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Verletzung der Pflicht zur Ad-hoc-Mitteilung: OGH zieht Grenzen

2015-02

Ausgangssituation: uferlose Haftung

Im Jahr 2012 hatte der OGH ausgesprochen, dass börserechtliche Informationsbestimmungen – allen voran die Ad-hoc Publizitätspflicht (§ 48d BörseG) und das Verbot der Marktmanipulation (§ 48a Abs 1 Z 2 lit c BörseG) – Schutzgesetze darstellen, bei deren Verletzung Emittenten schadenersatzpflichtig werden kann. Die Gerichte hatten daraufhin die Latte für eine Haftung äußerst niedrig angesetzt.

Eine aktuelle OGH-Entscheidung vom 20.3.2015 erlegt nun dem Anleger die Beweislast dafür auf, dass er überhaupt von der (unterbliebenen) Ad-hoc-Mitteilung Kenntnis genommen und dann seine Veranlagung anders vorgenommen hätte.

Die Erfahrung zeigt, dass kaum ein Privatanleger von Ad-hoc Meldungen Notiz nimmt, geschweige denn diese liest, sodass Ad-hoc-Mitteilungen im Regelfall keinen Einfluss auf seine Veranlagungsentscheidung haben. Grundvoraussetzung jedes Schadenersatzanspruches ist aber ein kausaler Zusammenhang zwischen der behaupteten Gesetzesverletzung und dem Schaden des Anlegers. Hier hatten in den letzten Jahren die Untergerichte eine äußerst anlegerfreundliche Haltung eingenommen, weil sie nicht darauf abgestellt haben, ob ein Anleger die unrichtige oder irreführende Information tatsächlich gelesen und im Vertrauen darauf seine Veranlagungsentscheidung getroffen hat, oder ob er eine unterlassene Ad-hoc Meldung im theoretischen Fall (wäre sie nicht unterlassen worden) gelesen und verstanden hätte und diese Meldung Einfluss auf seine Vermögensdisposition gehabt hätte. Vielmehr wurde angenommen, dass der erste Anschein dafür spreche, dass die Veröffentlichung einer (richtigen) Information den Kurs jedenfalls (negativ) beeinflusst und diesfalls der Anleger nicht investiert hätte. Nach dieser Ansicht wird das Vertrauen des Anlegers auf den "richtigen" Kurs geschützt die sogenannte Anlagestimmung. Damit würde die Haftung von Emittenten im Falle der Verletzung börserechtlicher Informationsbestimmungen uferlos und in so gut wie jedem Fall schlagend, weil nach Feststehen der Verletzung der Informationspflicht (egal wie schwerwiegend oder nicht) die unüberprüfbare und damit unbekämpfbare Überzeugung des Gerichts ausschlaggebend wäre, dass sich der Kurs bei rechtmäßigen Verhalten des Emittenten negativ entwickelt hätte und zwar ohne dass es zur Untermauerung dieser Annahme eines (teuren) Sachverständigengutachtens oder eines sonstigen Beweises bedarf. Den Nachweis, dass der Anleger im Falle negativer Kursschwankungen vor dem Erwerb nicht investiert hätte, kann der Anleger allein durch seine eigene Aussage unschwer führen.

Damit haben die Gerichte nicht nur unterstellt, dass es einen „richtigen“ Börsekurs gäbe, sondern den Anleger de facto von jeglicher Beweispflicht befreit, weil der Emittent nachweisen müsste, dass sich der Kurs auch bei rechtmäßigem Verhalten nicht anders oder sogar positiv entwickelt hätte, was eine Umkehr der Beweislast bedeutet. Da dies allgemein bei Schutzgesetzverletzungen nicht so ist, wäre ein Anlegersonderrecht durch Richterspruch geschaffen worden.

Die Entscheidung des OGH

Der OGH setzt sich in seiner jüngsten Entscheidung zu 9 Ob 26/14k vom 20.3.2015 erstmalig mit diesen Fragen des Schutzzwecks der börserechtlichen Informationsbestimmungen, der Kausalität, der Beweislast und dem Beweismaß auseinander und stellt die nachstehenden Grundsätze auf:

1. Schutzzweck ist das Vertrauen auf die gesetzlich gebotene Information

Für einen Schadenersatzanspruch muss der Entschluss des Anlegers zum Erwerb der Aktien auf der unwahren oder unterlassenen Veröffentlichung der Insider-Information beruhen. Der Schutzzweck der börserechtlichen Informationsbestimmungen umfasst den Schutz des Vertrauens der Anleger auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der kapitalmarktrechtlich gebotenen Informationen.

2. Keine Umkehr der Beweislast

Die Verletzung des Verbots der Marktmanipulation und der Ad-hoc Publizitätspflicht führt nicht zur Vermutung, diese sei ursächlich für den Eintritt des Schadens gewesen. Damit ist klargestellt, dass den Anleger die Beweislast dafür trifft, dass der Schaden durch die behauptete Verletzung dieser Bestimmungen verursacht wurde. Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, geht dies zu seinen Lasten.

3. Kausalität und Beweismaß

Im Zusammenhang mit einer unterlassenen Ad-hoc-Meldung ist zu fragen, (i) ob der Kläger bei Einhaltung der gebotenen Ad-hoc-Meldepflicht vom Inhalt der Mitteilung erfahren hätte und, wenn dies der Fall ist, (ii) ob er dann eine andere (oder keine) Veranlagungsentscheidung getroffen hätte.

