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Auswirkungen des Brexit auf die Vollstreckung von ausländischen Urteilen

AJP/PJA 9/2018

Auswirkungen des Brexit auf die Vollstreckung von ausländischen Urteilen

Das Vereinigte Königreich wird voraussichtlich am 29. März 2019 aus der EU austreten. Dies wird bedeutende Auswirkungen auf die Vollstreckung von Urteilen im schweizerisch-britischen Verhältnis haben. Infolge des Ausscheidens aus der EU wird das Vereinigte Königreich nicht mehr ans LugÜ gebunden sein. Da weder das aLugÜ aufleben wird noch ein relevanter Staatsvertrag zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich besteht, wird sich die Vollstreckung von Urteilen voraussichtlich nach den nationalen Rechtsordnungen richten. Dies bedeutet, insbesondere für die Urteilsvollstreckung in England, eine Stärkung der Verteidigungsmöglichkeiten der Urteilsschuldner. Das Vereinigte Königreich ist bemüht, den Anschluss an den europäischen Justizraum nach dem Brexit wiederherzustellen. Die aktuell hierzu diskutierten Ansätze werden jedoch einen zumindest temporären Rückfall auf die nationalen Rechtsordnungen nicht verhindern können. 

I. Einleitung

Am 26. Juni 2016 entschied sich das britische Volk für den Brexit, den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Das Vereinigte Königreich hat die EU in der Folge am 29. März 2017 förmlich über ihren Austritt notifiziert. Die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs wird somit voraussichtlich am 29. März 2019 um 23 Uhr GMT (0 Uhr MEZ) enden. Die Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich laufen nun bereits seit rund anderthalb Jahren. In jüngster Vergangenheit verdichten sich jedoch die Anzeichen, dass diese  erhandlungen unter Umständen zu keiner Vereinbarung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vor dem Austrittsdatum führen werden («No Deal Brexit»). Die Austrittsverhandlungen sind nun definitiv in der heissen Phase angelangt. Der Brexit ist für die Schweiz nicht zuletzt im Bereich der Justizzusammenarbeit von besonderer Bedeutung. Es stellt sich die Frage, ob bzw. inwiefern das Vereinigte Königreich trotz Austritt aus der EU an das LugÜ gebunden bleibt. Der vorliegende Beitrag setzt sich mit dieser Thematik auseinander, indem er untersucht, wie sich die Vollstreckung von Urteilen in Handels- und Zivilsachen im schweizerisch-britischen Verhältnis nach dem Brexit gestalten wird. In einem ersten Schritt wird aufgezeigt, dass das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU das (vorläufige) Ende für das LugÜ im schweizerischbritischen Verhältnis bedeuten wird (II.). Das LugÜ wird durch die nationalen Regeln des internationalen Privatrechts ersetzt, wobei sich diverse intertemporalrechtliche Fragen auftun werden (III.). Für die Zukunft bestehen verschiedene Ansätze, das Vereinigte Königreich wieder an den europäischen Justizraum anzugliedern (IV.). Es scheint aktuell jedoch unwahrscheinlich, dass bis zum voraussichtlichen Austritt des Vereinigten Königreichs konkrete Resultate vorliegen werden.

