Zahlreiche (intakte) Geschäftsbeziehungen stehen aktuell vor dem Problem, dass Leistungen aufgrund des nunmehr auch in Mitteleuropa grassierenden Coronavirus nicht mehr ordnungsgemäß erfüllt werden können. Vor allem stellt sich die Frage, wer die wirtschaftlichen Konsequenzen dieser Ausnahmesituation zu tragen hat, zumal keine der Parteien Schuld daran trägt und die Zusammenarbeit oft bereits seit Jahren tadellos funktioniert. Nachfolgend finden Sie einen kurzen Überblick über die Folgen und Instrumente, welche die österreichische Rechtsordnung für derartige Fälle vorsieht, und worauf Ihr Unternehmen bei den Schritten aus der Corona-Krise primär zu achten hat.
1. Was bedeutet „höhere Gewalt“?
In einem ersten Schritt ist zunächst zu prüfen, ob COVID-19 „höhere Gewalt“ im Sinne der österreichischen Rechtsordnung ist.
Im Gegensatz zu Rechtsordnungen anderer Länder verfügt das österreichische Rechtssystem über keine Legaldefinition des Begriffs „höhere Gewalt“. Dennoch hat sich im Laufe der Zeit in Lehre und Rechtsprechung eine allgemein anerkannte Definition entwickelt. Demzufolge handelt es sich bei „[…] höherer Gewalt um ein von außen einwirkendes elementares Ereignis, das auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt nicht zu verhindern war, und so außergewöhnlich ist, dass es nicht als typische Betriebsgefahr anzusehen ist".
Dass COVID-19 von dieser Definition umfasst ist, kann jedenfalls angenommen werden, zumal der OGH bereits im Jahr 2005 das damals in Europa für weit weniger Probleme sorgende Virus SARS ebenfalls als „höhere Gewalt“ eingestuft hat.
2. Welche vertraglichen Vereinbarungen wurden getroffen?
Die in diesem Beitrag erläuterten Bestimmungen zur Risikotragung sind allesamt dispositiver Natur und sollen kommen nur zur Anwendung, wenn vertraglich nichts Anderweitiges vereinbart wurde.
Die unten genannten gesetzlichen Bestimmungen an die individuellen Bedürfnisse vertraglich anzupassen ist daher zulässig und in der Praxis auch durchaus üblich.
In einem ersten Schritt ist daher stets eine etwaige vertragliche Regelung genauer zu untersuchen. Nur wenn eine solche nicht besteht, kommen die gesetzlichen Bestimmungen zur Anwendung. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine vom Gesetz abweichende Regelung bezüglich „höherer Gewalt“ an den Grenzen der Sittenwidrigkeit zu messen ist. Ab wann eine Klausel nicht mehr den guten Sitten der österreichischen Rechtsordnung entspricht und damit ungültig ist, muss stets im Einzelfall beurteilt werden.
3. Wann befindet sich eine Partei in Verzug? Welche Fallkonstellationen gibt es?
• Schuldnerverzug
Der Schuldner befindet sich in Verzug, wenn er seine aus dem Vertrag stammende Verbindlichkeit nicht zur gehörigen Zeit, am gehörigen Ort oder auf die bedungene Weise erfüllt.
Weiters unterscheidet das Gesetz zwischen objektivem (kein Verschulden des Schuldners) und subjektivem (Verschulden des Schuldners) Verzug. Ist dem Schuldner der Verzug nicht vorwerfbar (objektiver Verzug), so steht es dem Gläubiger offen, entweder am Vertrag festzuhalten oder aber unter der Setzung einer Nachfrist vom Vertrag zurückzutreten. Die Rechtsfolgen des subjektiven Schuldnerverzuges entsprechen grundsätzlich jenen des objektiven. Zusätzlich kommt dem Gläubiger in diesem Fall jedoch ein Schadenersatzanspruch zu.
Kann ein Unternehmen daher aufgrund der aktuellen Corona-Krise seine Leistung (z.B. die Lieferung einer Ware) nicht ordnungsgemäß erbringen, so befindet es sich in (objektivem) Schuldnerverzug. In diesem Fall ist es jedenfalls wichtig, den Vertragspartner über die eingetretene Verzugslage zu informieren und diesen dabei zu unterstützen, den durch die ausgefallene Lieferung entstandenen Schaden möglichst gering zu halten. Kommt man dieser Pflicht nicht nach, so können auch im objektiven Schuldnerverzug Schadenersatzpflichten gegenüber dem Vertragspartner entstehen. In weiterer Folge hat der Gläubiger nun die Wahl zwischen einer späteren Vertragserfüllung und dem Rücktritt vom Vertrag. Letzteres – wie oben dargestellt – ist nur unter Setzung einer angemessenen Nachfrist möglich.
• Gläubigerverzug
Demgegenüber gerät ein Gläubiger in Verzug, wenn er die vom Schuldner ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht annimmt. Der Gläubiger kann daher nur in Verzug geraten, wenn der Schuldner zunächst ordnungsgemäß seine Leistung angeboten hat und sich demzufolge nicht in Verzug befindet.
