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Die von einem Betreiber eines Alten- oder Pflegeheimes organisierte Abholung von Arzneimitteln ist zulässig

09/04/2013

In seiner Entscheidung vom 18.10.2012, 4 Ob 158/12g „Abholsystem“, hatte sich der OGH mit der Frage zu befassen, ob Alten- oder Pflegeheime die Besorgung regelmäßig benötigter Arzneimittel aus einer bestimmten Apotheke organisieren dürfen. 
 
Die Apotheke kooperierte dahingehend, dass sie die Arzneimittel bereits fertig verpackt vorbereitet hatte und sich darauf bereits die Sticker mit Dosierung und die Tageszeiten der Einnahme befanden. Der klagenden Apothekenkammer erschien dies als Verstoß gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG (sonstige unlautere Geschäftspraktik) sowie gegen die §§ 10a und 11 Abs 2 Apothekenbetriebsordnung 2005.

Der OGH verneinte hingegen den Verstoß und begründete dies mit einer vertretbaren Rechtsansicht des beklagten Alten- oder Pflegeheimes: Die Ansicht, die vom Betreiber eines Alten- oder Pflegeheimes organisierte Abholung von Arzneimitteln in einer nicht im räumlichen Nahebereich liegenden Apotheke sei apothekenrechtlich zulässig, wenn der Apotheker seine Beratungspflichten erfülle und dringend benötigte Arzneimittel kurzfristig in seiner Offizin zur Verfügung stelle, sei vertretbar und richtig.

Apotheken seien lediglich berechtigt, Arzneimittel in dringenden Fällen innerhalb eines Umkreises von vier Straßenkilometern zuzustellen. Arzneimittel, die nicht unter einen „dringenden Bedarf“ fallen, müssen sich somit Patienten selbst aus der Apotheke holen. Können sie dies nicht, weil sie etwa wie Heimbewohner immobil sind, müssen sie die Abholung selbst organisieren.

Für die Zulässigkeit dieser Auslegung spricht insbesondere § 11 Abs 2 ABO 2005: „Die Apotheke, in der aufgrund von Verschreibungen für immobile Bewohner eines Alten- oder Pflegeheimes oder einer sonstigen Betreuungseinrichtung Arzneimittel, auch neu verblistert, abgegeben werden, hat sicherzustellen, dass dringend benötigte Arzneimittel auf Anforderung während der Betriebs- und Bereitschaftszeit der Apotheke kurzfristig gestellt werden können.“

Auch ein Verstoß gegen die Beratungspflicht liege nicht vor, wenn die Apotheke iSv § 10 Abs 1 ABO 2005 sicherstelle, dass notwendigenfalls eine entsprechende Beratung gegeben sei. Die pharmazeutische Information und Beratung ist durch einen Apotheker der versorgenden Apotheke in den Räumen des Alten- oder Pflegeheimes mindestens einmal in der Woche anzubieten.

Unter den gegebenen Voraussetzungen, dh dass kein dringender und plötzlicher Arzneimittelbedarf bestehe, bleibe auch das volle Wahlrecht des Patienten, bei welcher Apotheke er die Arzneimittel bestelle, gewahrt. § 11 Abs 2 ABO 2005 sei nach Ansicht des OGH für – nicht dringende – Fälle somit nicht mit der lauterkeitsrechtlich erforderlichen Sicherheit zu entnehmen, dass die Zustellung der Arzneimittel durch die Apotheke selbst zu erfolgen habe.

Inhaltlich ist diese Entscheidung zu begrüßen, weil der OGH damit den sehr restriktiven Arzneimittelvertrieb – inländisches Versandhandelsverbot auch für rezeptfreie Arzneimittel noch bis Ende 2013 – bezogen auf einige Fallgruppen, hier den Medikamentenbedarf in Alters- und Pflegeheimen, gelockert hat. Solche Verfahren ließen sich allerdings vermeiden, wenn der Gesetzgeber gerade im Bereich des Arzneimittelvertriebes gewisse Lockerungen vorsehen würde, die sich auch und gerade aus einer demografischen Veränderung und geänderten Lebensumständen, wie etwa dem Wohnen älterer Menschen in Alters- und Pflegeheimen, Rechnung ergeben. Hier wäre der Gesetzgeber nach meiner Ansicht auch gefordert eine Änderung der Rangordnung der zu befriedigenden Interessen vorzunehmen: An die erste Stelle sollte der gerade für ältere Personen der erleichterte oder wenige beschwerliche Zugang zu Arzneimitteln und damit die Versorgungssicherheit gereiht werden. Erst in zweiter Linie ist hier die Pflicht des Apothekers zur Aufklärung und Information von Belang: Schließlich werden viele ältere Personen ohnedies auch laufend ärztlich betreut, sodass der Bereich der Anwendungssicherheit von Arzneimitteln dem ärztlichen Behandlungsbereich zuzuordnen ist.

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Egon Engin-Deniz
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Wien