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Auswirkungen negativer Referenzzinssätze auf Kreditverträge - Zinsgleitklauseln bei negativem EURIBOR

11/01/2016

Das anhaltende Niedrigzinsumfeld hatte in den letzten Jahren eine kontinuierliche Senkung der marktüblichen Referenzzinssätze (etwa EURIBOR, EONIA oder LIBOR) zur Folge. Was lange Zeit undenkbar erschien, ist nunmehr Zinsrealität: Referenz-/Leitzinssätze fallen unter null. Was bedeutete das für die bankenrechtliche Praxis?

In der bankrechtlichen Praxis führte dies zur Frage, wie mit Zinsgleitklauseln in Finanzierungsverträgen umzugehen ist, in welchen ein variabler Zins vereinbart ist, der auf einen der genannten Referenzzinssätze abstellt. Führen die negativen Referenzzinssätze dazu, dass die zu zahlenden Zinsen niedriger sind als der vereinbarte Zinsaufschlag?

Kommt es dann zu einer Zahlungspflicht der Bank an ihren Kunden? Die hier aufgeworfene Frage stellt sich insbesondere dann, wenn der Kreditvertrag nicht ausdrücklich regelt, was bei einem negativen Referenzzinssatz gelten soll.

Ausgangslage/Problemstellung

Kreditvertragsparteien vereinbaren in Kreditverträgen entweder einen Fixzinssatz oder einen variablen Zinssatz als Entgelt für die Kreditausreichung. Während der Fixzinssatz eine feste Zinsgröße angibt (z. B. 6 % p.a.), setzt sich der variable Zinssatz aus einem Referenzzinssatz (z. B. EURIBOR 1 [Euro Interbank Offered Rate] oder LIBOR [London Interbank Offered Rate]) und einem Aufschlag (= Marge) zusammen. Ändert sich der Referenzzinssatz, so ändert sich auch der für die Zinsperiode fällige Vertragszinssatz entsprechend.

Die möglichen Rechtsfolgen eines negativen Referenzzinssatzes sollen anhand des folgenden hypothetischen Beispiels illustriert werden: Ein Kreditnehmer und ein Kreditgeber schließen einen befristeten Kreditvertrag. Es wird ein variabler Zins vereinbart, der sich aus dem 3-Monats-EURIBOR als Referenzzinssatz zuzüglich eines fixen Aufschlags (der Marge) in Höhe von 1 % (Referenzzinssatz und Aufschlag bilden gemeinsam den Sollzinssatz) zusammensetzt. Die Zinsperiode beträgt jeweils drei Monate. Beträgt der 3-Monats-EURIBOR für eine Zinsperiode etwa 0,5 %, so beläuft sich der Gesamtsollzinssatz auf 1,5 %. Je nach Höhe des aktuellen 3-Monats-EURIBOR kann der Sollzinssatz daher schwanken.

Wie ist vorzugehen, wenn der 3-Monats-EURIBOR nun mit einem Negativwert, etwa -0,5 %, quotiert? Sinkt dann der Gesamtsollzinssatz auf 0,5 %? Mit dieser Frage setzt sich die Lehre sowohl in Österreich als auch in anderen Ländern in einem intensiven Diskurs auseinander, und auch die ersten gerichtlichen Entscheidungen sind dazu bereits ergangen. Ein Teil der Lehre argumentiert, dass auch bei einem negativen Referenzzinssatz der Bank jedenfalls die fixe Marge ungeschmälert zustehen soll, mit dem bankenfreundlichen Ergebnis, dass im Beispielsfall der Referenzzinssatz daher nicht -0,5 % beträgt, sondern (fiktiv) mit 0 % anzusetzen ist (also insofern ein „Floor“, eine Untergrenze von null eingezogen wird) und somit der Sollzinssatz im gegebenen Fall 1 % (d. h. die Höhe der Marge) betragen soll.