II. Der Brexit führt zum Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus dem LugÜ

Beim LugÜ handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag. Entsprechend bindet das LugÜ nur die Vertragsparteien. Als solche werden für das LugÜ aufgeführt: die Schweiz, Island, Dänemark (ohne die Färöer-Inseln und Grönland), Norwegen und die EU. Am 29. März 2019 endet die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs, womit es auch nicht mehr als ein durch das LugÜ gebundener Staat i.S.v. Art. 1 Ziff. 3 LugÜ zu qualifizieren ist. Das LugÜ wird seine Geltung für das Vereinigte Königreich somit verlieren. Die Vollstreckung von schweizerischen Urteilen im Vereinigten Königreich – und umgekehrt von britischen Urteilen in der Schweiz – wird sich fortan nicht mehr nach dem LugÜ richten. Fraglich erscheint allerdings, ob das Ausscheiden aus dem LugÜ gleichzeitig mit dem Austritt aus der EU erfolgt. Denn eine Kündigung des LugÜ ist gemäss Art. 74 LugÜ erst auf Ende des Kalenderjahres wirksam. Allerdings nimmt die genannte Bestimmung ausdrücklich Bezug auf die Kündigung durch eine «Vertragspartei». Das Vereinigte Königreich ist jedoch nicht Vertragspartei des LugÜ, sondern die EU. Anstatt einer Änderung der Vertragsparteien vollzieht sich vielmehr eine Änderung des Territoriums bzw. der Zusammensetzung einer Vertragspartei. Mit anderen Worten: Der territoriale Anwendungsbereich des LugÜ ändert sich. Das LugÜ weist insofern einen dynamischen territorialen Geltungsbereich auf. Entsprechend findet Art. 74 LugÜ im Zusammenhang mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU keine Anwendung. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Vereinigte Königreich am 29. März 2019 aus dem LugÜ ausscheiden wird. Der territoriale Geltungsbereich des LugÜ wird sich nicht mehr auf das Vereinigte Königreich erstrecken.

III. Die Folgen des Ausscheidens aus dem LugÜ  A. Kein Wiederaufleben des aLugÜ

Anders als beim LugÜ ratifizierte das Vereinigte Königreich das aLugÜ als selbständige Vertragspartei. Entsprechend stellt sich nun angesichts des Ausscheidens aus dem LugÜ die Frage, ob das aLugÜ in Bezug auf das Vereinigte Königreich wiederauflebt. Ein Wiederaufleben bedingt jedoch, dass das aLugÜ nicht beendet wurde. Hierbei ist vorab interessant, dass die Vertragsparteien des aLugÜ, insbesondere die Schweiz und das Vereinigte Königreich, dieses nie offiziell gekündigt haben. Ein Staatsvertrag kann allerdings auch ohne formellen Kündigungsakt beendet werden. Insbesondere gilt eine Beendigung gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge auch dann als erfolgt, wenn alle Vertragsparteien einen sich auf denselben Gegenstand beziehenden Vertrag abschliessen, aus dem ihre Absicht hervorgeht, diesen Gegenstand ausschliesslich durch den späteren Vertrag zu regeln. Eine solche Absicht geht in Bezug auf das LugÜ eindeutig aus Art. 69 Ziff. 6 LugÜ hervor: «Unbeschadet des Artikels 3 Absatz 3 des Protokolls 2 ersetzt dieses Übereinkommen ab dem Tag seines Inkrafttretens gemäss den Absätzen 4 und 5 das am 16. September 1988 in Lugano geschlossene Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.» Die Tatsache, dass das Vereinigte Königreich nicht selbst Vertragspartei des LugÜ ist, sondern die Anbindung an das LugÜ im Rahmen der EU-Mitgliedschaft erfolgte, steht einer Anwendung von Art. 59 Abs. 1 lit. a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge nicht entgegen. Das Vereinigte Königreich hat durch Art. 216 AEUV der EU die Kompetenz zum bindenden Abschluss des LugÜ erteilt. Entsprechend ist die aus Art. 69 Ziff. 6 LugÜ fliessende Beendigungswirkung für das aLugÜ auch dem Vereinigten Königreich zuzurechnen. Folglich führt der Brexit nicht zu einem Wiederaufleben des aLugÜ. 

