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Zivilrechtsreform in Russland

September 2014

Ab dem 1. September 2014 sind umfassende Änderungen des russischen Zivil- und insbesondere Gesellschaftsrechts in Kraft getreten. In dieser Ausgabe unseres Russian Desk Newsletters möchten wir Sie über diese Änderungen informieren und Ihnen einige praktische Hinweise in diesem Zusammenhang anbieten.

I. Überblick und Gesetzliche Grundlagen

Nach der Grundidee soll das russische Gesellschaftsrecht zum einen dispositiver und flexibler und damit attraktiver für Unternehmer gestaltet werden, zum anderen aber auch den Geschäftsverkehr besser schützen. Die Änderungen betreffen im Wesentlichen:

  • die Abschaffung der Einteilung von Aktiengesellschaften in geschlossene (ZAO) und offene (OAO) Gesellschaften;
  • die Gründungs-, Reorganisations- und Liquidationsprozesse von Unternehmen;
  • die Geschäftsführung und die Kontrolle;
  • Gesellschaftervereinbarungen;
  • Haftung der Gesellschaftsorgane.

Die entsprechenden Vorschriften des russischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) wurden durch das föderale Gesetz vom 05. Mai 2014 Nr. 99-FZ geändert bzw. neu gefasst. Entsprechende Anpassungen des föderalen Gesetzes Nr. 208-FZ „Über Aktiengesellschaften“, des föderalen Gesetzes Nr. 14-FZ „Über Gesellschaften mit beschränkter Haftung“ und weiterer Gesetze erfolgen demnächst. Bis dahin gelten Übergangsvorschriften, wonach grundsätzlich die speziellen Gesetze weiter anwendbar bleiben, soweit sie nicht dem ZGB widersprechen.

II. Abschaffung der Einteilung in geschlossene und offene Aktiengesellschaft

Die Einteilung von Aktiengesellschaften in geschlossene (ZAO) und offene (OAO) Aktiengesellschaften wird abgeschafft. Es wird nun zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Aktiengesellschaften unterschieden, die beide nur mit AO abgekürzt werden. Aktiengesellschaften sind öffentlich, wenn ihre Aktien öffentlich gehandelt werden. Sie unterliegen strengeren Anforderungen hinsichtlich der Geschäftsführung, der Veräußerung von Aktien und der Informationspflichten. Alle anderen Aktiengesellschaften sind nichtöffentlich und können die Geschäftsführung, die Durchführung von Aktionärsversammlungen und die Rechte der Aktionäre flexibler gestalten. Die russische Gesellschaft mit beschränkter Haftung (OOO) ist per se als nichtöffentliche Gesellschaft klassifiziert.

Betroffene Gesellschaften müssen bei ihrer ersten Satzungsänderung seit dem 1. September 2014 die entsprechenden Änderungen, insbesondere die Änderung der Gesellschaftsform, die Umbenennung, die Anpassung der Satzung und anderer interner Dokumente, vornehmen. Bis dahin gilt für sie die alte Rechtslage.

Geklärt wird derzeit noch die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine öffentliche Aktiengesellschaft nichtöffentlich werden kann.

III. Neuigkeiten bei der Gründung

Bei der Gründung einer OOO ist bereits seit dem 1. Juli 2014 nicht mehr erforderlich, dass mindestens die Hälfte des Stammkapitals vor der staatlichen Registrierung eingezahlt werden muss. Diese Änderungen beschleunigen den Gründungsprozess einer OOO, da ein Sonderkonto für die Einzahlung des Stammkapitals vor der staatlichen Registrierung nicht mehr eröffnet werden muss. Zur Vermeidung von Missbräuchen und Gläubigerbenachteiligungen ist die Frist für die vollständige Einzahlung des Stammkapitals von einem Jahr auf vier Monate ab der staatlichen Registrierung verkürzt worden. Zudem haften die Gesellschafter subsidiär für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, die nach der Registrierung und vor Einzahlung des Stammkapitals entstehen. Ob die Gesellschafter hierbei unbegrenzt und auch dann haften, wenn sie ihren Teil eingezahlt haben, ist dem Gesetz nicht eindeutig zu entnehmen. Insoweit muss die Rechtsprechung abgewartet werden.

