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Kündigungsfreiheit – das war einmal?

14/12/2017

Oft hört man, das Arbeitsrecht basiere auf dem Grundsatz der Kündigungsfreiheit. Doch stimmt das überhaupt (noch)? Die neuere Rechtsprechung zu missbräuchlicher Kündigung konfrontiert den Arbeitgeber mit einer wachsenden Zahl von Konstellationen mit finanziellen Forderungen.

Die gesetzliche Grundlage zur missbräuchlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses findet sich in Art. 336 OR. Diese Bestimmung zählt eine Reihe von Missbrauchstatbeständen auf – von der sogenannten Rachekündigung (Kündigung als Folge davon, dass der Arbeitnehmer in guten Treuen Rechte aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht hat) bis zur Kündigung zur Vereitelung von Ansprüchen (zum Beispiel damit der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf ein in naher Zukunft geschuldetes Dienstaltersgeschenk hat). In diesem Zusammenhang schreibt das Gesetz vor, dass der Arbeitgeber die Kündigung auf Verlangen des Arbeitnehmers schriftlich begründen muss (Art. 335 Abs. 2 OR). Diese Begründung soll es dem Arbeitnehmer erlauben, zu prüfen, ob eine missbräuchliche Kündigung vorliegt.

Die Rechtsprechung hat schon vor einiger Zeit entschieden, dass die Aufzählung der Missbrauchstatbestände im Gesetz nicht abschliessend ist. Insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht (Art. 328 OR) verletzt, kann dies nach der Gerichtspraxis eine Kündigung missbräuchlich machen.

Ältere Mitarbeiter

Nach der Rechtsprechung schuldet der Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern mit vielen Dienstjahren eine erheblich erhöhte Fürsorgepflicht. Das Bundesgericht hat nicht genau definiert, wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, und es gibt widersprüchliche Entscheide. Im Sinne einer Faustregel ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung auf mindestens 60 Jahre alte Mitarbeiter mit mindestens 25 Dienstjahren zur Anwendung gelangen dürfte. In diesen Konstellationen darf der Arbeitgeber nicht mehr «einfach so» kündigen. Auch bei nachlassender beziehungsweise schlechter Leistung ist es vielmehr erforderlich, den Arbeitnehmer vor einer ordentlichen Kündigung (schriftlich) abzumahnen, ihm eine Frist zur Verbesserung zu setzen und ihn gleichzeitig darauf aufmerksam zu machen, dass andernfalls das Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt werde («letzte Chance»). Versäumt dies ein Arbeitgeber, so besteht das erhebliche Risiko, dass eine Kündigung missbräuchlich ist.

Ob dies effektiv der Fall ist, hängt auch von der Stellung des Mitarbeiters und den im Raum stehenden Vorwürfen ab. Bei einem Kadermitarbeiter wird man argumentieren können, dass dieser auch ohne eine solche «gelbe Karte» davon ausgehen muss, dass ihm auch bei langjähriger Betriebszugehörigkeit zum Beispiel bei einem unangemessenen Umgang mit Arbeitnehmern bewusst sein muss, dass dies ohne «Vorwarnung» zu einer ordentlichen Kündigung führt und diese damit nicht missbräuchlich ist. Ähnlich gelagert sind die Fälle, in denen die Gerichte wegen eines erheblichen «Ungleichgewichts der Interessen» eine Missbräuchlichkeit bejaht haben. So zum Beispiel im Fall eines Heizungsmonteurs, dem nach 44 klaglosen Dienstjahren 14 Monate vor der Pensionierung gekündigt wurde, ohne dass hierfür erhebliche Gründe vorgelegen hatten. Diese Kündigung wurde für den Arbeitgeber teuer, wurde er doch zur Zahlung des gesetzlichen Maximalbetrags von sechs Monatsgehältern verurteilt. Wenn die Kündigung eines älteren Mitarbeiters ins Auge gefasst wird, so sollte der Arbeitgeber vorsichtig vorgehen. Zu dokumentieren sind insbesondere die vorgeworfenen Mängel, die Ansetzung einer angemessenen Frist zur Verbesserung und die explizite Androhung der (ordentlichen) Kündigung im Fall der Nicht-Verbesserung.

Konfliktsituationen

Ebenfalls aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers hat die Rechtsprechung die Pflicht abgeleitet, in Konfliktsituationen zunächst die angebrachten Massnahmen zu treffen, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. Was angebracht bzw. erforderlich ist, ist im Einzelfall zu entscheiden. In Frage kommen zum Beispiel Aussprachen, Versetzungen, Verwarnungen oder Zielvorgaben. Ein Arbeitgeber ist in einer Konfliktsituation jedenfalls gut beraten, die von ihm unternommenen Schritte zur Lösung beziehungsweise Entspannung der Lage schriftlich umfassend zu dokumentieren.

Art und Weise der Kündigung

Schliesslich kann auch die Art und Weise, wie eine Kündigung ausgesprochen wird, diese missbräuchlich machen. Auch diese Rechtsprechung basiert auf der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und der daraus resultierenden Pflicht, die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und Schaden von diesem abzuhalten. Zu denken ist hier etwa an ordentliche Kündigungen, bei denen der Arbeitnehmer «wie ein Schwerverbrecher» aus dem Geschäftsgebäude eskortiert wird. Vorsicht ist ebenfalls geboten bei der Kommunikation gegenüber Mitarbeitenden und Geschäftspartnern (zum Beispiel wenn bei einer Freistellung der Eindruck erweckt wird oder entstehen kann, es liege eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor). In der Regel ist dem Arbeitgeber bei einer Kündigung und der diesbezüglichen Kommunikation zu einem zurückhaltenden Vorgehen zu raten. Die vorstehenden Beispiele zeigen auf, dass der Arbeitgeber nicht «frei» ist, ein Arbeitsverhältnis ohne weiteres zu beenden. Gerade wenn eine Verletzung der Fürsorgepflicht im Raum steht, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zwar kündigen, geht jedoch unter Umständen ein durchaus erhebliches Risiko ein, dem Arbeitnehmer einen substanziellen Betrag als Entschädigung für eine missbräuchliche Kündigung bezahlen zu müssen.

 

Christian Gersbach, Fachanwalt SAV Arbeitsrecht, Zürcher Wirtschaft 12/2017

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Kündigungsfreiheit - Das war einmal? - Zürcher Wirtschaft 12/2017
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