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Klagebefugnis von Wettbewerbsverbänden: ein Überblick über die aktuelle Rechtsprechung zur Verbandsklagebefugnis

Update Gewerblicher Rechtschutz & Kartellrecht 09/2019

September 2019

In Deutschland gibt es im Unterschied zu anderen Ländern wie beispielsweise Frankreich keine Behörde, die die Einhaltung des Wettbewerbsrechts überwacht. Dieses Vakuum füllen hierzulande u. a. die Verbände zur Förderung gewerblicher und selbständiger beruflicher Interessen. Diesen Verbänden sind Klagebefugnis und Anspruchsberechtigung verliehen, weil die Bekämpfung unlauterer geschäftlicher Handlungen auch im Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb erfolgt. Die Legitimation der Verbände folgt aber auch aus ihrer Funktion, die kollektiven Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen. Diese Funktion kann ein Verband nur erfüllen, wenn ihm tatsächlich eine ausreichende Anzahl von Mitgliedern angehört, deren Interessen von der Zuwiderhandlung berührt sind.

Zu den Voraussetzungen im Allgemeinen

Die Klagebefugnis eines Wettbewerbsvereins setzt voraus, dass es sich um einen Verband zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen handelt. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich anhand der Satzung. Das Tätigwerden soll gerade kein Vorwand sein, um sich selbst, seinem Personal oder beauftragten Kanzleien einen Namen und erheblichen Zuverdienst zu verschaffen.

Verbände sind nur dann anspruchsberechtigt, wenn ihnen eine erhebliche Anzahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Damit sind solche Unternehmen gemeint, die mit dem betreffenden Unternehmen auf demselben sachlich und räumlich relevanten Markt in Wettbewerb zueinander stehen, also mit ihm um Kundschaft konkurrieren.

Des Weiteren muss die Anzahl der betroffenen Mitgliedsunternehmen, die auf demselben sachlichen und räumlichen Markt tätig sind, erheblich sein. Diese tatbestandliche Einschränkung solle eine Austrocknung von „Abmahnvereinen“ bewirken, die vornehmlich aus Gebühreninteresse gegen Wettbewerbsverstöße vorgehen. Allerdings verlangt die Rechtsprechung hier keine Mindestanzahl. Vielmehr ist in Zweifelsfällen darauf abzustellen, ob die Anzahl und wirtschaftliche Bedeutung der branchenzugehörigen Verbandsmitglieder den Schluss darauf zulassen, dass nicht lediglich Individualinteressen einzelner Mitgliedsunternehmen, sondern objektiv gemeinsame gewerbliche Interessen der konkurrierenden Verbandsmitglieder wahrgenommen werden. Dies kann auch bei einer geringen Anzahl entsprechend tätiger Konkurrenzunternehmen anzunehmen sein. Wirkt sich der Wettbewerbsverstoß nur auf einen räumlich begrenzten Markt aus, muss dem Verband eine für diesen Markt repräsentative Zahl von Mitgliedsunternehmen angehören. Nur zwei Autohändler im Ruhrgebiet sind allerdings nicht als repräsentativ für den Autohandel im Ruhrgebiet angesehen worden (BGH GRUR 1998, 170 – Händlervereinigung).

Die maßgeblichen Konkurrenzunternehmen müssen dem Verband nicht zwingend unmittelbar angehören. Auch eine mittelbare Zugehörigkeit, etwa durch Mitgliedschaft in verbandsangehörigen Spitzenverbänden oder die Pflichtzugehörigkeit zur Industrie- und Handelskammer, kann genügen (BGH WRP 1996, 1102 – Großimporteur). Daher ist beispielsweise die Wettbewerbszentrale (Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e. V.) in wettbewerbsrechtlichen Rechtsstreiten stets anspruchsberechtigt, da ihr nahezu alle Industrie- und Handelskammern als Mitglieder angehören und deshalb immer eine mittelbare Verbandszugehörigkeit der von einem Wettbewerbsverstoß betroffenen Unternehmen anzunehmen ist (BGH GRUR 1997, 758 – Selbsternannter Sachverständiger).

