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Die Auswirkungen von COVID-19 auf Werkverträge

insbesondere auf Termine und Kosten

Die aktuelle COVID-19 Pandemie macht auch vor Schweizer Baustellen nicht halt. Nicht nur sind hier verschiedene praktische Vorkehrungen zum Schutz der Arbeitnehmer zu treffen, vielmehr stellt sich auch die Frage nach den Folgen für Termine und Fristen, wenn etwa Arbeitnehmer in grosser Zahl krankheitsbedingt nicht auf der Baustelle erscheinen, Material nicht rechtzeitig geliefert wird oder behördliche Verfügungen und Auflagen den Baufortschritt verhindern oder erheblich verlangsamen.

Hinweis: Die nachfolgenden Ausführungen entsprechen der Rechtslage per 5. April 2020; aufgrund der dynamischen Situation können sich die Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit COVID-19 kurzfristig ändern.

1. Praktische Auswirkungen auf die Baustelle

Im Rahmen der Verstärkung der Massnahmen zum Abstandhalten, um eine Überlastung der Spitäler mit schweren Fällen von Coronavirus-Erkrankungen zu verhindern, hat der Bundesrat am 20. März die COVID-19-Verordnung 2 nochmals nachgeschärft. Nunmehr sind Arbeitgeber im Bauhaupt- und nebengewerbe sowie in der Industrie verpflichtet, die Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit betreffend Hygiene und soziale Distanz einzuhalten. Baustellen- und Betriebsorganisation sind entsprechend anzupassen und die Anzahl der anwesenden Personen auf Baustellen oder in Betrieben entsprechend zu limitieren. Zudem sind Menschenansammlungen von mehr als fünf Personen in Pausenräumen und Kantinen zu verhindern. Bei Verstössen können die kantonalen Behörden einzelne Betriebe oder Baustellen schliessen (Art. 7c COVID-19-Verordnung 2). Zudem ist besonders gefährdeten Arbeitnehmern (über 65-jährige Arbeitnehmer und solche mit besonderen Vorerkrankungen) die Arbeit von zuhause aus zu ermöglichen. Ist dies nicht möglich und kann auch die Einhaltung der Empfehlungen des Bundes zu Hygiene und sozialer Distanz nicht sichergestellt werden, sind die betreffenden Arbeitnehmer unter Lohnfortzahlung zu beurlauben (Art. 10c COVID-19-Verordnung 2).

Allein diese Massnahmen können den Baufortschritt bereits verhindern oder erheblich verzögern. Darüber hinaus können Probleme dadurch entstehen, dass Zulieferer allenfalls nur noch eingeschränkt arbeiten und dringend benötigtes Material die Baustelle verspätet erreicht. Sodann ist denkbar, dass eine grosse Anzahl Arbeitnehmer sich krankmeldet oder wegen Kinderbetreuung oder Angst vor einer Infektion nicht zur Arbeit erscheint oder die zuständigen Behörden die Baustelle oder den Betrieb gänzlich schliessen.

2. Folgen für das Vertragsverhältnis zwischen Unternehmer und Bauherr

A) Vorbemerkung

Es gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dieser besagt unter anderem, dass es den Parteien freisteht, vom gesetzlichen Leitbild abweichende vertragliche Vereinbarungen zu treffen. Jeder Einzelfall bzw. Vertrag ist somit gesondert auf in ihm statuierte Regelungen für die derzeitige Corona-Situation zu prüfen. Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich am Leitbild des Gesetzes und der SIA-Norm 118. Sie stehen daher unter dem Vorbehalt abweichender vertraglicher Vereinbarungen.

B) Termine

Grundsätzlich sind die in den Verträgen ausgehandelten Termine einzuhalten. Fraglich sind daher die Folgen, die eintreten, wenn eine Vertragspartei in Verzug kommt. Dafür ist in einem ersten Schritt danach zu unterscheiden, ob der Verzug durch den Unternehmer verschuldet oder unverschuldet eingetreten ist. Sodann ist danach zu differenzieren, ob in den Werkvertrag die Regelungen der SIA-Norm 118 einbezogen sind, oder nicht.

