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Aufrechnung im Insolvenzverfahren

17/03/2016

Seit vielen Jahren war in Lehre und Rechtsprechung strittig, ob eine Aufrechnung von Forderungen des Gläubigers mit seiner Verbindlichkeit gegenüber einem in Insolvenz verfallenen Geschäftspartner in einem laufenden Insolvenzverfahren überhaupt noch möglich ist. Vor wenigen Monaten bejahte dies der OGH in einem verstärkten Senat:1

Wer eine Gegenforderung gegen ein insolventes Unternehmen hat, muss diese nicht im Rahmen des Insolvenzverfahrens anmelden. Allerdings bedeutet das nicht, dass der Insolvenzgläubiger gänzlich untätig sein kann und sich auf die Aufrechnung seiner Forderung verlassen darf.

Ein Insolvenzgläubiger muss spätestens während des Insolvenzverfahrens eine Aufrechnungserklärung abgeben. Gibt er keine entsprechende Aufrechnungserklärung ab, droht ihm, dass er lediglich mit der im Insolvenzverfahren festgesetzten Quote aufrechnen kann. Der OGH stellt klar, dass die österr. Insolvenzordnung (IO) –anders als in anderen Staaten – auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Aufrechnung zulässt. Die schuldbefreiende Wirkung der Aufrechnung tritt sofort ein, auch wenn die Gegenforderung abweichend zu § 1438 ABGB nicht auf eine Geldleistung gerichtet war.

Bereits die historische Interpretation2 sowie die terminologische Interpretation des § 19 IO stellen klar, dass ein Aufrechnungsberechtigter seine Gegenforderung nicht anmelden muss. Keine Aussage enthalten §§ 19ff IO, ob nach Abschluss des Sanierungsplans eine Aufrechnung mit der im Insolvenzverfahren zu bestimmenden Quote oder mit der Forderung in voller Höhe zu machen ist.

Der verstärkte Senat setzte sich eingehend mit zahlreichen Ansichten des Schrifttums auseinander und stellte zudem klar, dass eine aufrechenbare Gegenforderung kein Absonderungsrecht oder eine analoge Gesetzesanwendung des § 149 IO begründe.

Ein Absonderungsrecht der Gegenforderung und eine analoge Anwendung des § 149 Abs 1 IO kommt nicht in Betracht, weil – so der OGH – eben kein eigenständiges Sicherungsrecht besteht. Der Aufrechnungsberechtigte verfügt anders als ein Pfandgläubiger über kein Absonderungsgut, das er verwerten könnte. Die Absonderung soll nämlich die Einbringlichkeit der Forderung sichern – also die Schuld besichern –, die Aufrechnung hingegen dient primär als Erfüllungssurrogat und hat keine Sicherungsfunktion.

In der Praxis kommt der Fall häufig vor, dass ein Auftrag an ein bestimmtes Unternehmen vergeben wird, die Leistung aber mangelhaft ist. So zahlt beispielsweise der Auftraggeber nur einen Teil des vereinbarten Entgelts und macht seinerseits eine Gegenforderung in Höhe des Mangels geltend. Üblicherweise werden die beiden Forderungen gem § 1438 ABGB miteinander aufgerechnet.

Häufig hat der Aufrechungsberechtigte aber einen guten Grund, nicht sofort aufzurechnen. Ist die Höhe des angemessenen Werklohns oder die Bewertung des Mangels strittig, so könnte in der Aufrechnungserkläung ein konkludentes Anerkenntnis der Forderung gewertet werden. Daher könnte das beauftragte Unternehmen einwenden, dass der Werklohn durch die Aufrechnungserklärung schlüssig anerkannt wurde. Zumeist werden in derartigen Fällen sog prozessuale Eventualaufrechnungen vorgenommen (Man beachte: eine außergerichtliche Eventualanfechtung wäre hingegen ohne Anerkennung der Gegenforderung unwirksam!). Darin wird der Anspruch des Gegners grundsätzlich bestritten, eventualiter wird eine aufrechenbare Gegenforderung eingewendet. Ist kein Zivilprozess anhängig, wird die bloße Eventualaufrechnung nach bisheriger Rsp nicht anerkannt.

Der verstärkte Senat traf jedoch keine klarstellenden Ausführungen zur Eventualaufrechnung und merkte bloß an, dass dies für den gegenständlichen Fall nicht zu beurteilen ist. Leider hat der OGH die Gelegenheit nicht wahrgenommen, umfassend und abschließend zur Aufrechnung im Insolvenzverfahren Stellung zu nehmen. Bestehen bleibt die höchstgerichtliche Klarstellung, entsprechende Aufrechnungserklärungen abzugeben, damit der Gläubiger das Risiko, auf die Quote reduziert zu werden, zu vermeidet.


1.) OGH 01.12.2015, 6 Ob 179/14p (verstärkter Senat).
2.) Vgl die Vorgängerbestimmung § 20 S1 CO 1868, RGBl 1869/1.

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Johannes Reich-Rohrwig
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Wien