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Ist die Zwangspensionierung von Arbeitnehmerinnen 60+ rechtlich zulässig?

13/12/2017

Immer wieder nehmen Arbeitgeber das Erreichen des Pensionsantrittsalters zum Anlass den Arbeitsvertrag bei Frauen vor dem gesetzlichen Pensionsalter der Männer durch Kündigung oder (Höchst-)Befristungsregelungen zu beenden. Allerdings stellt sich die Frage: Ist diese Zwangspensionierung rechtlich zulässig? 

Der Anspruch auf die Regelpension setzt nach dem Allgemeinen Pensionsgesetz das Erreichen des Regelpensionsalters und die Erfüllung der Mindestversicherungsdauer (von 180 Versicherungsmonaten) voraus. Das Regelpensionsalter wurde für Männer und Frauen einheitlich mit dem 65. Lebensjahr festgelegt. Für Arbeitnehmerinnen, die das 60. Lebensjahr vor dem 1.1.2024 vollenden, gilt allerdings weiterhin ein Regelpensionsalter von 60 Lebensjahren. Hat eine Arbeitnehmerin hingegen am 1.1.2024 oder später Geburtstag, erhöht sich das Pensionsantrittsalter pro Jahr um sechs Monate bis zur Gleichstellung mit dem Pensionsalter der Männer. Diese Angleichung des für Frauen (60. Lebensjahr) und Männer (65. Lebensjahr) unterschiedlichen Pensionsalters wird erst 2033 vollständig abgeschlossen sein. Das Unionsrecht steht dieser Rechtslage nicht entgegen. Nach Art 7 Abs 1 lit a der Gleichbehandlungsrichtlinie soziale Sicherheit 79/7/EWG verbleibt die Kompetenz zur Festlegung des Pensionsantrittsalters bei den Mitgliedstaaten.

Immer wieder knüpfen Arbeitgeber an diese Rechtslage an und nehmen das Erreichen des Pensionsantrittsalters zum Anlass, den Arbeitsvertrag durch Kündigung oder
(Höchst-)Befristungsregelungen zu beenden. Für viele, aber nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellt dies nach einem langen Arbeitsleben auch kein Problem dar. Manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehen ihren Lebensmittelpunkt aber noch nicht allein im Privatleben oder – dies ist häufiger – müssen erkennen, dass die Kosten ihrer Lebensführung die Pensionsleistungen übersteigen und sie daher weiterhin auf Erwerbsarbeit angewiesen sind. Es stellt sich daher die Frage, welche Handhabe gerade Arbeitnehmerinnen gegen arbeitgeberseitige Beendigungen haben.  

Unionsrecht: Alter und Geschlecht dürfen nicht als Grund für die Beendigung herangezogen werden

Einen wirksamen Schutz gegen Kündigungen wegen des Alters oder des Geschlechts bietet zunächst das Unionsrecht. Die Gleichstellungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG, die u.a. Diskriminierungen wegen des Alters verbietet, sowie die Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung 2002/73/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern, wurden in Österreich durch das Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt. Dieses verbietet u.a. unmittelbare Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts. Diese liegen vor, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation, etwa bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt. Kündigt der Arbeitgeber Frauen aufgrund des derzeit noch ungleichen Pensionsantrittsalters früher als Männer, so knüpft der Arbeitgeber in einer vergleichbaren Situation unmittelbar an das Geschlecht an und behandelt damit ungleich. Dementsprechend hat der EuGH in der Sache Kleist (C-356/09) entschieden, dass eine Kollektivvertragsnorm (und wohl auch eine gesetzliche Regelung), die einem Arbeitgeber erlaubt, Arbeitnehmer zu kündigen, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben, eine verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn Frauen diesen Anspruch früher erwerben als Männer. Gleichermaßen soll  nach Ansicht des OGH die Befristung eines Arbeitsvertrags mit dem für Männer und Frauen unterschiedlichen gesetzlichen Pensionsantrittsalter eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellen, die nicht gerechtfertigt werden kann (8 Ob A 69/13z). Das Arbeitsverhältnis bestand daher über den Ablauf der Befristung hinaus fort. Das gegenständliche OGH-Urteil erfolgte ebenfalls nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH in der Sache Kuso (C-614/11) und war durch diese bereits vorgezeichnet.

Allgemeiner Kündigungsschutz: Soziale Dimension von Kündigungen muss berücksichtigt werden

Ungeachtet dessen ist gerade bei der Kündigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der allgemeine Kündigungsschutz von besonderer Bedeutung. Arbeitnehmer in betriebsratspflichtigen Betrieben können Kündigungen anfechten, wenn diese sozial ungerechtfertigt sind, also wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden. Sind wesentliche soziale Interessen betroffen, muss die Kündigung durch betriebliche oder in der Person gelegene Gründe gerechtfertigt sein. Nach der Judikatur des OGH ist bei der Frage nach der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen die Berücksichtigung der gesamten Lebensverhältnisse des gekündigten Arbeitnehmers geboten. Dabei sind primär die Lebenshaltungskosten und die regelmäßigen Einkünfte des Arbeitnehmers und seiner Familie gegenüber zu stellen. Bei der Kündigung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen stellt sich die Frage, welche Rolle die Pensionsleistungen in dieser Interessenabwägung spielen. In einer Grundsatzentscheidung erklärte der OGH, dass der Anspruch auf eine Alterspension eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen – und somit die Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit – zwar nicht per se ausschließe. Allerdings ist eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen nur in Ausnahmefällen, etwa bei nicht durchgehender Versicherungsdauer, anzunehmen. Bei Anspruch auf die gesetzliche Höchstpension ist die Kündigung keinesfalls sozialwidrig (OGH 8 ObA 53/04h).

Das Fazit: Aus diesen Ausführungen folgt nicht, dass Kündigungen von Arbeitnehmerinnen zwischen 60 und 65 generell unzulässig sind. Das Unionsrecht verhindert jedoch, dass Alter und Geschlecht als Grund für die Beendigung herangezogen werden. Über diesen Umweg werden Arbeitgeber dazu angehalten, die an sich begründungsfreie Kündigung zu rechtfertigen, also das Gericht davon zu überzeugen, dass Alter oder Geschlecht nicht Grund für die Beendigung waren. Flankierend tritt dazu noch der allgemeine Kündigungsschutz, der die soziale Dimension von Kündigungen berücksichtigt, jedoch nur in Ausnahmefällen ein taugliches Instrument zur Bekämpfung von Kündigungen bei Erreichen des Regelpensionsalters darstellt.

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