B. Übergangsrecht

Unklar ist, ob das LugÜ für die Vollstreckung von Urteilen fortwirkt, die entweder vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ergangen sind oder aus Verfahren stammen, die vor dem Austritt rechtshängig gemacht wurden. Dies ist eine Frage des Übergangsrechts. Das LugÜ sieht Übergangsvorschriften einzig in Bezug auf Verfahren vor, die vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens eingeleitet wurden. Eine analoge Anwendung dieser Vorschriften auf den Brexit lässt der Wortlaut nicht zu. Diese Übergangsvorschriften betreffen einzig Verfahren und Urteile, die vor dem Inkrafttreten des LugÜ eingeleitet bzw. ergangen sind. Das LugÜ schweigt sich somit darüber aus, wie das Ausscheiden eines Vertragspartners übergangsrechtlich geregelt ist. Mangels Bestimmungen im LugÜ ist auf das allgemeine Völkervertragsrecht zurückzugreifen, insbesondere das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge. Dieses hält für die Beendigung eines Vertrags generell fest, dass vor Beendigung des Vertrags begründete Rechte und Pflichten der Vertragsparteien und die dadurch geschaffene Rechtslage weiterbestehen. Es gilt jedoch vorliegend zu beachten, dass es rein formell nicht zur Beendigung eines Vertrages kommt. Dennoch scheint zumindest eine analoge Anwendung von Art. 70 Abs. 1 lit. b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge hier angezeigt, da die materiellen Auswirkungen des Brexit einer Vertragsbeendigung gleichkommen. Demnach bleibt das Vereinigte Königreich an diejenigen Pflichten gebunden, welche im Zeitpunkt des Austritts aus der EU bereits bestehen. Es gilt folglich zu untersuchen, wann die urteilsvollstreckungsbetreffenden Pflichten der LugÜ-Staaten entstehen. Diese Pflichten betreffen die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen. Art. 32 LugÜ hält diesbezüglich fest, dass unter «Entscheidungen» i.S.d. LugÜ eine Entscheidung zu verstehen ist, «die von einem Gericht eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates erlassen worden ist». In die gleiche Richtung zielen auch Art. 33 und 38 LugÜ, welche die Verpflichtungen der LugÜ-Staaten betreffend Anerkennung und Vollstreckung auf die «durch dieses Übereinkommen gebundenen Staat ergangenen Entscheidungen» beziehen. Die Pflichten der Vertragsparteien in Art. 33 und 38 LugÜ setzen somit den Erlass eines Urteils voraus. Dementsprechend entstehen die urteilsvollstreckungsbetreffenden Pflichten der LugÜ-Staaten erst im Zeitpunkt des Erlasses eines Urteils. Dies ist der entscheidende Zeitpunkt für die Fortgeltung des LugÜ im Zusammenhang mit dem Vereinigten Königreich. Für die Vollstreckung von Urteilen, die vor dem 30. März 2019 ergehen, wird das LugÜ im schweizerisch britischen Verhältnis somit trotz des Brexit Anwendung finden. Hingegen wird die Anerkennung und Vollstreckung danach ergangener Urteile den nationalen Rechtsordnungen unterliegen, auch wenn das Verfahren vor dem 30. März 2019 eingeleitet wurde. 

C. Rückfall auf nationales Recht

Wie oben erläutert, werden auf Urteile, die nach dem 29. März 2019 ergehen, weder das LugÜ noch das aLugÜ Anwendung finden. Mangels eines relevanten Staatsvertrages zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich wird sich die Anerkennung und Vollstreckung von britischen Urteilen in der Schweiz fortan nach dem IPRG richten. Es gelten die üblichen Voraussetzungen von Art. 25 ff. IPRG. Für die Vollstreckung von Schweizer Urteilen in England und Wales werden grundsätzlich die Regeln des englischen Common Law gelten. Es bestehen zwar vereinzelte kodifizierte Regelungen für die Vollstreckung von Urteilen. Allerdings finden sie weitestgehend keine Anwendung auf Urteile von Schweizer Gerichten. Es gilt jedoch anzumerken, dass sich das Recht von England und Wales aufgrund des Brexit im Wandel befindet. Das englische Parlament zieht zurzeit in Betracht, EU-Verordnungen ins nationale Recht zu übernehmen. Es erscheint jedoch unklar, ob eine solche Übernahme ins nationale Recht auch die EuGVO – mit den entsprechenden Bestimmungen zur Vollstreckung von ausländischen Urteilen – umfassen würde. Im Übrigen dürfte auch eine Übernahme der EuGVO ins nationale Recht nichts an der Rechtslage bezüglich der Vollstreckung von schweizerischen Urteilen ändern. Denn die ins nationale Recht übernommenen EU-Verordnungen sollen keine Änderung ihrer Wirkungsweise erfahren. Entsprechend würde die Übernahme der EuGVO ins nationale Recht lediglich die Vollstreckung von Urteilen betreffen, die von Gerichten in EU-Staaten erlassen worden sind. Demnach blieben für schweizerische Urteile die üblichen Regeln des englischen Common Law massgebend.

