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EU-Beihilfenrecht: Europäische Kommission hält luxemburgische Steuervergünstigungen für Amazon für unzulässig: Rückforderung von rund EUR 250 Mio droht

23/10/2017

Steuervergünstigungen für multinationale Konzerne wie Fiat, Apple und Starbucks wurden von der Europäischen Kommission („Kommission“) in der jüngeren Vergangenheit bereits für unzulässig erklärt. Mit Entscheidung vom 4.10.2017 hat die Kommission nun auch festgestellt, dass die in Luxemburg gewährte steuerliche Vergünstigung für Amazon rechtswidrig sei, es sich daher um eine unzulässige Beihilfe handle und eine Rückforderung von rund EUR 250 Mio seitens Luxemburg auszusprechen sei.

Sachverhalt:

Amazon verfügt über zwei Gesellschaften in Europa. Eine Betriebsgesellschaft, die das gesamte europäische Einzelhandelsgeschäft verantwortet, und eine Holdinggesellschaft, die laut EU-Kommission weder über Mitarbeiter, noch Geschäftsräumlichkeiten verfügt und auch operativ in keiner Weise tätig ist. Sie hält lediglich aufgrund einer Kostenteilungsvereinbarung bestimmte IP-Rechte von Amazon USA in Europa, deren Nutzung sie durch eine exklusive Lizenz an die Betriebsgesellschaft weitergibt. Während die Betriebsgesellschaft der Körperschaftssteuer in Luxemburg unterliegt, trifft dies auf die Holding durch ihre Rechtsform als Kommanditgesellschaft nicht zu. Letztere führt die Lizenzzahlungen wiederum an Amazon USA ab und leistet so einen Beitrag zur Finanzierung von Forschung und Entwicklung des geistigen Eigentums.

Vorwurf:

Die künstlich erhöhten Lizenzgebühren in Höhe von rund 90% der Gewinne der Betriebsgesellschaft führten dazu, dass Amazon für rund drei Viertel des aus dem EU-weiten Umsatz generierten Gewinns keine Steuern bezahlt hat.

Kernproblem:

Die oben beschriebene Praxis entspricht laut Kommission nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz. Dieser besagt, dass Transaktionen innerhalb eines Konzerns im Einklang mit der wirtschaftlichen Realität zu erfolgen haben. Dass die Methode zur Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage durch so genannte Steuervorbescheide der nationalen Steuerbehörden genehmigt wurde, spielt für die beihilfenrechtliche Würdigung durch die Kommission keine Rolle. Diese geht nämlich davon aus, dass solche Steuervergünstigungen einen selektiven Vorteil zugunsten multinationaler Konzerne darstellen, der anderen Unternehmen nicht gewährt wird. Durch diesen Vorteil wird nach Auffassung der Kommission eine unzulässige Beihilfe gewährt. Luxemburg wird durch die Entscheidung verpflichtet, rund EUR 250 Mio von Amazon zurückzufordern. Laut der Kommission ist dies die Differenz zwischen den tatsächlich geleisteten Steuern und den eigentlich geschuldeten Steuern, also jenem Betrag, der ohne den die hohe Lizenzzahlung tolerierenden Steuervorbescheid, fällig geworden wäre.

Ausblick und Beurteilung:

Es ist zu erwarten, dass – wie in den vorerwähnten ähnlich gelagerten Fällen – ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung erhoben wird. Wie diese Rechtsmittel ausfallen, wird sich im Lauf der nächsten Jahre zeigen. Es scheint jedoch wahrscheinlich zu sein, dass die Kommission ihren Kurs fortsetzen wird. Derzeit laufen jedenfalls bereits weitere Prüfungen in Luxemburg hinsichtlich McDonald’s und GDF Suez (Engie). Darüber hinaus ist auch davon auszugehen, dass die Kommission nicht nur Vergünstigungen einzelner multinationaler Konzerne, sondern auch ganz grundsätzlich Steuerregelungen einzelner Staaten (siehe Belgien) hinterfragen wird.

Ob die Vorgehensweise der Kommission langfristig Erfolg hat, wird sich weisen. Die bereits aufgeworfene Kritik, das europäische Beihilfenrecht sei ein „all-purpose tool to camouflage policy-making“ wird wohl noch länger diskutiert werden (siehe dazu Koenig, Where is State Aid Law heading to?, EStAl 2014, Seite 611). In diesem Zusammenhang ist nämlich zu bedenken, dass die Kommission nicht über die Kompetenz verfügt, unmittelbar in die Steuerrechtsgesetze der Mitgliedstaaten einzugreifen. Deshalb versucht sie, die verpönten „Steuer-Deals“ über die Hintertür durch das Beihilfenrecht zu verhindern. Daraus entsteht eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit. Insbesondere wird der EU-Kommission vorgeworfen, den Begriff der staatlichen Beihilfe durch eine Vermischung der Kriterien Selektivität und wirtschaftlicher Vorteil neu zu interpretieren (Liza Lovdahl Gormsen, Has the Commission Taken Too Big a Bite of the Apple?, European Papers, Vol.1 2016, Seite 1139). Falls diese Kritik zutrifft, würde sie den Vertrauensschutz der betroffenen Unternehmen auf die bestehende Rechtslage nicht ausreichend wahren. Daher ist es wichtig, dass bald eine gerichtliche Klärung erfolgt, die dann in Leitlinien verarbeitet werden kann. Sollte der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangen, dass die Entscheidung der Kommission durch das bestehende (Beihilfen-) Recht nicht gedeckt ist, müsste der Gesetzgeber tätig werden, so er den „Steuer-Deals“ die Grundlage entziehen möchte. In jedem Fall ist eine rasche Klärung wünschenswert, damit der aufkommenden Rechtsunsicherheit in dem heiklen Bereich des Steuerrechts der Nährboden entzogen wird. 

Autoren

Foto vonMarlene Wimmer-Nistelberger
Marlene Wimmer-Nistelberger
Partnerin
Wien