Nach der kreditnehmerfreundlicheren Meinung würde der negative Referenzzinssatz (hier: -0,5 %) auch auf die Marge durchschlagen und damit den Gesamtsollzinssatz reduzieren – im Beispielsfall auf 0,5 %.

Noch problematischer stellt sich der Fall dar, wenn der Referenzzinssatz noch weiter sinkt, etwa im Beispielsfall auf -1,5 %. Folgt man einem Teil der Lehre, so müsste dies auf die Marge und den Gesamtsollzinssatz durchschlagen, sodass der Gesamtsollzinssatz insgesamt negativ wird und im Beispielsfall auf -0,5 % sinken würde. Ist es daher rechtlich möglich, dass in einem solchen Fall der gesamte Sollzinssatz negativ wird und deshalb der Fall eintritt, dass der Kreditgeber dem Kreditnehmer dieses negative Ergebnis gutzuschreiben hätte, d. h. quasi der Kreditgeber dem Kreditnehmer einen negativen Zins zu zahlen hat?

Reaktionen der Banken

Um sich vor diesen negativen Auswirkungen zu schützen, haben österreichische Banken in den letzten Monaten Schreiben an ihre Kreditnehmer übermittelt, in welchen den Kreditnehmern von variablen Zinskrediten mitgeteilt wurde, dass für Kredite eine Untergrenze des Referenzzinssatzes bzw. eine Untergrenze des Gesamtsollzinssatzes von null gelten solle. Dies mit der Argumentation, dass bei Vertragsabschluss die Kreditvertragsparteien nicht mit einem negativen Referenzzinssatz gerechnet haben und daher eine planwidrige Vertragslücke vorliege, die durch Einfrieren des Zinssatzes geschlossen werden müsse.

Reaktion des Vereins für Konsumenteninformation

Gegen dieses Vorgehen hat der Verein für Konsumenteninformation Unterlassungsklagen gegen Banken eingebracht, wobei nunmehr bereits zwei erstinstanzliche Urteile (des Landesgerichts Feldkirch und des Handelsgerichts Wien) vorliegen, die dem Unterlassungsbegehren des Vereins für Konsumenteninformation stattgegeben haben.

Urteile des Landesgerichts Feldkirch und des Handelsgerichts Wien

Die beiden dazu ergangenen erstinstanzlichen Entscheidungen (LG Feldkirch zu 5 Cg 18/15z; HG Wien zu 57 Cg 10/15g) kamen zum selben Ergebnis, nämlich dass die Bank dem Kreditnehmer (der jeweils ein Konsument war) die Vorteile aus dem negativen Referenzzinssatz jedenfalls zukommen lassen muss und dass kein „Floor“ bei null eingezogen werden darf, weder für den Referenzzinssatz noch für den Gesamtzins.
Den beiden Entscheidungen lagen ähnliche Sachverhalte zugrunde (Verbraucherkredite, LIBOR als Referenzzinssatz, Fremdwährungskredite) und in beiden Entscheidungen wurden folgende Argumente für ein Durchschlagen des negativen Referenzzinssatzes ins Treffen geführt:

