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Der Einfluss von COVID-19 auf Bauwerkverträge

19/03/2020

Seit Montag, den 16.03.2020, 00:00 Uhr, ist das Bundesgesetz über vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz) in Kraft. Die darauf aufbauende Verordnung BGBl. II Nr. 98/2020 verbietet das Betreten öffentlicher Orte, sofern nicht ein Ausnahmetatbestand vorliegt. Dies etwa für die Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens oder bei entsprechender Erforderlichkeit für berufliche Zwecke, so ferne sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit mindestens 1 Meter Abstand eingehalten wird. Negative Auswirkungen auf die Wirtschaft sind jedenfalls unvermeidlich, allenfalls lassen sich diese durch den COVID-19-Krisenbewältigungsfonds abmildern und nachträglich beseitigen. 

Auch die Bauindustrie ist von den einschneidenden gesetzlichen Maßnahmen stark betroffen: Großbaustellen sind von einem auf den anderen Tag quasi zum Erliegen gekommen, sie dürfen nicht oder nur mehr ausnahmsweise betreten werden, Arbeiter müssen gekündigt oder auf Kurzarbeit geschickt werden und Material ist nicht oder nur mehr eingeschränkt lieferbar.

Doch wer trägt die damit in Zusammenhang stehenden Kosten? Wie sieht es mit Pönalen wegen Verzuges aus? Die Antwort hängt vom jeweiligen Vertrag ab, sodass nachstehend in gebündelter Form die gesetzliche Ausgangslage, die Werkvertragsnormen ÖNORM B 2110/2118 und internationale Standard-Vertragsmuster dargestellt werden, von denen im Einzelfall vertraglich in der Praxis oft abgewichen wird. 

Höhere Gewalt

Eine gesetzliche Definition höherer Gewalt ist dem österreichischen Werkvertragsrecht fremd. Höhere Gewalt wird von der Rechtsprechung jedoch dann angenommen, wenn ein

•    außergewöhnliches Ereignis von außen einwirkt, 
•    dieses nicht in einer gewissen Regelmäßigkeit vorkommt oder zu erwarten ist, und 
•    auch durch äußerst zumutbare Sorgfalt weder abgewendet, noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann. 

Unabwendbar ist aber auch jedes nicht außergewöhnliche Ereignis, das trotz aller erdenklichen Sachkunde und Vorsicht nicht abgewendet werden kann. Der OGH hat bereits im Jahr 2005 die Viruskrankheit SARS als einen Fall höherer Gewalt eingestuft.

ABGB – Neutrale Sphäre ist Risiko des Auftragnehmers

Die – vertraglich innerhalb gewisser Grenzen allerdings abdingbare – Bestimmung des § 1168 ABGB regelt unter anderem den Entgeltanspruch des Werkunternehmers für den Fall, dass die Ausführung des Werkes aus in der Sphäre des Werkbestellers liegenden Gründen unterbleibt; ebenso wird normiert, dass der Werkunternehmer einen Anspruch auf Werklohnerhöhung hat, wenn er durch Umstände der Bestellersphäre einen „Zeitverlust" erleidet. Vor allem die zuletzt genannte Regelung ist in der derzeitigen Situation von oft vordringlichem Interesse.

Umstände, die in die neutrale Sphäre fallen und daher weder dem Werkbesteller noch dem Werkunternehmer vertraglich zugeordnet werden können, hat nach § 1168 ABGB grundsätzlich der Werkunternehmer zu vertreten. Eine durch das Virus SARS-CoV-2 verursachte Pandemie, indessen Folge auch das COVID-19-Maßnahmengesetz erlassen wurde, fällt grundsätzlich wohl weder in den Bereich des Werkbestellers noch des Werkunternehmers, sodass dieser Umstand in der gesetzlichen Risikosphäre des Werkunternehmers liegt, sofern keine abweichenden vertraglichen Regelungen getroffen wurden. Wenn der Werkunternehmer daher aus diesem Grund an der Werkerbringung temporär gehindert ist, trägt er dafür das Risiko. 
Vertraglich vereinbarte Vertragsstrafen werden in der Regel hingegen nur bei Verschulden des Werkunternehmers ausgelöst, sofern die Parteien nicht ausdrücklich anderes vertraglich geregelt haben. Zudem bietet auch das - unabdingbare - richterliche Mäßigungsrecht Schutz vor übermäßigen Pönalen.