Ein Verzug ist verschuldet, wenn der Unternehmer die Verzögerung und ihre Ursache zu vertreten hat. Hier ist jede verzugsbegründende Ursache gesondert zu betrachten:

  • Machen behördliche Anordnungen, z.B. die Schliessung einer Baustelle, einen rechtzeitigen Baufortschritt unmöglich, dürfte im Grundsatz der Verzug unverschuldet sein. Es besteht jedoch noch keine Rechtsprechung zu der Frage, ob dies auch die aktuellen behördlichen Anordnungen im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie betrifft. Ein Verschulden dürfte demgegenüber vorliegen, wenn die Behörden Baustellen schliessen, weil der Unternehmer zuvor gegen die Hygienevorschriften verstossen hat.
  • Auch der Rückzug der eigenen Mitarbeitenden, ohne dass ein konkretes behördliches Arbeitsverbot vorliegt, dürfte wohl als verschuldeter Verzug des Unternehmers zu werten sein.
  • Kommt es durch viele krankheitsbedingte Ausfälle zu einer Verzögerung, obwohl der Unternehmer alle zumutbaren Massnahmen ergriffen hat, um krankheitsbedingten Ausfällen vorzubeugen und ihre Auswirkungen zu minimieren, dürfte dies unverschuldet sein.
  • Falls Materialien aufgrund vorübergehender Produktionsstopps oder Einfuhrbeschränkungen nicht rechtzeitig eintreffen, muss der Unternehmer – sofern möglich – mit zumutbarem Aufwand Ersatzmaterialien beschaffen. Falls dies nicht möglich ist, stellt sich die Frage, ob das Verhalten des Lieferanten dem Unternehmer als Verschulden im Rahmen der Hilfspersonenhaftung angelastet werden kann.

Ist in den Vertrag jedoch – was bei der Errichtung von Bauwerken weitgehend Standard ist – die SIA 118 einbezogen, gilt folgendes: Bei unverschuldetem Terminverzug hat der Unternehmer dem Bauherrn diesen anzuzeigen (Art. 96 Abs. 1 SIA 118) und muss dem Bauherrn Beschleunigungsmassnahmen vorschlagen (Art. 95 Abs. 3 SIA 118). Die nachgewiesenen Mehrkosten solcher Massnahmen gehen zu Lasten des Bauherrn. Willigt der Bauherr nicht in die Beschleunigungsmassnahmen ein oder verzögert sich die Ausführung trotz der Beschleunigungsmassnahmen ohne Verschulden des Unternehmers weiter, hat der Unternehmer einen Anspruch auf Fristenerstreckung (Art. 96 Abs. 1 SIA). Besteht ein Anspruch auf Fristenerstreckung, kann der Bauherr weder aufgrund des Verzugs eine allfällig vereinbarte Konventionalstrafe verlangen, noch haftet ihm der Unternehmer auf Schadenersatz.

Ist der Terminverzug jedoch auf andere Gründe zurückzuführen, insbesondere, wenn der Unternehmer den Verzug zu vertreten hat, ist der Unternehmer verpflichtet, rechtzeitig unter Anzeige an die Bauleitung alle zumutbaren und notwendigen Beschleunigungsmassnahmen auf eigene Kosten zu treffen (Art. 95 Abs. 2 SIA 118). Ein Anspruch auf Fristenerstreckung scheidet diesfalls aus. Auch muss der Unternehmer die Geltendmachung einer Konventionalstrafe oder von Schadenersatzansprüchen befürchten.

C) Mehrkosten

Hat der Unternehmer den Verzug nicht zu vertreten, muss er dem Bauherrn den Verzug anzeigen und Beschleunigungsmassnahmen vorschlagen. Als solche bieten sich etwa an: Der Einsatz zusätzlichen Personals (soweit mit den Vorschriften betreffend Hygiene und soziale Distanz vereinbar), zusätzliche Schichten und Wochenendarbeit, die Bestellung eines teureren Alternativprodukts anstatt eines wegen COVID-19 nicht lieferbaren Produkts etc. Diese Beschleunigungsmassnahmen verursachen in aller Regel Mehrkosten. Diese ausgewiesenen Mehrkosten sind vom Bauherrn zu tragen, weshalb dieser den Beschleunigungsmassnahmen vorgängig zustimmen muss.

Im Falle eines verschuldeten Verzugs gehen die ausgewiesenen Mehrkosten aller zumutbaren und notwendigen Beschleunigungsmassnahmen jedoch zu Lasten des Unternehmers.