D. Vollstreckung von Schweizer Urteilen nach englischem Common Law

Nach dem englischen Common Law wird ein ausländisches Urteil vollstreckt, wenn (i) das ausländische Gericht aus englischer Sicht zuständig war (sog. indirekte Zuständigkeit), (ii) das ausländische Urteil seiner Natur nach vollstreckbar ist und (iii) der Urteilsschuldner keine Einwendung gegen die Vollstreckung erfolgreich geltend macht. Ein Schweizer Gericht gilt aus englischer Sicht als zuständig, wenn die beklagte Partei Wohnsitz oder eine Geschäftsniederlassung in der Schweiz hat, sich die beklagte Partei auf das Verfahren eingelassen hat38 oder die Parteien sich vertraglich auf den Schweizer Gerichtsstand geeinigt haben. Im Rahmen der indirekten Zuständigkeit kann ein Urteilsschuldner vor dem englischen Gericht den Einwand der Ungültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung lediglich dann noch vorbringen, wenn ihm ein solcher Einwand vor dem ausländischen Gericht nicht möglich war. Nach englischem Common Law gelten ausländische Urteile der Natur nach vollstreckbar, wenn sie endgültig sind und auf eine bestimmte Geldsumme lauten. Endgültigkeit eines Urteils bedingt einen Res-judicata-Effekt und den Abschluss des Rechtsstreits. Lautet ein ausländisches Urteil nicht auf eine bestimmte Geldsumme, wird es in England nicht vollstreckt; jedoch kann es anerkannt werden. Einem Urteilsschuldner stehen verschiedene Einwendungen gegen die Vollstreckung eines ausländischen Urteils zur Verfügung, u.a. Verletzung des Ordre public, Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren45 sowie betrügerisches Verhalten der Gegenpartei im ausländischen Prozess. Weiter kann ein Urteilsschuldner gemäss Art. 32 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 auch die Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung oder Schiedsabrede geltend machen. Das englische Common Law weist somit weitergehende Verteidigungsmöglichkeiten für den Urteilsschuldner auf als das LugÜ. Zudem wird ein englisches Gericht die indirekte Zuständigkeit des schweizerischen Gerichts überprüfen. Insofern jedoch das Urteil auf einer Gerichtsstandsvereinbarung beruht, dürfte die Vollstreckung nur in Ausnahmefällen Probleme bereiten, die sich unter dem LugÜ nicht ergeben würden.

E. Zwischenfazit

Für Urteile, die nach dem 29. März 2019 ergehen, findet im schweizerisch-englischen Verhältnis das LugÜ keine Anwendung mehr. An die Stelle des LugÜ treten die nationalen Rechtsordnungen des Vereinigten Königreichs bzw. der Schweiz. Dies wird zu einer Stärkung der Verteidigungsmöglichkeiten der Urteilsschuldner führen und aufgrund des Wegfalls des Exequaturverfahrens des LugÜ eine Verlangsamung des Urteilsvollstreckungsprozesses zur Folge haben.

IV. Aktuell diskutierte Ansätze für einen zukünftigen Anschluss des Vereinigten Königreichs an den europäischen Justizraum

Die britische Regierung veröffentlichte am 22. August 2017 ein Positionspapier über die weitere Justizzusammenarbeit mit der EU. Sie reagierte damit auf ein früheres Positionspapier der EU-Kommission. Aus diesen Positionspapieren geht hervor, dass sowohl die EU als auch das Vereinigte Königreich die Fortführung der Justizzusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen anstreben. Die genaue Form dieser Zusammenarbeit ist jedoch noch offen. Aktuell werden drei verschiedene Ansätze diskutiert.

