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Neue EU-Bestimmungen zu Gerichtszuständigkeiten und Vollstreckbarkeiten ab 2015

Zwangsvollstreckung ohne Vollstreckbarkeitserklärung und die Eindämmung missbräuchlicher Klagebehinderungen in Form von „Torpedoklagen“ sind die wichtigsten neuen Bestimmungen der EuGVVO, die 2015 in Kraft treten sollen. 

Die Brüssel-I-Verordnung („EuGVVO“) regelt die gerichtliche Zuständigkeit innerhalb der EU-Mitgliedstaaten und die Vollstreckung von Urteilen und Beschlüssen aus einem EU-Mitgliedstaat in einem anderen. Ende 2012 wurde die Neufassung der Brüssel-IVerordnung mit Wirkung ab 10.1.2015 beschlossen (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12.12.2012). 

1. Entfall des Vollstreckbarkeitserklärungsverfahrens (Exequatur) 

Bisher war es notwendig, dass ein in einem EU-Staat erlassenes Urteil vollstreckbar erklärt werden musste, um dieses beispielsweise in Österreich gegen den Schuldner durchsetzen zu können (§ 38 der Brüssel-I-Verordnung). Dieses Verfahren ist mühsam und zeitraubend. 

In der Novelle der Brüssel-I-Verordnung wird erwogen, dass das wechselseitige Vertrauen in die Rechtspflege der anderen EU-Mitgliedstaaten es erlaube, eine automatische Anerkennung von Entscheidungen anderer EU-Mitgliedstaaten vorzusehen, ohne dass es hierfür eines besonderen Vollstreckbarkeitserklärungsverfahrens bedarf. Ein weiterer Rechtfertigungsgrund für diese Erleichterung ist eine Reduzierung des Zeit- und Kostenaufwands. Dies führt zum Ergebnis, dass die Entscheidung eines anderen EU-Mitgliedstaats so behandelt werden soll, als wäre sie beispielsweise in Österreich ergangen. Das bedeutet, dass eine Entscheidung aus einem anderen EU-Mitgliedstaat somit ab 2015 unmittelbar in Österreich vollstreckt werden kann. Für die Vollstreckung im Inland ist es lediglich erforderlich, dass der Kläger dem (österreichischen) Gericht eine Bescheinigung des ausländischen Gerichts vorlegt, wonach die ausländische Entscheidung im anderen EU-Staat vollstreckbar ist. Dabei ist zu beachten, dass diese Bestätigung Angaben zu den erstattungsfähigen Kosten und der Zinsberechnung enthalten muss (Art 39, 42 der novellierten Brüssel-I-Verordnung). Diese Novelle wird große praktische Auswirkungen auf die Beschleunigung und die innereuropäische Rechtsdurchsetzung haben. 

2. Verhinderung missbräuchlicher Klagebehinderungen durch verzögernde Maßnahmen 

Art 27 EuGVVO in der derzeitigen Fassung sieht vor, dass in Fällen, in denen bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs eingebracht wurden, das zuletzt angerufene Gericht das Verfahren solange auszusetzen hat, bis die Zuständigkeit des zuvor angerufenen Gerichts festgestellt ist. Dies ermöglicht es den Beklagten, negative Feststellungsklagen in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegen eine Zahlungsklage einzubringen. Derartige negative Feststellungsklagen verhindern („torpedieren“) die Behandlung der Zahlungsklage bis zum Feststehen der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts. Aus diesem Grunde werden derartige Klagen auch „Torpedoklagen“ genannt.

“Torpedoklagen“ nützen den Umstand aus, dass in manchen Mitgliedstaaten sehr lange Verfahrensdauern bestehen. Oft werden derartige Klagen geradezu rechtsmissbräuchlich angewendet, weil in den Jurisdiktionen, in denen derartige Klagen eingebracht werden, bekannterweise mit langer Verfahrensdauer zu rechnen ist und darüber hinaus der Anknüpfungspunkt für eine solche Klage äußerst zweifelhaft erscheint. In der Zeit, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts im anderen EU-Mitgliedstaat feststeht, kann der Schuldner beispielsweise Vermögen beiseiteschaffen oder den Zeitgewinn anderweitig nutzen. 

Dieses Problem wurde seitens der EU aufgegriffen und es wurde auch in den Erwägungsgründen zur novellierten Brüssel-IVerordnung festgehalten, dass missbräuchliche Prozesstaktiken vermieden werden müssen. Die Neufassung der Brüssel-IVerordnung sieht vor, dass zwar grundsätzlich das später angerufene Gericht weiterhin das Verfahren von Amts wegen auszusetzen hat. Bei Bestehen einer Gerichtsstandsvereinbarung hat jedoch das zuerst angerufene Gericht sein Verfahren solange auszusetzen, bis das auf Grundlage der Gerichtsstandsvereinbarung angerufene Gericht erklärt, dass es unzuständig sei. Damit ist wenigstens für den Fall, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung abgeschlossen ist, die Torpedoklage wirkungslos geworden. Es wäre vorteilhaft gewesen, wenn die EU-Gesetzgebung hier etwas weiter gegangen wäre.

Der Autor: Dr. Johannes Juranek

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Johannes Juranek
Managing Partner
Wien