  • der Wortlaut der Kreditverträge sah kein Einfrieren der Verzinsung (auf die Marge bzw. auf den Sollzinssatz von 0 %) vor;
  • in den Kreditverträgen fehlte die Anpassungssymmetrie (d. h. es wurde auch keine Obergrenze des Gesamtsollzinssatzes im Falle von hohen Referenzzinssätzen vorgesehen),
  • es wurde einvernehmlich von den Parteien der Referenzzinssatz als (alleinige) Basis des Zinssatzes/Richtwertes der Refinanzierungskosten vereinbart, unabhängig von den konkreten Refinanzierungskosten der Bank; d. h. das Risiko einer negativen Entwicklung dieses Referenzzinssatzes hatte die Bank zu tragen;
  • der Kreditgeber könnte u. U. auch monetäre Vorteile aus den negativen Referenzzinssätzen erlangen (durch günstigere Refinanzierungsmöglichkeiten); im Falle eines „Einfrierens“ des Zinssatzes müsste er diese nicht an den Kreditnehmer weitergeben;
  • das aleatorische Element ist bei variablen Zinsen immer gegeben und bei Fremdwährungskrediten noch verstärkt durch das Fremdwährungsrisiko;
  • ein vorübergehend negativer Zins steht der Entgeltlichkeit des Kreditvertrages als solches nicht entgegen, solange der Kredit insgesamt entgeltlich ist (d. h. der Kreditnehmer mehr zurückzahlt, als er bekommt, wobei auch andere Entgeltbestandteile/Provisionen wie etwa Bearbeitungsgebühren in den Entgeltlichkeitsbegriff miteinfließen sollen).

Kritische Beurteilung der ergangenen Urteile

Beide Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig und beiden Entscheidungen lagen Verbraucherkredite zugrunde.

Es überrascht, dass in beiden Urteilen zwar die Feststellung getroffen wurde, dass die Bank (und wohl auch der Kreditnehmer) bei Vertragsabschluss nicht damit gerechnet hat, dass der Referenzzinssatz jemals negativ sein könnte, die Möglichkeit einer entsprechenden ergänzenden Vertragsauslegung aber trotzdem verneint wurde.

Ebenso wirft die Argumentation, dass eine kurzzeitige negative Verzinsung dem Entgeltcharakter nicht widerspricht, solange der Kreditvertrag nur insgesamt in einer Gesamtbetrachtung entgeltlich bleibt, einige Fragen auf: Kann es einen Negativzins ohne entsprechenden darauf gerichteten Parteiwillen überhaupt geben? Was stellt ein Negativzins dogmatisch überhaupt dar (ein Entgelt für die Überlassung von Kapital ist ein Negativzins ja gerade nicht)? Wie soll man die Entgeltlichkeit in einer Gesamtbetrachtung tatsächlich beurteilen (aus einer reinen ex-ante-Perspektive oder über den Gesamtzeitraum des Kredits)? Und was passiert, wenn sich die Beurteilung der Entgeltlichkeit nachträglich als unrichtig erweist (etwa weil die Zinslandschaft nachhaltig negativ bleibt oder der Kreditnehmer den Kredit vorzeitig zurückzahlt) – soll der Kreditnehmer dann die erhaltene Gutschrift wieder zurückzahlen und, wenn ja, auf welcher rechtlichen Basis? Die endgültige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu diesem Thema wird von den Banken, Kreditnehmern und Rechtsberatern mit Spannung erwartet.

Auswirkungen auf die Praxis

Bei der Verhandlung von Neuverträgen empfehlen wir den Parteien, die Folgen von negativen Referenzzinssätzen auf die Zinsberechnung ausdrücklich im Vertragstext festzuhalten – je nach Verhandlungsmacht durch „Einfrieren“ des Referenzzinssatzes auf 0 % (zugunsten der Banken) oder durch Durchschlagen auf die Marge (zugunsten des Kreditnehmers). Bei Kreditverträgen mit Verbrauchern ist dabei zu beachten, dass Klauseln, die ein Einfrieren des Referenzzinssatzes vorsehen, gegen das Gebot der Anpassungssymmetrie verstoßen können, wenn nicht gleichzeitig auch ein Einfrieren des Sollzinssatzes nach oben hin vereinbart wird.


1) EURIBOR ist ein Interbankensatz: Der Wert stellt den Durchschnitt aus den von großen europäischen Panel-Banken gemeldeten Angebotssätzen für kurzfristige Kredite an andere Banken mit hervorragender Bonität dar. Dabei gelten verschiedene Laufzeiten: von einer Woche bis 12 Monate.

Autoren

Foto vonGünther Hanslik
Günther Hanslik
Managing Partner
Wien