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Einvernehmliche Regelung mit der Wettbewerbsbehörde

Newsletter Wettbewerbsrecht

01/10/2013

Wichtigste Aspekte

Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung (EVR)

Eine EVR wird zwischen dem Sekretariat der Wettbewerbskommission (Sekretariat) als untersuchende Behörde und dem betroffenen Unternehmen verhandelt und abgeschlossen und anschliessend der Wettbewerbskommission (WEKO) als entscheidende Behörde zur Genehmigung unterbreitet.

Gegenstand einer EVR

Massnahmen, die geeignet sind, eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung für die Zukunft zu beseitigen.

Vorteile einer EVR für das Unternehmen
  • Möglichkeit künftiges Verhalten auszuhandeln;
  • Reduktion einer allfälligen Sanktion;
  • Zeit- und Kostenersparnisse;
  • Verminderung negativer Publizität.
Nachteile einer EVR für das Unternehmen
  • Risiko einer Fehlbeurteilung infolge beschränkter Überprüfung des Sachverhalts;
  • «Verzicht» auf Rechtsmittel;
  • allfälliges Schuldeingeständnis im Hinblick auf Schadenersatzprozesse;
  • erhöhtes Sanktionsrisiko für die Zukunft.
Merkpunkte für Verhandlungen mit dem Sekretariat
  • Beschränkung der Verpflichtungen auf den untersuchten Geschäftsbereich;
  • konkrete und enge Umschreibung der eingegangenen Verpflichtungen;
  • Klarstellen, dass Sachverhaltsdarstellung und rechtliche Würdigung der WEKO durch das Unternehmen nicht anerkannt werden;
  • «Verzicht» auf Rechtsmittel an Einhaltung des beantragten Sanktionsrahmens (und allenfalls weiterer Bedingungen) knüpfen.

Der Abschluss einer EVR sollte möglichst früh ins Auge gefasst werden, um Sanktionsreduktion und Einflussnahme auf Untersuchungsverlauf und -ergebnis zu erhöhen.

Ausgangslage

Stellt das Sekretariat in einer Untersuchung fest, dass ein Unternehmen an einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung beteiligt ist, kann es dem beteiligten Unternehmen eine EVR über die Art und Weise der Beseitigung der unzulässigen Beschränkung vorschlagen (Art. 29 Abs. 1 Kartellgesetz; «KG»). In der Praxis kann die Initiative für eine EVR auch vom betroffenen Unternehmen ausgehen. Der Hauptzweck einer EVR ist eine rasche Verfahrenserledigung, wodurch Zeitaufwand und Kosten sowohl auf Seiten des Unternehmens als auch der Behörde erheblich reduziert werden können.

Kommt eine EVR zustande, wird diese schriftlich abgefasst und der WEKO durch das Sekretariat – zusammen mit dem Antrag für die Schlussverfügung – zur Genehmigung unterbreitet (Art. 29 Abs. 2 KG). Genehmigt die WEKO die EVR, so wird der Wortlaut der EVR (ohne die Vorbemerkungen) regelmässig ins Dispositiv der Verfügung aufgenommen.

Dogmatisch stellt eine EVR einen verwaltungsrechtlichen Vertrag dar, der unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die WEKO steht. Die EVR als verwaltungsrechtlicher Vertrag kann nicht mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden. Die Schlussverfügung der WEKO hingegen, mit welcher die EVR genehmigt oder nicht genehmigt wird, unterliegt grundsätzlich der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (vgl. aber die Ausführungen unten zu den Nachteilen einer EVR).

Der Abschluss einer EVR hat verschiedene Auswirkungen auf das weitere Verfahren, die Höhe einer möglichen Sanktion und das zukünftige Verhalten eines Unternehmens. Gegenstand und Auswirkungen einer EVR werden deshalb im Folgenden etwas genauer unter die Lupe genommen.

Gegenstand und Struktur einer EVR

Möglicher Gegenstand einer EVR sind sämtliche Massnahmen, die geeignet sind, eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung für die Zukunft zu beseitigen. Dabei geht es nicht nur darum zu regeln, was ein Unternehmen in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht nicht tun darf, sondern vielmehr auch darum, was es gerade noch tun darf, so dass der Wettbewerb weder beseitigt noch erheblich beeinträchtigt wird.

