In einer aktuellen Entscheidung äußert sich der Oberste Gerichtshof erstmals umfassend zur sog „Business Judgment Rule“. Das Höchstgericht erhebt die Business Judgment Rule hierbei zu einem rechtsformübergreifenden Grundsatz und verfestigt den weiten Ermessenspielraum der Geschäftsleiter (Vorstand, Geschäftsführer) bei unternehmerischen Entscheidungen.
Dass Gerichte fehlgeschlagene Entscheidungen von Managern nachprüfen und es dann „besser wissen“, wie die Entscheidung richtig zu treffen gewesen wäre, ist ein häufig anzutreffendes Problem und ein enormes Haftungsrisiko für Geschäftsleiter. Im Kern der Kritik stand hierbei die mangelnde Bereitschaft der Gerichte und Strafverfolgungsbehörden, sich in die Entscheidungssituation unter Ungewissheit zu versetzen und ein weites unternehmerisches Ermessen anzuerkennen. Dieser Kritik folgend und in enger Anlehnung an die deutsche Rechtslage verankerte der Gesetzgeber im Jahr 2015 die sog Business Judgment Rule in Aktiengesellschafts- und GmbH-Recht, welche eine konsequente ex-ante Betrachtung von unternehmerischen Entscheidungen normiert1. Die Gerichte sollen die Sorgfältigkeit einer unternehmerischen Entscheidung daher nicht mehr anhand des Ergebnisses ex post sondern anhand des Prozesses der Entscheidungsfindung, unter Berücksichtigung aller Unwägbarkeiten des Geschäftslebens, beurteilen.
In seiner grundlegenden Entscheidung (OGH 6 Ob 160/15w) sprach der Oberste Gerichtshof nun aus, dass die Business Judgment Rule als allgemeiner Rechtsgrundsatz schon vor Bekräftigung durch den Gesetzgeber galt und zudem nicht bloß auf die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und die Aktiengesellschaft beschränkt ist. Ausdrücklich wendet der OGH die Business Judgment Rule auch auf Privatstiftungen an, darüber hinaus dürfte sie im Grunde auf jede unternehmerische Entscheidung von Gesellschaftsorganen anwendbar sein, wie beispielweise in Personengesellschaften, Genossenschaften, Vereinen uvm.
Kriterien der Business Judgment Rule
Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs sind alle unternehmerischen Entscheidungen, die ein Geschäftsleiter (dh Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder und sonstige Leitungsorgane) trifft, anhand folgender Kriterien zu überprüfen:
- Der Geschäftsleiter darf sich nicht von sachfremden Interessen leiten lassen.
- Die Entscheidung muss auf Grundlage angemessener Information getroffen werden.
- Die Entscheidung muss ex ante betrachtet offenkundig dem Wohl der juristischen Person dienen.
- Der Geschäftsleiter muss (vernünftigerweise) annehmen dürfen, dass er zum Wohle der juristischen Person handelt (dh insb Gutgläubigkeit hinsichtlich der übrigen Kriterien)
Erfüllt eine unternehmerische Entscheidung all diese Anforderungen, handelt der Geschäftsleiter jedenfalls nicht sorgfaltswidrig. Er bleibt daher haftungsfrei und ihm kann auch keine Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden, die seine Abberufung aus wichtigem Grund rechtfertigen würde. Aus der konsequenten Anwendung der Business Judgment Rule folgt daher auch, dass zwei gegenteilige Handlungsalternativen sorgfaltskonform sein können, wie der OGH unter Verweis auf J. Reich-Rohrwig2 erstmals ausdrücklich festhält.
In der Praxis sind die ersten beiden Kriterien der Business Judgment Rule von besonderer Bedeutung. Jede Interessenkollision bei Entscheidungen, sei es weil der Geschäftsleiter (oder nahe Angehörige oder Unternehmen, an denen er oder seine nahen Angehörigen beteiligt sind) einen persönlichen Vorteil aus seiner Entscheidung zieht oder sich von gesellschaftsfremden Einflüssen – wozu auch Gesellschafter zählen können – leiten lässt, nimmt ihm den „sicheren Hafen“, den die Business Judgment Rule ansonsten böte.