Für die erste Frage, ob der Kläger bei Einhaltung der Ad-hoc-Meldepflicht vom Inhalt der Mitteilung erfahren hätte, kommt es nicht auf die eigene Lektüre von Ad-hoc-Meldungen durch den Anleger an, weil der Informationsgehalt von Ad-hoc-Meldungen von Anlegern typischerweise nicht aus der Ad-hoc-Meldung selbst, sondern über die an sie anknüpfenden Informationsquellen, wie Berater, bezogen wird, sind Ad-hoc-Meldungen doch dazu angetan, erst über Finanzintermediäre den Markt zu erreichen. Im Fall der unterlassenen Ad-hoc-Meldung kommt dem Anleger wie auch sonst bei der Kausalität von Unterlassungen ein reduziertes Beweismaß zugute: Für den Nachweis der Kausalität durch den Anleger ist es ausreichend, wenn mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" feststeht, dass ihm der Inhalt der unterlassenen Ad-hoc Meldung im Fall der Publikation zur Kenntnis gelangt wäre.

Für die zweite Frage nach dem Willensentschluss zur Veranlagungsentscheidung selbst gilt dies nicht, weil sich der Anleger in keinem ein herabgesetztes Beweismaß rechtfertigenden Beweisnotstand befindet – er muss wissen, was er warum getan hätte. Er hat daher nachvollziehbare Gründe darzutun, dass er in Kenntnis des Inhalts einer Ad-hoc-Meldung eine andere Veranlagungsentscheidung getroffen hätte. Dabei spielen insbesondere der konkrete Inhalt der gebotenen Meldung und die zeitliche Nähe des Erwerbs eine Rolle. Insoweit kommt das sogenannte Regelbeweismaß im Zivilprozeß zur Anwendung: der Anleger muss also nachweisen, dass sein Willensentschluss mit "hoher Wahrscheinlichkeit" ein anderer gewesen wäre.

Im Falle einer veröffentlichten Ad-hoc Meldung scheint der OGH dieselben Grundsätze anzuwenden, was aber einer früheren Entscheidung zur Marktmanipulation widerspricht: In 8 Ob 104/12w hatte der OGH noch ausgeführt, dass der Marktmanipulationstatbestand (§ 48a Abs 1 Z 2 lit c BörseG) auch den einzelnen Anleger davor schützen soll, dass er auf inkriminierte Informationen, die von Fachleuten oder über Medien verbreitet werden, vertraut und seiner Veranlagungsentscheidung zugrunde legt. Bei der irreführenden oder falschen Ad-hoc Meldung (§ 48d BörseG) muss richtigerweise dasselbe gelten.

Fazit

Die neue Entscheidung des OGH bringt damit die Frage der Haftung für Verletzungen von börserechtlichen Informationspflichten zurück zu den Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechts. Das Vertrauen auf „richtige Börsekurse“ ist nicht der Schutzzweck der Bestimmungen, sondern jenes in die aktuelle und richtige Information. Zutreffend verweist der OGH auf den Charakter der Ad-hoc-Meldung als Momentaufnahme, weshalb zwischen dem Erwerb des Anlegers und der inkriminierten Ad-hoc Meldung ein zeitliches Naheverhältnis bestehen muss, um glaubhaft von einem Einfluss auf die Anlageentscheidung auszugehen. Gleichzeitig wird auf den Inhalt der Meldung verwiesen, sodass im Ergebnis folgendes gilt: je mehr Zeit zwischen der inkriminierten Ad-hoc Meldung und dem Erwerb des Anlegers verstrichen ist, desto schwerwiegender und nachvollziehbarer müssen die Gründe dafür sein, dass der Anleger bei Kenntnis der Information nicht investiert hätte, was wiederum voraussetzt, dass der Inhalt der Meldung entsprechend relevant und gravierend war bzw gewesen wäre. Der OGH erkennt richtig, dass nicht jede Tatsache (Insider-Information) für eine Anlegerentscheidung gleich ausschlaggebend ist; auch andere Faktoren können für die Erwerbsentscheidung bestimmend sein; der Wert einer Ad-hoc-Meldung kann sich aufgrund ihres Charakters als Momentaufnahme im Zeitverlauf auch verlieren.

Unklar ist das Verhältnis der Aussagen des OGH in dieser Entscheidung zum Fall tatsächlich veröffentlichter Ad-hoc Meldungen zu jenen in 8 Ob 104/12w und zur ständigen Rechtsprechung, dass die Anforderungen an den Beweis des hypothetischen Kausalverlaufs nur bei einer Schädigung durch Unterlassen geringer sind, weil die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten lassen. Nicht einzusehen ist, warum eine tatsächlich veröffentlichen Ad-hoc Meldung / Information, die ein positives Tun darstellt, wie eine unterlassene Information behandelt würde, sodass der Anleger in den Genuss der damit verbundene Reduzierung des Beweismaßes auf den Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit kommt. Warum es im Falle einer veröffentlichten Information nicht darauf ankommen soll, dass die veröffentlichte Information den Anleger tatsächlich erreicht und er im Hinblick darauf disponiert hat, was mit dem Regelbeweismaß der "hohen Wahrscheinlichkeit" nachzuweisen ist, ist nicht ganz nachvollziehbar; diese Frage wird wohl Gegenstand weiterer oberstgerichtlicher Entscheidungen sein.

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