A. Bilaterales Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich

Die britische Regierung spricht in ihrem Positionspapier den Wunsch aus, ein Abkommen mit der EU zu schliessen, welches eine tiefgehende Justizzusammenarbeit vorsieht.  Es scheint aktuell jedoch eher unwahrscheinlich, dass ein solches Abkommen bis zum 29. März 2019 noch abschliessend ausgehandelt werden kann. Die aktuelle Fassung des Entwurfs der Vereinbarung über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU sieht zumindest nur Bestimmungen vor, welche die Justizzusammenarbeit während einer Übergangsperiode – jedoch nicht längerfristig – regeln würden. Selbst wenn es noch zum Abschluss eines bilateralen Abkommens über die Justizzusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich kommen sollte, würde dies – ebenso wie die im Entwurf der Austrittsvereinbarung aktuell enthaltenen Bestimmungen für eine Übergangsperiode – ohne Auswirkungen für die Schweiz bleiben. Es würde ausschliesslich Rechte und Pflichten zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU entstehen lassen. Daher wäre ein solches Abkommen für die Vollstreckung von Urteilen im schweizerisch-britischen Verhältnis ohne Bedeutung.

B. Beitritt zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen

Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen ist am 1. Oktober 2015 in Kraft getreten. Bisher haben lediglich die EU, Mexiko, Singapur und Dänemark das Übereinkommen ratifiziert. Die Schweiz ist nicht Vertragspartei. Der Anwendungsbereich dieses Übereinkommen ist bedeutend enger als jener des LugÜ. Es findet einzig Anwendung auf Fälle, denen eine ausschliessliche Gerichtsstandsvereinbarung zugrunde liegt, die das Gericht eines Vertragsstaates bezeichnet. Nebst Bestimmungen zur Zuständigkeit der Gerichte regelt das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen auch die Vollstreckung von Urteilen, die durch ein in einer Gerichtsstandsklausel bezeichnetes Gericht erlassen wurden. In diesem Zusammenhang unterstellt das Übereinkommen das Verfahren grundsätzlich dem nationalen Recht des um die Vollstreckung ersuchten Staates. Das Übereinkommen regelt jedoch, unter welchen Voraussetzungen einem Urteil die Vollstreckung versagt werden kann. Es bietet dem Urteilsschuldner hier ein wenig weitreichendere Verteidigungsmöglichkeiten als das LugÜ. Das Vereinigte Königreich wird mit dem Ausscheiden aus der EU seinen Anschluss an das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen verlieren. Einer eigenständigen Ratifikation durch das Vereinigte Königreich steht allerdings nach dem Austritt aus der EU nichts im Wege, zumal das Haager Übereinkommen sämtlichen Staaten zur Ratifikation offensteht. Eine Zustimmung der bestehenden Vertragsstaaten bedarf es nicht. Bei einer Ratifikation tritt das Übereinkommen für das Vereinigte Königreich am Ersten des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde folgt. Die britische Regierung hat bereits mehrfach erklärt, dass es die Ratifikation des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen beabsichtigt. Aus schweizerischer Sicht hätte die Ratifikation des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen durch das Vereinigte Königreich allerdings aktuell keine Auswirkungen, da die Schweiz selbst nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist. Möglich wäre allerdings, dass die Schweiz dem Vereinigten Königreich folgen und ihrerseits das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen ratifizieren wird. Diesfalls müsste jedoch der zeitliche Anwendungsbereich des Übereinkommens für die Urteilsvollstreckung berücksichtigt werden. Die Bestimmungen des Übereinkommens finden lediglich dann Anwendung, wenn das Übereinkommen im Staat des vereinbarten Gerichts zum Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsvereinbarung – nicht der Klageeinleitung – in Kraft war. Sollte es somit zur Ratifikation des Haager Übereinkommens durch das Vereinigte Königreich wie auch die Schweiz kommen, bliebe eine signifikante zeitliche Lücke zwischen dem Ende der Anwendbarkeit des LugÜ und dem Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs des Übereinkommens. Dieser Lücke könnten Privatparteien allerdings bis zu einem gewissen Mass entgegenwirken, indem sie die von ihnen geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarungen erneuern, nachdem das Übereinkommen in Kraft getreten ist.