Ab 1. September 2014 ist bei der Gründung einer Gesellschaft ferner zu beachten, dass Einlagen in das Stammkapital bis zum Betrag des gesetzlichen Mindeststammkapitals der jeweiligen Gesellschaftsform in Geld einzuzahlen sind. Im Übrigen sind Sacheinlagen weiterhin möglich, allerdings müssen alle einzubringenden Sachen ab dem 1. September von einem unabhängigen Gutachter bewertet werden.

Nichtöffentliche Gesellschaften (OOO und AO) können die Geschäftsführung und die Kompetenzverteilung nun viel flexibler gestalten. Insbesondere können durch einstimmigen Gesellschafterbeschluss folgende Regelungen in die Satzung aufgenommen werden:

  • Übertragung von bestimmten Kompetenzen der Hauptversammlung auf ein kollegiales Geschäftsführungs- oder Kontrollorgan (Direktion oder Aufsichtsrat);
  • Übertragung von Kompetenzen anderer Gesellschaftsorgane auf die Hauptversammlung;
  • Entbehrlichkeit einer Revisionskommission;
  • abweichende Regelungen über Verfahren, Form und Fristen zur Einberufung, Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen;
  • abweichende Regelungen über die zahlenmäßige Zusammensetzung, die Formierung und die Durchführung von Sitzungen der kollegialen Geschäftsführungs- oder Kontrollorgane;
  • Verteilung des Umfangs der Rechte der Gesellschafter unabhängig von der Größe ihrer Anteile, wobei dies bei der OOO schon vor der Reform möglich war.

Daneben kann die Geschäftsführung einer OOO ab dem 1. September mehreren natürlichen und/oder juristischen Personen überlassen werden, wobei sie entweder einzel- oder gesamtvertretungsbefugt sein können. Damit ist das sogenannte Vier-Augen-Prinzip mit zwei Generaldirektoren möglich. Informationen über alle organschaftlichen Vertreter müssen im einheitlichen staatlichen Register juristischer Personen eingetragen werden.

IV. Gesellschaftervereinbarungen

Die Zulässigkeit von Gesellschaftervereinbarungen wurde schon vor einigen Jahren in das russische Aktien- und GmbH-Recht eingeführt. Mit den Änderungen zum 1. September sind sie einheitlich im ZGB unter dem Begriff „korporative Vereinbarung“ („korporativnyj dogovor“) geregelt. Solche Vereinbarungen können zwischen allen oder einigen Gesellschaftern, aber auch zwischen Gesellschaftern und Dritten, insbesondere Gläubigern der Gesellschaft, abgeschlossen werden. Folgende Pflichten können in der korporativen Vereinbarung unter anderem vorgesehen werden:

  • Abstimmung in den Hauptversammlungen der Gesellschaft auf bestimmte Weise;
  • Enthaltung von der Abstimmung in den Hauptversammlungen der Gesellschaft;
  • Erwerb oder Veräußerung von Anteilen an der Gesellschaft zu einem bestimmten Preis oder unter bestimmten Bedingungen;
  • Unterlassen der Veräußerung von Anteilen unter bestimmten Bedingungen;
  • Vornahme sonstiger Handlungen im Zusammenhang mit der Unternehmensführung.

Die Parteien müssen die Gesellschaft über den Abschluss einer korporativen Vereinbarung unterrichten, nicht jedoch über den Inhalt der Vereinbarung, sofern es sich um eine nichtöffentliche Gesellschaft handelt. Beschlüsse durch die Hauptversammlung können gerichtlich für unwirksam erklärt werden, wenn sie unter Verstoß gegen die korporative Vereinbarung zustande gekommen sind und alle Gesellschafter Parteien der Vereinbarung sind. Verträge mit Dritten aufgrund solcher Beschlüsse bleiben jedoch wirksam.

V. Haftung der Gesellschaftsorgane

Die Haftung des geschäftsführenden Organs gegenüber der Gesellschaft für treuwidrige und unvernünftige Geschäftsführung existiert im russischen Recht schon länger. Jetzt wird im ZGB aber konkretisiert, dass treuwidriges und unvernünftiges Verhalten insbesondere dann vorliegt, wenn das handelnde Organ durch Tun oder Unterlassen die gewöhnlichen unternehmerischen Bräuche missachtet hat.