Hingegen können weder die Feststellung des massgebenden Sachverhalts noch dessen rechtliche Qualifikation oder die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines bestimmten Verhaltens in der Vergangenheit Gegenstand einer EVR sein. Ebenfalls nicht verhandelbar und somit nicht Gegenstand einer EVR ist die Frage der Sanktionierung. Weder kann das Sekretariat mit einem Unternehmen die Frage verhandeln, ob eine Sanktion zu verhängen ist, noch besteht gesetzlicher Spielraum für Verhandlungen über die Höhe der auszufällenden Sanktion (vgl. allerdings die Ausführungen unten zu den Vorteilen einer EVR).

Eine EVR wird in der Praxis in zwei Teile strukturiert:

Den ersten Teil bilden die Vorbemerkungen zur EVR. Darin wird der Sanktionsrahmen angegeben, in welchem das Sekretariat die Festlegung der Sanktion bei der WEKO beantragen wird. Die WEKO ist jedoch an diesen Sanktionsrahmen nicht gebunden. Die definitive Festlegung der Höhe der Sanktion erfolgt in der Verfügung der WEKO, die das Verfahren zum Abschluss bringt. Ebenfalls in die Vorbemerkungen aufgenommen wird der Verzicht der Parteien, ein Rechtsmittel zu ergreifen, sofern die WEKO die EVR genehmigt. Wohl im Bewusstsein, dass ein solcher Verzicht rechtlich problematisch ist, zeichnet sich in der Praxis eine Tendenz in Richtung einer blossen Absichtserklärung ab. Zudem knüpfen Unternehmen diesen «Verzicht» regelmässig an die Bedingung, dass die WEKO den vom Sekretariat beantragten Sanktionsrahmen nicht überschreitet. Im Entscheid betreffend Musikvertrieb vom 16. Juli 2012 wurde der Rechtsmittelverzicht auch von der Einhaltung weiterer Punkte in den Vorbemerkungen abhängig gemacht.

In einem zweiten Teil werden die einzelnen Verpflichtungen festgehalten, denen sich das Unternehmen unterzieht. Nur dieser zweite Teil der EVR wird ins Dispositiv der Verfügung der WEKO aufgenommen und rechtskräftig. Vereinzelt wurde in der Vergangenheit – unter anderem, wenn nur ein Teil der betroffenen Unternehmen einer EVR zugestimmt hat – im Dispositiv des Entscheides lediglich erwähnt, dass die EVR in der vereinbarten Form genehmigt wird.

Vorteile einer EVR

Stärkere Mitwirkung an der Entscheidung

Wartet ein Unternehmen die Verfügung der WEKO ab, so bestimmt diese einseitig und autoritativ das zukünftige Verhalten des Unternehmens. Handelt das Unternehmen hingegen im Rahmen einer EVR mit der Wettbewerbsbehörde eine Art und Weise der Beseitigung der Wettbewerbsbeschränkung aus, so kann es aktiv an der Gestaltung des Entscheides mitwirken. Durch die Verhandlungen mit der Wettbewerbsbehörde kann das Unternehmen dasjenige Verhalten aushandeln, welches gerade noch als kartellgesetzkonform eingestuft wird und darauf Einfluss nehmen, was in Zukunft zulässig und was unzulässig ist. Ausserdem kann das Unternehmen auf weitere, insbesondere in den Vorbemerkungen zu einer EVR enthaltene Punkte Einfluss nehmen.

Reduktion der Sanktion

Der Wille und die Bereitschaft eines Unternehmens zum Abschluss einer EVR werden von der Wettbewerbsbehörde bei der Sanktionsbemessung als kooperatives und damit strafmilderndes Verhalten gewürdigt, was in einer prozentualen Reduktion der Busse resultiert. Gemäss Praxis der WEKO hängt die Höhe der Sanktionsreduktion infolge Abschlusses einer EVR insbesondere davon ab, zu welchem Zeitpunkt des Verfahrens eine EVR abgeschlossen wird und ob bereits eine Reduktion aufgrund einer unaufgeforderten Mitwirkung am Verfahren im Rahmen der Bonusregelung erfolgt.