Die Klagebefugnis eines Verbandes erfordert weiterhin, dass dieser in der Lage ist, die satzungsgemäßen Aufgaben – d. h. die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen – auch effektiv wahrzunehmen. Dies ist anhand seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung zu beurteilen. Zur personellen Ausstattung gehört in der Regel eine entsprechende fachliche Qualifikation der für den Verband als Vorstand oder in Anstellung tätigen Personen. Der Verband muss dementsprechend in der Lage sein, das Wettbewerbsgeschehen zu beobachten und typische Wettbewerbsverstöße auch ohne anwaltlichen Rat erkennen und rechtlich einschätzen zu können. Ferner muss der Verein über entsprechende Sachmittel (z. B. Büroräume, Kommunikationsmittel wie Telefon, Fax, E-Mail) verfügen, um den Satzungszweck tatsächlich verfolgen zu können. Zur finanziellen Ausstattung ist es zudem erforderlich, dass der Verband in der Lage ist, seine Fixkosten aus der Existenz, Grundausstattung und Grundbetätigung sowie etwaigen gegnerischen Kostenerstattungsansprüchen abzudecken.

Der Wettbewerbsverband, den grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für seine Klagebefugnis trifft, kann sich auf eine Vermutung zu seinen Gunsten berufen, wenn seine Klagebefugnis in der Vergangenheit – über einige Jahre – von den Gerichten nicht angezweifelt wurde. Dies stellt zwar eine Erleichterung für die betreffenden Verbände und Vereine dar. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass gerade bei jungen Verbänden das Risiko divergierender Rechtsprechung in den Instanzgerichten besteht. Deshalb wird in solchen Fällen von den in Anspruch genommenen Unternehmen auch häufig das Argument der fehlenden Verbandsklagebefugnis zur Verteidigung vorgebracht.

Gegenstand der aktuellen Rechtsprechung zur Verbandsklagebefugnis waren jüngst die Klagebefugnis der Deutschen Umwelthilfe, des IDO-Verbandes im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel und eines Verbandes, der die Interessen von Online-Unternehmen vertritt. Diese Fälle sollen nachfolgend kurz dargestellt werden.

Abmahnverhalten der Deutschen Umwelthilfe ist nicht rechtsmissbräuchlich

Der Bundesgerichtshof hat der Deutschen Umwelthilfe mit Urteil vom 4. Juli 2019 (Az.: 1 ZR 149/18) bescheinigt, dass ihr Vorgehen gegen die Werbung eines Autohauses, die Informationen zum Kraftstoffverbrauch und zu den CO2-Emissionen eines Neuwagens nicht im gesetzlich vorgesehenen Umfang enthielt, nicht rechtsmissbräuchlich war. Nach Auffassung des BGH bestanden für einen Missbrauch der Klagebefugnis keine Anhaltspunkte. Insbesondere stellten Überschüsse aus einer Marktverfolgungstätigkeit und ihre Verwendung (auch) für andere Zwecke als die Verfolgung von Wettbewerbsverstoßen im Verbraucherinteresse jedenfalls so lange kein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen dar, wie der Verbraucherschutz durch Marktüberwachung als Verbandszweck nicht lediglich vorgeschoben werde, während er tatsächlich nur dazu genutzt werde, Einnahmen zu erzielen und damit Projekte zu finanzieren, die nicht dem Verbraucherschutz und der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen dienen. Insbesondere lasse sich aus der Vielzahl von Abmahnungen und Gerichtsverfahren der Umwelthilfe nicht auf ein missbräuchliches Vorgehen schließen. Denn eine Vielzahl von Verstößen gegen Kennzeichnungs- oder Informationspflichten setze eine effektive Durchsetzung von Verbraucherinteressen mit Hilfe einer Vielzahl von Abmahnungen und ggf. auch gerichtlicher Verfahren voraus.

IDO-Verband fehlt im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel die Abmahnbefugnis

