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Stolperstein unechte Option

Teil II

Das Bundesgericht hat im Streitfall «Manor / Swisslife» geklärt, was bei einer Offerte zur Fortführung eines Mietverhältnisses unter dem Begriff «marktüblicher Mietzins» zu verstehen ist.
Seraina Kihm, Februar 2020

Sachverhalt

Seit bald neun Jahren streiten sich die Vermieterin Swiss Life AG und die Mieterin Manor AG vor verschiedenen Gerichten um die Verlängerung des seit Dezember 1983 bestehenden Mietvertrages über ein Warenhaus an der Zürcher Bahnhofstrasse für die Dauer von fünf Jahren für die Zeit ab dem 1. Februar 2014 (Mietvertrag) und damit zusammenhängend um den geschuldeten Mietzins. Im Zentrum steht dabei die Auslegung von Ziffer 5 des Nachtrages vom 5. November 2001 zum Mietvertrag, welche wie folgt lautet: «Die Vermieterin verpflichtet sich, der Mieterin eine Offerte zur Fortführung des Vertragsverhältnisses nach 1. Februar 2014 für eine weitere Dauer von mindestens 5 Jahren zu dannzumal marktüblichen Vertragskonditionen zu unterbreiten. Die Offerte hat dabei bis spätestens 31. Januar 2011 zu erfolgen.» Auslöser der Streitigkeiten war die von der Vermieterin am 7. Oktober 2010 ausgestellte Mietofferte für die Liegenschaft zu einem Mietzins von rund 19 Mio. CHF pro Jahr, welche von der Mieterin aber abgelehnt wurde, da sich dieser Mietzins nicht auf eine Warenhausnutzung beziehe.

Am 14. November 2019 hat sich das Bundesgericht nun mit der Auslegung der erwähnten Ziffer 5 befasst, nachdem zuvor diverse Entscheide ergangen sind, die weitere Fragen wie sachliche und örtliche Zuständigkeit der Gerichte, Erstreckung des Mietverhältnisses, Kündigung wegen Zahlungsverzug oder Entschädigungen und Kostenfolgen behandelten. Obwohl gemäss Medienmitteilung der Mieterin vom 21. September 2019 feststand, dass sie per 31. Januar 2020 die gemieteten Räumlichkeiten an der Zürcher Bahnhofstrasse verlassen wird, bestand nach Ansicht des Bundesgerichts das Rechtsschutzinteresse der Mieterin an der Klärung dieser Streitigkeit.

Marktübliche Konditionen

Nebst prozessualen Fragen hatte sich das Bundesgericht insbesondere damit zu befassen, ob die Vermieterin verpflichtet gewesen wäre, der Mieterin eine Offerte zu marktüblichen Konditionen für eine Warenhausnutzung zu unterbreiten. Es ging also primär um die Frage, auf welchen Markt sich das Wort «marktüblich» bezieht, nämlich auf den «Warenhaus- Markt» oder den «Markt für Liegenschaften jeglicher Art». Hierzu legte das Bundesgericht den Vertrag zunächst subjektiv aus und kam zum Schluss, dass sich der übereinstimmende wirkliche Wille der Parteien nicht mehr feststellen lässt. Folglich seien die Erklärungen der Parteien nach dem Vertrauensprinzip so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten.

Verwendungszweck ist massgeblich

Das Bundesgericht gab der Vermieterin zwar insofern Recht, dass der Wortlaut der Ziffer 5 des Nachtrages keine Präzisierung im Sinne einer Warenhausnutzung enthält oder explizit nennt, welcher Markt gemeint sei («Warenhaus-Markt» oder Markt für Liegenschaften jeglicher Art). Das Bundesgericht stellte jedoch klar, dass die Formulierung «zu dannzumal marktüblichen Vertragskonditionen» offensichtlich auslegungsbedürftig ist und deshalb der Wortlaut nicht isoliert betrachtet werden darf. Vielmehr sei bei der Auslegung der gesamte Mietvertrag und insbesondere der Verwendungszweck mit zu berücksichtigen. Der vertragliche Nutzungszweck bestand vorliegend seit Vertragsbeginn in der Führung eines Warenhauses mit traditioneller Bedienung und wurde auch mit dem Nachtrag nicht geändert. Die Bezeichnung «Fortführung des Mietverhältnisses » impliziere daher, dass der Zweck des Vertragsverhältnisses – der Betrieb eines Warenhauses – weiterhin massgeblich sei. Somit hätte nach Ansicht der Vorinstanz die Vermieterin der Mieterin eine Offerte mit Konditionen ausstellen müssen, welche marktüblich sind, um das Mietobjekt mit der bestehenden Nutzung als Warenhaus weiterführen zu können. Diese Auslegung der Vorinstanz wurde vom Bundesgericht geschützt.

Zusammenfassung und Schlussfolgerung für die Praxis

Der vorliegende Bundesgerichtsentscheid macht einmal mehr deutlich, wie wichtig die präzise vertragliche Ausgestaltung eines Mietvertrages ist. Die Parteien hatten vorliegend eine sogenannte unechte Option vereinbart und damit der Mieterin ein Recht auf Verlängerung des Mietvertrages eingeräumt, unter dem Vorbehalt, dass der Mietzins ab dem Zeitpunkt der Verlängerung noch zu verhandeln sei. Eine solche vertragliche Bestimmung, dass bei Ausübung eines vertraglichen Verlängerungsrechts durch den Mieter der Mietzins den dannzumaligen Marktverhältnissen angepasst werden kann, ist weit verbreitet. Oft geht dabei vergessen, zu definieren, was genau unter marktüblich zu verstehen ist. Dies führt, wie auch der vorliegende Entscheid aufzeigt, immer wieder zu Diskussionen zwischen Vermieter und Mieter. Gestützt auf den vorliegenden Bundesgerichtsentscheid würde aufgrund einer fehlenden und/oder unklaren Vereinbarung des dannzumal geltenden marktüblichen Mietzinses der Markt in Zukunft anhand des bisherigen Verwendungszwecks bestimmt. Ob vor diesem Hintergrund eine Mietzinsanpassung für die verlängerte Mietvertragsdauer realistisch sein wird, wird abhängig sein vom jeweiligen Einzelfall. Den Parteien, welche im Begriff sind, Mietverträge mit Verlängerungsbestimmungen abzuschliessen, ist zu empfehlen, klar und bestimmt zu regeln, wie der zukünftige Mietzins berechnet werden soll. Zur Vermeidung von unerwünschten Folgen aufgrund unklarer Vertragsbestimmungen und insbesondere vor dem Hintergrund des vorliegenden Bundesgerichtsentscheides dürfte sich wohl die sogenannte echte Option durchsetzen. Dabei wird dem Berechtigten, in der Regel dem Mieter, die Möglichkeit eingeräumt, durch einseitige Willenserklärung das Mietverhältnis zu den bisherigen Bedingungen zu verlängern. Eine Alternative hierzu könnte gegebenenfalls die Vereinbarung eines unabhängigen Schiedsgutachters sein, welcher für die Parteien den Mietzins verbindlich festlegt.

Veröffentlichung
Stolperstein unechte Option - Teil 2 | IMMOBILIA 02/2020
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Autoren

Seraina Kihm