Sofern ein Unternehmen bereits von einer Reduktion aufgrund der Bonusregelung profitiert, beträgt die zusätzliche Reduktion für den Abschluss einer EVR gemäss Praxis der Wettbewerbsbehörde je nach Zeitpunkt des Abschlusses der EVR zwischen 10% und 20%. Da der Hauptzweck einer EVR aus Sicht der Wettbewerbsbehörde in der Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens liegt, hat die WEKO in der Vergangenheit die Reduktion infolge Abschlusses einer EVR auch schon auf einen einstelligen Prozentsatz beschränkt, als die EVR erst abgeschlossen wurde, nachdem der Entwurf des Verfügungsantrags des Sekretariats den Parteien zur Stellungnahme zugestellt worden war. Im selben Entscheid hat die WEKO zudem angedeutet, dass sie eine EVR künftig nicht mehr genehmigen wird, wenn diese zu einem derart späten Zeitpunkt des Verfahrens abgeschlossen wird.

Sofern die Bonusregelung nicht zur Anwendung gelangt, hat die WEKO demgegenüber in einem kürzlich ergangenen Entscheid angedeutet, dass bei Abschluss einer EVR eine Reduktion von bis zu 40% in Frage kommen kann.

Zeit- und Kosteneinsparungen

Je nachdem, in welchem Stadium des Verfahrens eine EVR abgeschlossen wird, kann dadurch das Verfahren vereinfacht und verkürzt werden. Zwar hat die Wettbewerbsbehörde insbesondere bei Vorliegen eines direkt sanktionierbaren Tatbestandes auch bei Abschluss einer EVR den Sachverhalt mittels Beweismassnahmen abzuklären, rechtlich zu würdigen und über die Zulässigkeit der Wettbewerbsbeschränkung sowie über die Sanktionierung zu entscheiden. Dennoch erleichtert eine EVR in der Praxis das Verfahren. Sofern das Unternehmen einen Wettbewerbsverstoss zugibt oder ihn zwar bestreitet, aber sein Verhalten trotzdem im Einvernehmen mit der Behörde anpasst, klärt die Behörde in der Praxis den Sachverhalt nicht mit derselben Genauigkeit ab und begründet den Entscheid weniger detailliert als in Fällen ohne EVR. Dadurch reduziert sich der Verfahrensaufwand sowohl für die Wettbewerbsbehörde als auch für das Unternehmen.

Verminderung negativer Publizität

Bereits das Bekanntwerden einer kartellrechtlichen Untersuchung geht für das betroffene Unternehmen in der Regel mit einem Imageschaden einher. Erst recht rufschädigend sind in der Regel Berichte über einen behördlich oder gerichtlich festgestellten Kartellrechtsverstoss. Der Vorteil des Verfahrensabschlusses mittels einer EVR besteht in diesem Zusammenhang darin, dass die Wettbewerbsbehörde in solchen Fällen ihre Pressemitteilungen tendenziell zurückhaltender formuliert.

Nachteile einer EVR

Möglichkeit einer Fehlbeurteilung

Wie bereits erwähnt prüft die Wettbewerbsbehörde bei Abschluss einer EVR den Sachverhalt regelmässig nicht abschliessend. Die Frage bleibt somit offen, ob die Unzulässigkeit des Verhaltens in einem vollständig durchgeführten Verfahren hätte bewiesen werden können. Das Unternehmen muss folglich eine Entscheidung und allenfalls eine Sanktion hinnehmen, die nicht auf einem abschliessend beurteilten Sachverhalt beruhen.

Verzicht auf Rechtsmittel

In der Vergangenheit wurde im Rahmen einer EVR oft vereinbart, dass das Unternehmen auf eine Überprüfung des Entscheides der WEKO durch die Rechtsmittelinstanzen verzichtet, sofern die WEKO den vom Sekretariat beantragten Sanktionsrahmen nicht überschreitet. Ein solcher Verzicht ist wohl rechtswidrig. Entsprechend ist das Sekretariat in der jüngeren Praxis vereinzelt dazu übergegangen, bloss eine 6 | Newsletter Wettbewerbsrecht Absichtserklärung der Unternehmen zu verlangen, kein Rechtsmittel zu ergreifen. Unabhängig von der rechtlichen Zulässigkeit dürfte ein Unternehmen de facto aber in den meisten Fällen auf eine Überprüfung des Entscheides durch die Rechtsmittelinstanzen verzichten, sofern die EVR wie vereinbart von der WEKO genehmigt wird. Unklar ist die Rechtslage, wenn die WEKO die EVR genehmigt, aber den vom Sekretariat beantragten Sanktionsrahmen überschreitet. Es besteht in einem solchen Fall das Risiko, dass die Verfügung nicht angefochten werden kann, da es am für eine Beschwerde notwendigen Rechtsschutzinteresse fehlt. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt sich zum einen, den Rechtsmittelverzicht an die Einhaltung des beantragten Sanktionsrahmens zu knüpfen, und zum anderen, in den Vorbemerkungen zur EVR festzuhalten, dass Sachverhaltsdarstellung und rechtliche Würdigung der Behörde durch das Unternehmen nicht anerkannt werden.