Das Landgericht Rostock hat mit Urteil vom 2. Mai 2019 (Az.: 5a HK O 112/18) entschieden, dass dem IDO-Verband im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel die Abmahnbefugnis fehlt. Der IDO-Verband mit Sitz in Leverkusen hat die umfassende Förderung insbesondere der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen deutscher Online-Unternehmer und Online-Freiberufler zum Vereinszweck. Der Verband störte sich an der Werbung eines Unternehmens für ein Nahrungsergänzungsmittel, das auf der Handelsplattform von Amazon zum Kauf angeboten wurde. Der Verband konnte in dem Gerichtsverfahren jedoch nicht darlegen und beweisen, dass ihm Mitgliedsunternehmen aus der relevanten Branche der Nahrungsergänzungsmittel im erforderlichen Umfang angehören. Erforderlich wäre, dass aus der einschlägigen Branche Unternehmen im Verband nach Anzahl und / oder Größe, Marktbedeutung oder wirtschaftlichem Gewicht repräsentativ vertreten seien. Die relevante einschlägige Branche beurteile sich dabei anhand großzügiger Kriterien. Es genüge, dass die durch das betroffene Unternehmen angebotenen Waren oder Dienstleistungen denjenigen einer relevanten Mitgliederzahl so nahestehen, dass der Absatz der Mitgliedsunternehmen durch eine wettbewerbswidrige Handlung des betroffenen Unternehmens beeinträchtigt werden kann. Das Landgericht Rostock hat zur Beurteilung des relevanten Marktes daher Unternehmen herangezogen, die Vitaminpräparate oder Nahrungsergänzungsmittel anderer Art vertreiben. Der Verband hatte sich zur Begründung seiner Klagebefugnis jedoch in erheblichem Umfang auf Mitgliedsunternehmen gestützt, die ausschließlich Lebensmittel vertrieben. Da der Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln nach Auffassung des Landgerichts Rostock im Regelfall den Markt allgemeiner Lebensmittel nicht berührt und eine ausreichende Anzahl von Unternehmen, die mit Vitaminpräparaten oder Nahrungsergänzungsmitteln handeln, als Mitglieder nicht nachgewiesen werden konnte, scheiterte die Klage des IDO-Verbandes an seiner fehlenden Klagebefugnis in diesem Handelssegment.

Wirtschaftliche Bedeutung relevanter als Anzahl konkurrierender Unternehmen

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 2. Mai 2019 (Az.: 5 U 58/18) entschieden, dass ein Verband, der die Interessen von Online-Unternehmen vertritt, sich nicht gegen einen gewerblichen Verkäufer von Comics auf der Online-Plattform ebay wehren kann. Der betreffende Verband konnte nicht darlegen, dass ihm eine erhebliche Anzahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Das Gericht stellte zunächst fest, dass für den relevanten Comic-Markt auch Unternehmen, die Bücher und Spielwaren vertreiben, maßgeblich sein können. Jedoch reiche eine große Anzahl von diesen Unternehmen nicht aus, wenn sie oder der von ihnen vertriebene Anteil von Büchern und Spielwaren keine besondere wirtschaftliche Relevanz aufwiesen.

Für die Bestimmung relevanter Konkurrenzunternehmen seien in der Regel alteingesessene stationäre Ladengeschäfte von größerer Relevanz als Online-Shops, die schnell und leicht errichtet und wieder geschlossen werden können. Zudem komme es für die Qualifikation eines Online-Shops als Konkurrenzunternehmen darauf an, ob dieses die betreffenden Waren in maßgeblichem Umfang oder nur als ein Produkt einer großen Produktpalette anbietet. Da dem klagenden Verband zwar eine Vielzahl von Unternehmen angehört, die auch mit Büchern und Spielwaren handeln, daneben aber häufig noch zahlreiche andere Produkte im Angebot haben, erachtete der Senat die Zahl der relevanten Mitgliedsunternehmen insgesamt als nicht ausreichend, um die Klagebefugnis des Verbandes annehmen zu können.

Fazit

Aus der Gesamtschau der neueren Rechtsprechung ergibt sich, dass gerade für Wettbewerbsverbände, die sich nur bestimmten Wirtschaftssektoren widmen und auch nur eine überschaubare Anzahl von Mitgliedsunternehmen aufweisen, die Darlegung der Klagebefugnis in wettbewerbsrechtlichen Rechtsstreiten erhöhten Begründungsaufwand und vertiefte Rechtsprechungskenntnisse erfordert. Soweit nicht die Klagebefugnis jahrelang gerichtlich unbeanstandet geblieben ist, besteht damit immer ein Restrisiko, dass ein Gericht die Klagebefugnis ablehnen wird. Wirklich sicher fühlen kann sich wohl nur die Wettbewerbszentrale, deren Klagebefugnis über die mittelbare Verbandszugehörigkeit der Mitglieder der Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern und zahlreicher Fachverbände praktisch immer begründet werden kann.

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Stefan Schreiber
Counsel
Leipzig
Annina Barbara Männig