Ebenso haften künftig alle kollegialen Organe der Gesellschaft, es sei denn, sie haben gegen den zum Schaden führenden Beschluss abgestimmt oder waren bei der Abstimmung nicht anwesend und redlich. Die Haftung auf Schadensersatz trifft fortan auch Personen, die faktisch die Handlungen der Gesellschaft bestimmen können.

Schließlich ist auch die Haftung der Muttergesellschaft für die Verbindlichkeiten ihrer Tochtergesellschaft neu geregelt. Bis zu den Änderungen zum 1. September 2014 haftete die Muttergesellschaft für Verbindlichkeiten der Tochter nur aus solchen Verträgen, die auf direkte Anweisung der Muttergesellschaft zustande gekommen sind. Nunmehr gilt das auch für Verträge der Tochtergesellschaft, die mit Einverständnis der Muttergesellschaft zustande gekommen sind. Welche Qualität dieses Einverständnis haben muss (ausdrückliche Zustimmung oder stillschweigende Billigung), bleibt zunächst unklar. Auch insoweit muss die gerichtliche Praxis abgewartet werden.

VI. Neuigkeiten bei der Reorganisation

Das Verfahren für die Reorganisation einer Gesellschaft wurde signifikant geändert. Es ist fortan möglich, mehrere der fünf gesetzlich vorgesehenen Reorganisationsformen (Fusion, Konsolidierung, Abspaltung, Ausgliederung und Formwechsel) miteinander zu kombinieren und gleichzeitig vorzunehmen. Zudem sind ausführliche Regelungen zum Gläubigerschutz bei Reorganisationen in das ZGB eingeführt worden, so etwa die gesamtschuldnerische Haftung der neu gegründeten und der reorganisierten Gesellschaft für Verbindlichkeiten der reorganisierten Gesellschaft, wenn die Verbindlichkeiten zwischen den Gesellschaften auf unredliche Weise und unter wesentlicher Missachtung von Gläubigerinteressen verteilt wurden.

Schließlich wurden ausführliche Regeln zur gerichtlichen Anfechtung von Reorganisationen eingeführt. Unterschieden wird dabei zwischen dem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des entsprechenden Gesellschafterbeschlusses und dem Antrag auf Feststellung, dass die Reorganisation nicht zustande gekommen ist. Bei einem unwirksamen Beschluss über die Reorganisation haben der anfechtende Gesellschafter sowie die Gläubiger der reorganisierten Gesellschaft lediglich einen Schadensersatzanspruch gegen die übrigen Gesellschafter und die neu entstandenen Gesellschaften. Beim Nichtzustandekommen wird hingegen die gesamte Reorganisation rückgängig gemacht, wobei bereits begründete Verbindlichkeiten der neu gegründeten Gesellschaften auf die ursprüngliche Gesellschaften übergehen.

VII. Neuigkeiten bei der Liquidation

Die Voraussetzungen für die Liquidation einer juristischen Person durch Gerichtsbeschluss wurden umformuliert. Neu ist, dass auch ein Gesellschafter die Liquidation durch Gerichtsbeschluss beantragen kann, wenn die unternehmerischen Ziele der Gesellschaft nicht mehr oder nur sehr schwer zu erreichen sind. Außerdem gelten neue Regeln für die öffentliche Versteigerung des Gesellschaftsvermögens und die Befriedigung der Gläubiger der zu liquidierenden Gesellschaft.

VIII. Praktische Hinweise

Wie jede größere Rechtsreform, bringen auch die Änderungen des russischen Zivilrechts zum 1. September 2014 nicht nur mehr Klarheit, sondern auch Unsicherheiten mit sich. Bei der Gründung, Führung oder Liquidation eines Unternehmens nach den neuen Regeln ist größte Vorsicht geboten. So hat die Anpassung der internen Richtlinien an die neue Gesetzgebung bei den russischen Behörden teilweise noch nicht stattgefunden, so dass insoweit mit Zurückhaltung bei der Anwendung der neuen Regeln zu rechnen ist. Zudem werden einige Fragen erst in den angepassten Spezialgesetzen (insbesondere im Aktiengesetz und GmbH-Gesetz) abschließend geregelt. Im Einzelfall beraten wir Sie gerne über die neuen Möglichkeiten und bei deren Umsetzung.

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