 Unabwendbare Ereignisse nach der ÖNORM B 2110/2118

Die ÖNORM B 2110 oder die ÖNORM B 2118 gelten nur, wenn sie vertraglich vereinbart wurden. Ist dies der Fall, so ändert sich allerdings die Risikozuordnung gegenüber der gesetzlichen Ausgangslage. 
Gemäß Punkt 7.2.1 der ÖNORM B 2110 bzw. der ÖNORM B 2118 werden der Sphäre des Werkbestellers („AG“) Ereignisse zugeordnet, wenn diese 

•    zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren, und 
•    vom Werkunternehmer („AN“) nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind.

Grundsätzlich gebührt dem Werkunternehmer („AN“) daher unter diesen Vorrausetzungen ein Anspruch auf Anpassung der Leistungsfrist und/oder des Werklohns. Um mögliche Nachteile bei der Anspruchsdurchsetzung zu vermeiden ist es jedoch wichtig, dass Werkunternehmer auch das entsprechende Prozedere einhalten und Mehrkostenforderungen dem Grunde nach anmelden und entsprechend substantiieren.

„Force Majeure“ und „Exceptional Events“ in FIDIC-Vertragsmustern

FIDIC ist der Internationale Verband der Beratenden Ingenieure und erstellt umfangreiche Musterverträge zur Standardisierung internationaler Bau- und Anlagenverträge. Die Standardvertragsmuster für viele große internationale Hochbau- und Infrastrukturprojekte sind zuletzt 2017 erneuert worden. Mit den überarbeiteten Versionen der „Rainbow Suite“, nämlich des „Red Books“ (Building and Engineering Works), „Yellow Books“ (Plant and Design-Build) und „Silver Books“ (EPC/Turnkey Projects), wurden die Vorgängerversionen dieser FIDIC-Verträge aus dem Jahre 1999 ersetzt.

Die „Force Majeure“-Regelung in Klausel 19 der Vorgängerversionen wurde im Zuge der Überarbeitung in Klausel 18 integriert und regelt nun außergewöhnliche Ereignisse („Exceptional Events“). Dies ist ein Ereignis, 

•    das von einer Vertragspartei nicht beeinflussbar ist, 
•    gegen das diese Partei bei Vertragsschluss vernünftigerweise keine Vorkehrungen treffen konnte, 
•    von dieser Partei auch nicht verhindert oder überwunden werden kann, und 
•    schließlich nicht grundsätzlich der anderen Vertragspartei zugeschrieben werden kann. 

Darüber hinaus muss das eintretende Ereignis der Vertragspartei die Erfüllung einer Vertragspflicht - zumindest temporär - unmöglich gemacht haben, um als Force Majeure oder Exceptional Event qualifiziert zu werden.

Liegt ein solcher Fall vor, kann der Werkunternehmer eine Bauzeitverlängerung beanspruchen, wenn die Arbeiten durch das Ereignis verzögert wurden. Zur Wahrung des Anspruchs auf Bauzeitverlängerung ist aber ebenfalls die Einhaltung des vereinbarten Verfahrens notwendig. Es bedarf in diesem Zusammenhang jedenfalls einer Anzeige an den Vertragspartner, die fristgerecht nach Kenntnis oder Kennenmüssens des die Unmöglichkeit begründenden Umstands zu erfolgen hat. 

Kooperation statt Konfrontation

Die derzeitige Situation bringt eine Vielzahl an Herausforderungen mit sich, die es zu meistern gilt. Eine eingehende Prüfung des einem Bauvorhaben zugrunde liegenden Werkvertrages ist unerlässlich, damit sowohl Werkunternehmer als auch Werkbesteller ihre Rechte und Ansprüche sachgerecht wahren können. Gleichzeitig ist den jeweiligen Entscheidungsträgern zu empfehlen, das Gespräch mit ihrem Vertragspartner zu suchen. Wohl überlegte Verhandlungslösungen können in der gegenwärtigen Situation mehr denn je sonst oft langwierige und kostenintensive Auseinandersetzungen vermeiden. Kooperation ist daher das Gebot der Stunde

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