Von nicht minderer Bedeutung ist die Entscheidung auf Grundlage angemessener Information. Wer eine Entscheidung „aufs Geratewohl“ ohne hinreichenden Informationen trifft, kann sich nicht auf die Business Judgment Rule berufen. Bei der Frage, wie umfangreich die Informationsbeschaffung sein muss, was mithin als „angemessen“ gilt, wird man dem Geschäftsleiter jedoch ein weites Ermessen zugestehen müssen. Bedeutung, Komplexität und Dringlichkeit einer unternehmerischen Entscheidung prägen die Anforderungen an die Informationsbeschaffung. So kann es auch sorgfältig sein, eine komplexe Entscheidung von hoher Bedeutung für die Gesellschaft auf Grundlage bloß begrenzter Informationen zu treffen, wenn bspw hoher Zeitdruck besteht. Dringend zu empfehlen ist Geschäftsleitern jedenfalls, die Entscheidungsgrundlagen sorgfältig zu dokumentieren; dies schon, zumal Haftungsprozesse so gut wie immer erst Jahre im Nachhinein entschieden werden und den Geschäftsleiter weitgehend die Beweislast für sein sorgfaltskonformes Handeln trifft.
Legalitätspflicht
Als ungeschriebener Stolperstein der Business Judgment Rule lässt sich die strenge Legalitätspflicht des Vorstandes nennen, die der Oberste Gerichtshof in seiner aktuellen Entscheidung deutlich betont: Geschäftsleiter die das Gesetz, die Satzung, die Geschäftsordnung oder auch den Anstellungsvertrag verletzen, können sich nicht auf die Business Judgment Rule berufen; dem Geschäftsleiter kommt daher kein Ermessenspielraum zur Normenüberschreitung zu.
Insbesondere kompetenzrechtliche Vorschriften, wie bspw Ressortverteilungen, Zustimmungspflichten des Aufsichtsrates, der Gesellschafter oder Konsultationsrechte rücken hierbei in den Fokus und sind penibel einzuhalten.
Differenziert zu beurteilen ist die Legalitätspflicht, wenn Gesetze oder sonstige, den Geschäftsleiter bindende Vorschriften, unklar oder auslegungsbedürftig sind. Hier kommt nach der jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshof zwar die Business Judgment Rule im engeren Sinn nicht zur Anwendung, allerdings bleibt der Geschäftsleiter haftungsfrei, wenn er eine vertretbare Rechtsansicht einnimmt. Eine solche liegt bei Einholung einer qualifizierten und unabhängigen Rechtsauskunft regelmäßig vor, wobei der deutsche Bundesgerichtshof zusätzlich noch eine Plausibilitätskontrolle durch den Geschäftsleiter verlangt. Tatsächlich erinnern diese Kriterien stark an die Business Judgment Rule (angemessene Information, Gutgläubigkeit), was auch insofern sachgerecht ist, als eine Entscheidung unter rechtlicher Unsicherheit mit einer Entscheidung unter tatsächlicher Unsicherheit vergleichbar ist. In der Praxis ist hierbei auf die umfassende Offenlegung des Sachverhalts gegenüber dem Rechtsberater zu achten, andernfalls das Vertrauen in dessen Rechtsauskunft nicht geschützt ist. Dasselbe gilt bei „Gefälligkeitsgutachten“.
Nichteinhaltung der Business Judgment Rule
Die Nichteinhaltung der Business Judgment Rule bedeutet schließlich nicht automatisch eine Erfolgshaftung des Geschäftsleiters, wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls festhält. Als Konsequenz folgt lediglich die volle inhaltliche Nachkontrolle der Geschäftsleiterentscheidung, die jedoch weiterhin aus einer ex-ante Perspektive zu erfolgen hat.
1.) Unser Partner Univ.-Prof. Dr. Johannes Reich-Rohrwig war in die Gesetzgebung involviert.
2.) in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG [2015] § 25 Rz 34.
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