an persönliche Schutzausrüstung regelt, keine Anwendung mehr im Vereinigten Königreich und das Vereinigte Königreich muss nicht mehr die Vorgaben von Richtlinien, wie der Maschinenrichtlinie, umsetzen. Dies bedeutet aber, dass die Anforderungen an Produkte in der EU und im Vereinigten Königreich variieren können. Dies gilt es zu beachten, wenn ein Produkt auf dem jeweils anderen Markt bereitgestellt wird: Aber auch wer ein Produkt an einen Kunden im Vereinigten Königreich verkauft, ohne es selber dort auf dem Markt bereitzustellen, ist gut beraten vertraglich zu regeln, dass er die Einhaltung lokaler Gesetze im Vereinigten Königreich nicht gewährleistet. Für den Fall, dass es doch noch zu einem Austrittsabkommen kommt, werden Übergangsfristen vorgesehen werden, die die Verkehrsfähigkeit von Produkten gewährleisten, die den europäischen Vorgaben genügen.

Im Falle des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU ermöglicht das deutsche Recht in Vertriebsverträgen mit Handelsvertretern und Vertragshändlern mit Vertragsgebiet im Vereinigten Königreich den ansonsten zwingenden Ausgleichsanspruch auszuschließen. Von diesen sich ergebenden Gestaltungsmöglichkeiten sollte Gebrauch gemacht werden.

Steuerrecht

Das deutsche Ertragssteuerrecht behandelt aufgrund europarechtlicher Vorgaben EU-Mitgliedsstaaten privilegiert. Der No-Deal-Brexit bewirkt das Entfallen dieser Privilegierung für deutsche Investitionen im Vereinigten Königreicht. Hierdurch können beispielsweise Nachteile bei der Hinzurechnungsbesteuerung entstehen, wenn es nach dem Brexit nicht gelingt nachzuweisen, dass eine britische Tochtergesellschaft aktive Einkünfte im Sinne des Außensteuergesetzes erwirtschaftet. Weitere Beispiele sind mögliche Nachteile bei bislang steuerneutralen Umstrukturierungen unter UK-Beteiligung oder auch eine mögliche Gewerbesteuerpflicht bei empfangenen Dividenden. Die „gute Botschaft“ des Brexit-Steuerbegleitgesetzes ist hierbei auf „Vertrauensschutz“ für bestimmte privilegierte Transaktionen vor dem Brexit begrenzt.

Die Herausforderung bei den indirekten Steuern (Umsatzsteuer, Zölle) wird neben den großen praktischen Herausforderungen (keine hinreichenden Behördenkapazitäten für Zollanmeldungen etc.) in der Schaffung von adäquaten Zollverfahren und Lieferwegen bestehen, um insbesondere eine Doppelbelastung mit Zöllen zu vermeiden. Erforderliche Zollverfahren müssen beantragt und Transportwege müssen ggf. angepasst werden. Die vertraglich vereinbarte Verantwortung für die Einfuhrabgaben bei Lieferungen aus bzw. in das Vereinigte Königreich wird nach einem harten Brexit unmittelbar erheblich an Bedeutung gewinnen. Daneben ergeben sich zahlreiche umsatzsteuerliche Auswirkungen, wie bspw. die Umstellung bei den Steuerbefreiungsnachweisen, Änderungen beim Vorsteuervergütungsverfahren sowie bei der Anwendung des Mini-One-Stop-Shop-Verfahrens (MOSS). 


Weitere Informationen zum Thema Brexit finden Sie auf unserer Brexit-Website. Unsere Brexit-Checklisten geben einen guten Überblick über die wichtigsten Auswirkungen in den verschiedenen Rechtsgebieten. Und schauen Sie gern auch mal auf der Brexit-Themenseite in unserem Blog vorbei.

Wir werden Sie selbstverständlich weiterhin über die rechtlichen Auswirkungen der kommenden Ereignisse auf dem Laufenden halten.

Personen

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John Hammond, M.A. (Oxon)
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Stefan Handermann
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Dr. Gerald Gräfe
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Tobias Schneider
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