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Rücksichtslosigkeit bei der Kapitalerhöhung einer GmbH

2013-04

Wird das Bezugsrecht der Altgesellschafter bei der Kapitalerhöhung gewahrt, ist die Festsetzung eines dem inneren Wert der GmbH entsprechenden Agio – nach Auffassung des OGH – jedenfalls dann nicht notwendig, wenn alle Gesellschafter finanziell in der Lage sind, den auf sie entfallenden Teil der Kapitalerhöhung zu übernehmen.

Wenngleich der OGH im Falle des Ausschlusses des Bezugsrechts der Altgesellschafter anlässlich der Kapitalerhöhung die Festsetzung eines dem inneren Wert des Unternehmens entsprechenden Ausgabeaufschlags (Agio) verlangt, lehnt er eine derartige Verpflichtung im Falle, dass alle Altgesellschafter zur anteiligen Übernahme der Kapitalerhöhung zugelassen werden, also ihr Bezugsrecht nicht ausgeschlossen wird, ab, und zwar jedenfalls dann, wenn kein rechtsmissbräuchliches Motiv des Mehrheitsgesellschafters (wie etwa ein langfristig geplanter Hinauswurf des Minderheitsgesellschafters qua Gesellschafterausschlussgesetz) vorhanden ist und auch die übrigen Gesellschafter zur Teilnahme an der Kapitalerhöhung finanziell in der Lage sind. Der OGH sieht das andernfalls gegebene Erpressungspotenzial der Minderheitsgesellschafter als zu groß an (OGH 19.12.2012, 6 Ob 155/12f).

Nach dieser Auffassung des OGH kann demnach der Mehrheitsgesellschafter, der über eine qualifizierte (75%ige) Stimmenmehrheit verfügt, die Minderheitsgesellschafter in Zugzwang bringen, indem er sie quasi nötigt, zur Bewahrung ihrer Beteiligungsquoten und zur Vermeidung ihrer Verwässerung Gelder zu investieren, obwohl die Minderheitsgesellschafter auch langfristig nicht erwarten können, dass sich an der ggf. unbefriedigenden Geschäftsführung und Geschäftspolitik etwas bessert. Die Minderheitsgesellschafter müssen daher eine aggressive, expansive oder verlustbringende Geschäftspolitik des Geschäftsführers und des hinter ihm stehenden Mehrheitsgesellschafters und den dadurch verursachten Finanzierungsbedarf hinnehmen und stehen vor der Wahl, „gutes Geld dem schlechten Geld hinterher zu werfen“ oder – falls sie dies nicht tun – eine überproportionale (!) Verwässerung ihrer Beteiligung hinzunehmen. Nicht recht in Einklang zu bringen ist diese OGH-Entscheidung mit einer erst kürzlich ergangenen weiteren Entscheidung (OGH 6 Ob 47/11x), in der betont wurde, dass ein (Minderheits-) Gesellschafter in der GmbH nicht verpflichtet ist, Nachschüsse oder Finanzierungshilfen zu leisten. Die vorliegende OGH-Entscheidung zwingt hingegen den Minderheitsgesellschafter zu solchen finanziellen Leistungen, um einen sonst eintretenden unverhältnismäßigen Schaden, den der Mehrheitsgesellschafter einseitig herbeiführt und der sich bei Rücksichtnahme auf die Interessen der Minderheit durch richtige Gestaltung des Kapitalerhöhungsbeschlusses durch Festsetzung eines Agios ohne Weiteres vermeiden ließe, abzuwenden. Im Ergebnis schützt daher der OGH die – pointiert ausgedrückt – brutale Vorgangsweise des Mehrheitsgesellschafters mehr als die Minderheitsgesellschafter.

Dennoch ist verständlich, dass der OGH der Anfechtung des Kapitalerhöhungsbeschlusses hier nicht sofort Folge gibt, weil er auf diese Weise auch in die Gläubigerinteressen eingreifen würde und es tatsächlich für die Minderheitsgesellschafter ein „Erpressungspotenzial“ bedeuten würde, falls sie einen Kapitalerhöhungsbeschluss mit dem Argument eines nicht oder zu niedrig festgesetzten Agios bekämpften und auf diese Weise auf Prozessdauer, die mehrere Jahre betragen kann, Unsicherheit in die Gesellschaft hineintragen könnten, zumal sich über Bewertungen (als Vorfrage für die Höhe des Agios) trefflich streiten lässt.

Meines Erachtens wird der richtige Mittelweg darin zu sehen sein, dass zwar im gegenständlichen Fall – obwohl die Festsetzung eines Agios unterblieb – die Anfechtungsklage mit Rücksicht auf das in der Beseitigung der Kapitalerhöhung gelegene Erpressungspotenzial abgewiesen wird, dass aber sehr wohl Schadenersatzansprüche der Minderheitsgesellschafter gegenüber der Gesellschafter-Mehrheit zu bejahen sind, wenn diese es schuldhaft unterlässt, ein dem inneren Wert des Unternehmens entsprechendes Agio festzusetzen. Anhaltspunkte dafür gibt es in der Judikatur durchaus, wo nämlich in Vertragsverhältnissen – und ein solches besteht auch im Gesellschaftsverhältnis einer GmbH (vgl. OGH 6 Ob 570/94, exolex 1997, 99) – durchaus die Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Vertragspartners verpflichtend bejaht wird, bei sonstiger Schadenersatzpflicht (vgl. OGH 6 Ob 801/77; Treuepflicht im Sinne einer gebührenden Rücksichtnahme auf die Interessen des Absatzmittlers: OGH 9 ObA 8/91 u. 9/91; SZ 53/172). Nachdem auch bei der GmbH die Treuepflicht der Gesellschafter generell anerkannt ist, müsste demnach das Unterlassen oder die zu niedrige Festsetzung des Agios (außerhalb der Bandbreite einer vernünftigen Bewertung) den oder die Mehrheitsgesellschafter schadenersatzpflichtig machen.

Klar erkennbar ist auch, dass durch eine solche rücksichtslose Vorgangsweise (Beschlussfassung) des Mehrheitsgesellschafters ein krasses Missverhältnis zwischen den geförderten und den beeinträchtigten Interessen besteht, das sich leicht vermeiden ließe. Das ist daher – da dem Mehrheitsgesellschafter ein weniger belastender Weg zur Erreichung desselben wirtschaftlichen Ziels der Kapitalzufuhr zur Verfügung stünde – unzweifelhaft rechtsmissbräuchlich und daher sittenwidrig (OGH 5 Ob 630/89; 1 Ob 11/93; 2 Ob 569/95). Zumindest Schadenersatzpflichten sollten daher die naheliegende Konsequenz aus einer derartigen rücksichtslosen Beschlussfassung des Mehrheitsgesellschafters sein.

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Johannes Reich-Rohrwig
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