C. Wiederbeitritt des Vereinigten Königreichs zum LugÜ

Bereits im Positionspapier vom 22. August 2017 avisierte die britische Regierung ein Fortbestehen des Anschlusses ans LugÜ. Dass das Vereinigte Königreich dem LugÜ nach dem Ausscheiden aus der EU beitreten wird, ist jedoch aktuell keinesfalls gesichert.65 Sollte das Vereinigte Königreich einen Wiederbeitritt anstreben, würde sich dieser schwieriger gestalten als die Ratifikation des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen. Gemäss Art. 72 Ziff. 3 LugÜ bedarf es grundsätzlich der Zustimmung aller Vertragsparteien für den Beitritt eines neuen Staates. Somit hängt ein Wiederbeitritt des Vereinigten Königreichs u.a. von der Zustimmung der EU und der Schweiz ab. Die Vertragsparteien sind angehalten, ihre Zustimmung innert eines Jahres nach der Aufforderung durch den Verwahrer zu erteilen. Liegt die Zustimmung aller Vertragsstaaten vor, kann die Beitrittsurkunde beim Verwahrer hinterlegt werden. Das LugÜ tritt dann für den neuen Staat am ersten Tag des dritten Monats in Kraft, der auf die Hinterlegung seiner Beitrittsurkunde folgt. Würde das Vereinigte Königreich hingegen der EFTA beitreten, fiele das Zustimmungserfordernis weg. In zeitlicher Hinsicht gilt es weiter zu berücksichtigen, dass das Vereinigte Königreich die ersten Schritte für einen Wiederbeitritt zum LugÜ erst einleiten kann, wenn der Austritt aus der EU vollendet ist, d.h. nach dem 29. März 2019. Davor steht der Abschluss von Staatsverträgen, die denselben Sachbereich wie das LugÜ beschlagen, in der ausschliesslichen Kompetenz der EU. Entsprechend kann wohl kaum mit einem Wiederbeitritt des Vereinigten Königreichs vor Ende 2019 gerechnet werden. Unter Umständen würde sich ein Wiederbeitritt auch bis Mitte oder Ende 2020 hinauszögern, da mit keiner umgehenden Zustimmung der EU zu rechnen ist angesichts der diversen offenen Verhandlungspunkte mit dem Vereinigten Königreich. Sollte ein Wiederbeitritt erfolgen, würde sich die Frage stellen, wie dies übergangsrechtlich zu behandeln ist. Nach Art. 63 Ziff. 1 LugÜ hängt die Anwendung der Bestimmungen des LugÜ davon ab, dass im Zeitpunkt der Klageeinleitung das LugÜ sowohl im Ursprungs- wie auch im Zielstaat in Kraft war. Dies bedeutet, dass erst Klagen, die nach vollendetem Wiederbeitritt des Vereinigten Königreichs anhängig gemacht werden, wieder von den Vollstreckungsbestimmungen des LugÜ profitieren werden. Allerdings sieht das LugÜ in Art. 63 Ziff. 2 lit. b besondere übergangsrechtliche Bestimmungen für die Urteilsvollstreckung vor. Wurde die Klage vor dem Inkrafttreten des LugÜ erhoben, aber ist das Urteil erst nach Inkrafttreten ergangen, so gelten die Vorschriften des LugÜ über die Urteilsvollstreckung, wenn das Gericht aufgrund von solchen Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II des LugÜ übereinstimmen. Diese Vorschriften können dem internationalen oder dem nationalen Recht des Ursprungsstaates entspringen. Es liegt beim Gericht des Vollstreckungsstaats, die Übereinstimmung der Zuständigkeitsvorschriften zu beurteilen. Die Übereinstimmung der Zuständigkeitsvorschriften dürfte keine Probleme bereiten, wenn die Klage noch vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU anhängig gemacht wird. Für solche Klagen bleiben die Zuständigkeitsvorschriften des LugÜ wohl nach wie vor anwendbar. Für später anhängig gemachte Klagen bedürfte es einer Übereinstimmung der nationalen Zuständigkeitsvorschriften, die im spezifischen Fall zur Anwendung gelangen, mit jenen des LugÜ. Ein Kläger tut demnach gut daran, seine Klage noch vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs anhängig zu machen. Dies würde ihm die Anwendbarkeit der Vollstreckungsvorschriften des LugÜ für den Fall sichern, dass das entsprechende Urteil nach dem Wiederbeitritt des Vereinigten Königreichs zum LugÜ ergehen wird. Dass eine Klage, die vor dem 29. März 2019 anhängig gemacht wird, erst nach dem Wiederbeitritt des Vereinigten Königreichs in ein Urteil mündet, scheint keinesfalls unrealistisch, zumal der Wiederbeitritt unter Umständen bereits Ende 2019 erfolgen könnte. Andererseits kann es für einen Kläger ratsam sein, nach erfolgtem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus dem LugÜ vorläufig mit der Klageeinleitung zuzuwarten, bis ein eventueller Wiederbeitritt des Vereinigten Königreichs in Kraft tritt. Eine Urteilsvollstreckung unter dem englischen Common Law wird, zumindest bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung, in den meisten Fällen jedoch im Rahmen des Zumutbaren liegen. Dementsprechend werden Überlegungen zum anwendbaren Vollstreckungsregime bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung trotz des Brexit wohl kaum das ausschlaggebende Kriterium für die Wahl des Prozesszeitpunkts bilden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein Wiederbeitritt des Vereinigten Königreichs zum LugÜ vorab von der Zustimmung der bestehenden Vertragsparteien, u.a. der EU und der Schweiz, abhängt. Ein gewisser Zeitraum zwischen dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU und einem Wiederbeitritt zum LugÜ scheint unvermeidlich. Die übergangsrechtlichen Bestimmungen, die bei einem Wiederbeitritt zur Anwendung gelangen werden, machen eine sorgfältige zeitliche Planung der Klageeinleitung für Kläger unumgänglich, wenn sie sich die Vorteile der Urteilsvollstreckung nach dem LugÜ sichern wollen.