Es ist keine Pflicht des Gläubigers, die Leistung des Schuldners anzunehmen, er begeht jedoch im Fall der Verweigerung der Annahme eine Obliegenheitsverletzung. Dies hat zur Folge, dass der Gläubiger sich im Falle des Untergangs der Sache nicht auf die nachträgliche Unmöglichkeit gemäß § 1447 ABGB (siehe dazu unten) berufen kann. Das Risiko für den Untergang der jeweiligen Sache geht demnach im vereinbarten Zeitpunkt der Übergabe auf den Gläubiger über. In diesem Zusammenhang ist allerdings wichtig zu verstehen, dass die Rolle des Gläubigers auch oft mit jener eines Schuldners verbunden ist. Verkauft z.B. Unternehmen A eine Maschine an Unternehmen B, so ist Unternehmen B betreffend den Erhalt der Maschine Gläubiger. In Bezug auf die Zahlung des Kaufpreises ist Unternehmen B jedoch gleichzeitig Schuldner.
Ist ein Gläubiger daher aktuell nicht in der Lage, die Leistung seines Vertragspartners anzunehmen, so befindet er sich (trotz fehlendem Verschulden) in Gläubigerverzug. Der Schuldner verfügt daher weiterhin über seinen Entgeltanspruch und trägt nicht mehr das Risiko für den zufälligen Untergang der jeweiligen Sache. Geht diese daher während des Gläubigerverzuges unter, kann der Schuldner weiterhin die Entgeltzahlung vom Gläubiger verlangen.
4. Unmöglichkeit der Leistungserbringung
Es stellt sich die Frage, welche Vertragspartei das Risiko für die Unmöglichkeit einer Leistung nach Vertragsabschluss zu tragen hat, wenn sich keine entsprechende Regelung im Vertrag befindet.
§ 1447 ABGB bezieht sich auf all jene Fallkonstellationen, in welchen die Unmöglichkeit der Leistungserbringung zwischen Vertragsabschluss und Erfüllung eintritt. Man spricht dabei von der sogenannten „nachträglichen Unmöglichkeit“. In diesem Fall kommt es zur Auflösung des betreffenden Vertrages und die Parteien werden von ihren vertraglichen Pflichten befreit. Hat der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten, so ist er gegenüber seinem Vertragspartner auch nicht ersatzpflichtig. Ist ihm der Eintritt der Unmöglichkeit aber vorwerfbar – weil er etwa keine angemessenen Vorsorgemaßnahmen für den Krisenfall getroffen hat – kann sich der Vertragspartner an ihm schadlos halten.
Zur Veranschaulichung kann hierzu z.B. auf die Austragung einer Sportveranstaltung verwiesen werden. Muss die Veranstaltung nämlich aufgrund einer behördlichen Anordnung abgesagt werden, so ist wohl von nachträglicher Unmöglichkeit auszugehen. Dies hätte konkret zur Folge, dass der Veranstalter nicht mehr verpflichtet wäre, die Veranstaltung auszutragen. Demgegenüber sind die potenziellen Besucher jedoch auch berechtigt, das bereits geleistete Entgelt für die Eintrittskarten zurückzufordern bzw. müssten dieses nicht mehr bezahlen. Zudem ist die Unmöglichkeit aufgrund der behördlichen Anordnung nicht vom Veranstalter zu vertreten, weshalb er dadurch eingetretene Mehrkosten auf Seiten der Besucher (z.B. Kosten für bereits bezahlte Fahrkarten zum Veranstaltungsort) auch nicht zu ersetzen hat.
5. Wegfall der Geschäftsgrundlage
Der wesentliche Unterschied zwischen den §§ 1447 (dazu oben) und 901 ABGB liegt darin, dass in Fällen des § 901 ABGB die Leistung zwar nach wie vor möglich ist, sie allerdings aufgrund der vorliegenden Umstände nicht zumutbar ist.
Dabei ist zu beachten, dass davon nur Umstände erfasst sind, mit welchen normalerweise bei Vertragsabschluss zu rechnen war und deren plötzliche Änderung auch nicht absehbar war. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2001 hat der OGH eine derartige Unzumutbarkeit festgestellt als im Zielland einer Reise Kriegszustand herrschte. Die Grenze zwischen zumutbaren und unzumutbaren Risiken im Sinne von § 901 ABGB verläuft allerdings fließend und bedarf stets einer einzelfallbezogenen Prüfung.
Die aktuelle Situation rund um die COVID-19-Pandemie zeigt, dass nicht immer (ausreichende) vertragliche Regelungen mit Bezug auf „höhere Gewalt“ vorgesehen wurden. Derartige Regelungen würden in Zeiten wie diesen jedoch für klarere Verhältnisse sorgen und viele Unternehmen vor Problemen bewahren.
Wir empfehlen daher, die aktuelle Situation zum Anlass zu nehmen, um sämtliche Verträge zu überprüfen und gegebenenfalls Regelungen betreffend „höhere Gewalt“ zu ergänzen.
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