Mögliche Nachteile in einem Schadenersatzverfahren

Der Abschluss einer EVR kann in einem Schadenersatzprozess gegen das Unternehmen möglicherweise als Schuldeingeständnis gewertet werden. Allenfalls kann dieser Gefahr mit dem erwähnten Vorbehalt in den Vorbemerkungen einer EVR begegnet werden, wonach das unterzeichnende Unternehmen die tatsächlichen und rechtlichen Einschätzungen der Wettbewerbsbehörde nicht teilt. Praktische Erfahrungen in diesem Bereich sind noch ausstehend.

Risiken aufgrund neuer Entwicklungen

Der durch das Sekretariat vorgeschlagene Wortlaut einer EVR trägt wesentlich dazu bei, ob es für ein Unternehmen ratsam ist, die EVR zu unterzeichnen oder sich gegen deren Abschluss zu entscheiden. In der jüngeren Praxis der Wettbewerbsbehörde sind Entwicklungen mit Bezug auf Umfang und Formulierung von Verpflichtungen im Rahmen von EVR zu erkennen, welche für die betroffenen Unternehmen erhöhte Risiken mit sich bringen können:

Ausweitung der untersagten Handlungen

Eine Analyse der in den letzten Jahren vereinbarten EVR zeigt, dass Unternehmen in einer EVR vermehrt nicht nur die im Einzelfall untersuchten Handlungen untersagt, sondern weitergehende Verpflichtungen auferlegt werden, wie beispielsweise keine relevanten Informationen über Preiserhöhungen auszutauschen, keine Empfehlungen abzugeben oder nicht an Diskussionen betreffend die Weitergabe von Kostenfaktoren teilzunehmen, unabhängig davon, wie sich dies auf den Wettbewerb auswirkt.

Ausweitung des betroffenen Geschäftsbereichs

Es zeichnet sich zudem eine Tendenz des Sekretariats ab, die dem Unternehmen in einer EVR auferlegten Verpflichtungen auf andere als die von der Untersuchung betroffenen Geschäftsbereiche auszuweiten.

Da gemäss Art. 50 KG ein Unternehmen bei einem Verstoss gegen eine EVR ohne weitere Abklärungen mit einer Busse von bis zu 10 Prozent des in den letzten drei Jahren in der Schweiz erzielten Umsatzes sanktioniert wird, ist der Inhalt einer EVR von grosser Bedeutung. Die Konsequenz der erwähnten Entwicklungen ist, dass sich das Risiko einer Sanktion wegen eines Verstosses gegen eine EVR substantiell erhöht.

Bei Verhandlungen über eine EVR ist deshalb darauf zu achten, dass die dem betroffenen Unternehmen auferlegten Pflichten möglichst konkret, eng und in Anlehnung an den Gegenstand der Untersuchung umschrieben werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Wettbewerbsbehörde mittels EVR für ein Unternehmen Verpflichtungen schafft, die über das hinausgehen, was gemäss Kartellgesetz verboten ist.

Fazit

Da in der Schweiz dem Rechtsinstitut der EVR eine relativ grosse Bedeutung zukommt, ist es wichtig, die Chancen und Risiken des Abschlusses einer EVR richtig einzuschätzen und gegeneinander abzuwägen. Es lohnt sich deshalb, die Entwicklungen in der Praxis generell und im Rahmen allfälliger Verhandlungen mit dem Sekretariat im Auge zu behalten und im konkreten Einzelfall sorgfältig zu analysieren, ob der Abschluss einer EVR für das betroffene Unternehmen sinnvoll ist.

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Einvernehmliche Regelung mit der Wettbewerbsbehörde
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Stefan Brunnschweiler, LL.M.
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Dr. Patrick Sommer, H.E.E.
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