V. Schlussfolgerungen

Infolge des Austritts aus der EU per 29. März 2019 wird das Vereinigte Königreich nicht mehr ans LugÜ gebunden sein. Demnach wird sich im schweizerisch-britischen Verhältnis die Vollstreckung von Urteilen, die nach diesem Datum ergangen sind, nach den nationalen Rechtsordnungen richten. Diese sehen für den Urteilsschuldner weitreichendere Verteidigungsmöglichkeiten vor als das LugÜ. Die britische Regierung ist allerdings bestrebt, den Anschluss an den europäischen Justizraum wiederherzustellen. Sie zieht diesbezüglich drei Optionen in Betracht: den Abschluss eines bilateralen Abkommens mit der EU, die Ratifikation des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen und den Wiederbeitritt zum LugÜ. Auch mit diesen Optionen wird sich allerdings ein – zumindest temporärer – Rückfall auf die nationalen Rechtsordnungen für die Vollstreckung von Urteilen im schweizerisch-britischen Verhältnis nicht vermeiden lassen. Angesichts der verschiedenen Übergangsregeln, die zur Anwendung gelangen können, sind die weiteren Schritte des Vereinigten Königreichs genau zu beobachten. Je nach Entwicklung kann eine Klageeinleitung vor dem 30. März 2019, ein Zuwarten mit der Klageeinleitung nach dem genannten Datum oder eine Erneuerung von Gerichtsstandsvereinbarungen angezeigt sein. Schliesslich kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die EU und das Vereinigte Königreich auf eine Verlängerung der Verhandlungsperiode einigen. Dies könnte zu einem Fortbestehen der EU-Mitgliedschaft – und somit einem Verbleib des Vereinigten Königreichs im LugÜ – über den 29. März 2019 hinaus führen. Dies würde die oben beschriebenen Probleme allerdings bloss hinausschieben. 

Erstveröffentlichung des Artikels in der AJP/PJA 9/2018

Veröffentlichung
Auswirkungen des Brexit auf die Vollstreckung von ausländischen Urteilen, AJP/PJA 9/2018
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Autoren

Dr. Nino Sievi, LL.M.