Hindern ausserordentliche Umstände die Fertigstellung des Bauwerks oder wird diese aufgrund dessen übermässig erschwert, entstehen dem Unternehmer regelmässig zusätzliche Kosten, beispielsweise wegen einer Verlängerung der Bauzeit. In diesen Fällen hat der Unternehmer sowohl gemäss Art. 373 Abs. 2 OR als auch nach der analogen Regelung in Art. 59 SIA 118 einen Anspruch auf eine zusätzliche Entschädigung. Muss der Unternehmer jedoch seine Baustelle vorübergehend stilllegen, weil allgemeine marktwirtschaftliche Störungen einen Mangel an Arbeitskräften oder des von ihm zu liefernden Materials verursachen, erhält er wegen der daraus entstehenden Mehraufwendungen nur dann eine zusätzliche Entschädigung, wenn dies vereinbart ist (Art. 61 SIA 118).

D) Rücktritt vom Vertrag

Grundsätzlich kann der Bauherr, unabhängig von der Frage, ob der Verzug durch den Unternehmer verschuldet ist oder nicht, gemäss Art. 366 Abs. 1 OR oder den Verzugsregelungen der Art. 107 ff. OR vom Vertrag zurücktreten, wenn der Unternehmer seine Leistung verspätet erbringt. Ein Schadenersatzanspruch gegen den Unternehmer ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Verzug unverschuldet ist. Hat der Unternehmer einen Anspruch auf Fristenerstreckung, ist ein Rücktritt gemäss Art. 366 Abs. 1 OR ausgeschlossen.

Zudem kann der Bauherr sowohl nach OR als auch nach SIA 118 bis zur Vollendung des Werkes jederzeit vom Vertrag zurücktreten (Art. 377 OR bzw. Art. 184 SIA 118). Er hat dabei Vergütung für die bereits geleistete Arbeit des Unternehmers zu leisten und diesen voll schadlos zu halten. Zu beachten ist dabei, dass dabei nach SIA eine für den Unternehmer vorteilhaftere Berechnungsmethode der Schadloshaltung zum Tragen kommt.

Grundsätzlich erkennt die Rechtsprechung, unabhängig davon, ob die SIA 118 in den Vertrag einbezogen ist, oder nicht, eine Auflösung des Werkvertrages aus wichtigem Grund an. Die Frage, ob die derzeitige Situation eine Auflösung aus wichtigem Grund dergestalt rechtfertigt, dass sie keine Schadenersatzansprüche des Unternehmers oder Planers nach sich ziehen würde, ist aktuell noch unklar. Hierzu gibt es keine Rechtsprechung.

3. Empfehlung 

Sowohl Bauherrn als auch für Unternehmer sollten den abgeschlossenen Vertrag im Einzelfall genau prüfen (lassen). Vielfach sind hier vom gesetzlichen Leitbild oder von der SIA 118 abweichende Regelungen vereinbart. Es kommt z.B. häufig vor, dass die Parteien Gründe, die zur Fristenerstreckung berechtigen, abschliessend oder beispielhaft aufzählen und andererseits ist in bauherrenfreundlichen Standardwerkverträgen in aller Regel eine Geltendmachung von Mehrkosten gestützt auf Art. 373 OR und Art. 59 SIA 118 ausgeschlossen.

Es empfiehlt sich, die Vorgaben des Bundeamtes für Gesundheit betreffend Hygiene und sozialer Distanz unbedingt einzuhalten, um keine behördliche Schliessung der Baustelle zu riskieren.

Sodann sollten Unternehmer, sobald eine Verzögerung absehbar ist, diese dem Bauherrn unverzüglich anzeigen, denn nur dann besteht ein Anspruch auf Fristenerstreckung nach der SIA 118. Zudem sollte die Einwilligung des Bauherrn zu allfälligen Beschleunigungsmassnahmen eingeholt werden.

Es bleibt festzuhalten, dass die COVID-19-Pandemie auf das Verhältnis zwischen Unternehmer und Bauherrn wie auch auf die restliche Bevölkerung grosse Auswirkungen hat. Es empfiehlt sich daher in jedem Fall, dass Unternehmer und Bauherr partnerschaftlich miteinander sprechen und gemeinsam eine Lösung suchen, um die Auswirkungen dieser Situation für beide Seiten so gering wie möglich zu halten.

 

Veröffentlichung
Die Auswirkungen von COVID-19 auf Werkvertraege | MODULØR 3 / 2020

Autoren

Foto vonSibylle Schnyder
Dr. Sibylle Schnyder, LL.M.
Partnerin
Zürich